Was ist mit der Handschlagqualität passiert?

Eine Kritik der Generation die in den gemütlichen Zeiten der 60iger und 70iger aufgewachsen sind an der heutigen Zeit ist, dass die Handschlagqualität verschwunden ist. Was genau ist damit gemeint? Wenn Menschen von Handschlagqualität sprechen meinen sie meistens damit, dass sich Menschen an mündliche oder unