der Alte Mann und der reißende Fluss

Es war einmal vor langer Zeit ein reißender Fluss und ein Mann der jeden Tag diesen Fluss überqueren musste. Jeden Tag aufs Neue machte er sich daran die reißenden Fluten zu überwinden aber stets versuchte er sein Glück an einer anderen Stelle. Jeden Tag stieg er in das kalte Wasser und jeden Tag kam er mit nassen Kleidern an seinem Ziel an. Der arme Mann war oftmals krank und jeder war es gewohnt ihn keuchend und hustend zu sehen. Aber wenn man ihm sagte dass er doch einfach nur die Furt, die natürliche Flachstelle des Flusses nehmen konnte, so antwortete er dass diese Stelle verflucht sei und jeder der sie nehmen würde wäre ein Narr.

Es mag schon sein, so sprach er, dass diese Stelle natürlich wäre und es möge auch sein dass Tiere und Menschen sie seit unendlichen Zeiten zum Überqueren des Flusses nutzen würden. Dieser einfachere Weg sei aber nur scheinbar der bessere Weg. Tatsächlich wäre er aber beschwerlicher. So sprach er laut und mit fester Stimme.

Wenn man ihn dann aber darauf hinwies dass jede Beobachtung das Gegenteil suggerieren würde baute er sich stets selbstgefällig vor den Menschen auf und fragte sie ob sie beim Durchqueren der Flachstelle nasse Knöchel hätten und die Menschen antworten dass sie ganz gewiss nasse Knöchel hätten wenn sie durch die Furt marschieren würden. Er fragte sie daraufhin ob sie es nicht besser finden würden wenn sie vollständig trocken an auf der gegenüberliegenden Seite ankommen würden und wieder antworteten viele Menschen mit ja.

Er sagte ihnen nun mit eiserner Überzeugung und erstaunlicher Eloquenz dass der Schlüssel dazu, völlig trocken von einer Stelle zur anderen zu kommen, darin läge möglichst weit von den seichten Stellen weg zu bleiben und besonders tiefe Stellen im Fluss zu finden und den Fluss genau an dieser Stelle zu durchqueren und wenn man es richtig machen würde, so würde man trocken den Fluss durchqueren können. Und viele glaubten ihm und betraten die Fluten, denn die Aussicht den Fluß trocken zu durchqueren war sehr verlockend.

Viele von ihnen wurden aber krank andere wurden von den Fluten weggerissen und oftmals ertränkten sich seine Anhänger gegenseitig weil sie sich nicht darauf einigen konnten wo man als nächstes den Fluss durchqueren sollte. Dennoch machten sich viele Menschen, noch Jahrhunderte nach dem Tode des verrückten Alten jeden Tag daran den Fluss an besonders beschwerlichen Stellen zu überqueren und obgleich Menschen nun begannen Brücken zu bauen und es von Jahr zu Jahr einfacher wurde halbwegs trocken über den Fluss zu kommen hielten die Anhänger des Alten fest an der Idee dass der einfachere Weg in Wirklichkeit der beschwerlichere wäre und wenn Menschen darauf hinweisen würden dass die moderne Brücke nun wirklich der klügere Weg wäre, bauten sich seine Anhänger auf und erklärten mit großer Überzeugung und erstaunlicher Wortgewalt dass Brücken gelegentlich in sich zusammenfallen und wenn man dann auf der Brücke stünde, wäre man in größter Gefahr nass zu werden und keiner konnte ihnen widersprechen denn es war ja wahr.

Zudem, so ergänzten sie, sei so eine Brücke eben auch nicht perfekt, spätestens wenn es regnet wäre man ja wieder nass. Wenn aber aber sie, die Anhänger des wahren Weges, den korrekten Weg durch den Fluss finden werden (und daran dürfte kein Zweifel bestehen) so könnte ihnen selbst Regen nichts anhaben. Denn ihr Weg wäre dann perfekt.

Verwies man aber darauf dass sie nun seit dem Anbeginn der Zeit nach dem wahren Weg suchen würden und ihn nicht finden können erklärten sie das alle vorherigen Versuche nicht zählen würden, denn ihr großes Vorbild Marl Karx habe ihnen gesagt dass es nur ein „wahrer Versuch“ wäre wenn man mit trockenen Füssen am anderen Ende des Flusses herauskommen würde. Jeder Versuch der nicht zu diesem Ziel führe, wäre kein echter Versuch und würde daher nicht zählen und zudem müsste ja auch jeder mitmachen, denn erst wenn keiner mehr Brücken oder Furten benutzt, erst dann kann der wahre Weg gefunden werden, so gesehen war es nicht ihre Schuld dass sie erfolglos waren sondern die Schuld jener die ihnen nicht folgten.

Und so stolpern bis heute Menschen durch den Fluss des Lebens und viele von ihnen zerren ihre Kinder mit in den Abgrund und verdammen sie zu Unterkühlungen und Lungenentzündungen während sie den Menschen auf den Brücken und den Furten böse Worte entgegenwerfen. Ihre einzige Freude besteht darin zu jubeln wenn alle paar Generationen mal wieder eine Brücke in sich zusammenstürzt und es den üblen Brückenwanderern wenigstens einen Tag so schlecht geht wie es ihnen jeden Tag ergeht.

jean https://fineartamerica.com/featured/crossing-the-river-artwork-by-jean.html

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