Sprechen Linke und Rechte von Multikultur, meinen sie unterschiedliche Dinge. Das kann für die zurechnungsfähige Mitte recht verwirrend sein, haben doch beide Seite, wenigstens teilweise recht. So bleibt man als Zentrist oft verwundert stehen warum die beiden Seiten überhaupt streiten.

Die Antwort liegt auf der Hand: obgleich der Zentrist das ganze Bild sehen kann, sieht der Rechte und die Linke nur jeweils eine Hälfte.

Die Sicht von Rechts ist eher einfach. Ich meine das nicht negativ und muss im Vorfeld auch dazu ein paar Worte verlieren. Die Linke ist oftmals von ihrer eigenen Überlegenheit überzeugt da ihre Theorien extrem komplex sind und tatsächlich mitunter nicht ganz einfach zu verstehen. Dem gegenüber stehen simplistische, bis hin zum monokausalistischen Ansätze („Die Ausländer sind am Regen schuld“) von Rechts außen.

Eine Theorie ist aber nicht besser nur weil sie kompliziert ist. Ockhams Rasiermesser etwa lehrt uns dass die einfachste Theorie, die ein Ding ausreichend gut beschreibt, die beste Theorie ist.

Zentral ist aber ob eine Theorie Vorhersagen ermöglicht. Eine Theorie die keine Vorhersage ermöglicht, ist keine. Wir sprechen dann bestenfalls von einer Hypothese.

Was also ist die Sicht der Rechten auf die Multikultur?

Die Idee ist dass Kulturen monolithische Blöcke sind mit einer Neigung sich zu konzentrieren. Diese Konzentration geht dann mit einer Übernahme an Geographie einher. Eine Durchmischung findet nicht statt, Kulturen leben einfach in einer Körperschaft, etwa einem Staat, nebeneinander unter Einhaltung von (informellen) Grenzen.

Testen wir die Theorie:

Wenn Menschen in ein anders Land gehen, suchen sie sich dann Menschen die ihre Sprache sprechen, ihre Kultur teilen? Halten sie an Gebräuchen fest und zeigen sie Stolz im Bezug auf diese Kultur.

Ja. Manchmal.

Wie aber sieht es die Linke?

Die Linke sieht eine komplexere Welt. Unterschiedliche Kulturen existieren unterhalb einer Schirmkultur. Ein Chinese der nach Frankreich kommt mag zwar weiterhin chinesisch sprechen und chinesisches Essen verspeisen aber er existiert in einem Framework das nicht China sondern eben Frankreich ist. Er hält sich an französische Normen und Gesetze, die (je nach Lehrmeinung) Kultur sind (oder nicht). Aus dem Chinesen wird also der Frankochinese und der Frankchinese ist eben kein Americanochinese.

Es findet eine Quasidurchmischung statt. Die Menschen behalten zwar ihre Identität, nehmen aber Teilaspekte der Schirmidentität an und verändern damit sowohl sich als auch die Welt. In letzter Konsequenz, wenn die Nationen verschwunden sind und es nur noch ein Gesetz gibt, sprich wenn es nur noch eine Nation weltweit gibt („no Nations, no borders“) existiert nur noch eine Schirmkultur.

Die menschliche Kultur.

Unterhalb dieser existieren dann alle andren Kulturen in Friede und Freude und so weiter.

Testen wir die Theorie:

Halten sich andere Kulturen an die Regeln, Gesetze und Werte ihrer Schirmkulturen.

Ja. Manchmal.

Der Zentrist sieht beide Dinge. Es liegt auf der Hand dass ein Vietnamese der in Italien sozialisiert wurde offensichtlich anders sein wird als sein Cousin in der alten Heimat. Wenn aber eine Bezirk mehrheitlich aus Vietnamesen besteht, in den Schulen tiếng Việt gesprochen wird und es keinen echten Kontakt mit Italienern gibt, dann ist dieser Unterschied zwangsläufig minimal.

Multikultur, wie sie die Linke sieht, ist immer nur dann möglich wenn man es schafft die Kulturen zu mischen.

Der Blick der Rechten beschreibt was passiert wenn man das nicht schafft.

Beginnt man mit der Infusion der eigenen Kultur mit anderen Kulturen haben zu Beginn die Linken recht. Auf dieses Rechthaben stützt sich die ganze Ideologie bis heute. Zu Beginn tröpfelt man ein paar anderen Kulturen ein, diese haben gar nicht die Chance sich zu einem Block zu bündeln und tun genau das was die Linke Theorie vorhersagt: sie bereichern die Kultur und sich selber.

Erreichen sie aber eine kritische Masse, beginnen die Kulturen auszufallen und sich zu konzentrieren. Ganze Bezirke werden plötzlich wieder Reinkulturen. In gewissen Bezirken in deutschen Städten findet sich nichts Deutsches. Aber auch nichts Französisches, oder Vietnameisches. Alles was dort ist, ist Türkisch.

Plötzlich gewinnen die Rechten das Argument in dem sie darauf verweisen dass Kulturen sich abgrenzen, sobald sie können.

Die Linke versucht nun ihren anfänglichen Sieg zu retten indem sie mittels Aufwand versucht wieder den Zustand der 1980iger zu reproduzieren: man versucht mit Quoten die Kulturen zu durchmischen. Recht erfolglos.,

Was aber weder der Rechte noch die Linke verstehen wollen ist dass Menschen nun nicht ihre Gruppen sind. Aus ein und der selben Nachbarschaft in Tokyo können zwei Personen nach Spanien kommen, der eine mit dem Wunsch Spanier zu werden und der andere mit der Idee die Spanier zu Japanern zu machen. Die Motivation und das Warum jemand in eine andere Kultur einwandert sind, sind oftmals sehr unterschiedlich.

Viele Menschen die in den Westen strömen schätzen unseren Lebensstil und wollen werden wie wir (halbwegs kapitalistisch und halbwegs frei). Andere wollen nur das haben was wir hier munter verschenken und wieder andere wollen den Westen niederbrennen. Wir aber unterscheiden zwischen diesen Personen kaum.

Für den Rechten ist jeder Fremde ein Angreifer, für den Linken ist jeder Fremde eine Bereicherung.

Der Zentrist sieht beides und noch mehr.

Bereichert oder fragmentiert Multikultur? Beides. Europa hat sich gewandelt aber anstatt einheitlicher zu werden sind wir fragmentierter. Wenn nach dem Fall der EU (sei das jetzt oder in den angepeilten Tausend Jahren ist unerheblich) werden wir mehr Grenzen haben als jetzt, schlicht weil wir jetzt mehr Kulturen in Europa haben als noch vor 30 Jahren. Den Deutschchinesen gab es früher nicht, nur Chinesen in Deutschland, die sich entweder als Chinesen oder aber Deutsche sahen.

Die Rechten also jammern dass sie recht hatten und die Linke ist noch im Zustand der Verleugung.

Die finstere Ironie die aber insbesondere über der Linken hängt ist, dass sie immer angenommen hat die Schirmkultur der Welt wird geradezu zwangsläufig eine marxistische sein würde.

In ihrer Vorstellung würden alle Kulturen friedlich unter der marxistisch sozialistischen Herrschaft leben. Was aber wenn die Schirmkultur eine andere ist?

Was die Schirmkultur ist bestimmt entweder die Mehrheit oder aber eine Minderheit mit einer Mehrheit der Gewehre. Was wenn die Schirmkultur eine andere ist? Was wenn wir alle Österreicher, Finnen und Algerier unter der eisernen Hand von postnationalen Konzernen sind die plötzlich die Regeln und Gesetze machen? Was wenn die Katholiken die Macht übernehmen und der Papst definiert was die Schirmkultur ist? Was wenn sich Meinesgleichen mit ihrem Nichtaggressionsprinzip durchsetzen?

All diese Optionen liegen am Tisch und hat eine Ideologie einmal die Macht über die ganze Welt wird es verflixt schwer diese Herrschaft zu beenden.

Zusammenfassend sei also gesagt dass der politische Rand mal wieder die Welt mit Scheuklappen sieht. Beide Ziele: kulturelle Reinheit und eine Weltkultur sind Hirngespinste die in der Realität nicht zu realisieren sind. Was bleibt ist sich zu fragen welcher Ansatz in der Vergangenheit besser funktioniert hat und hier hat eine dominante Kultur, die Einflüsse von Außen zulässt, sich aber selbst treu bleibt, klar die Nase vorn.

Wenn Europa darauf pocht dass wir eine großartige Kultur sind, dann ist Einfluss von Außen eine Bereicherung. Schämen wir uns aber für unsere Kultur werden wir einfach nur durch eine ersetzt die stolz auf die ihre ist und diese Kultur wir dann die neue Schirmkultur unter der wir dann existieren dürfen.

Eventuell.

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Frank und frei

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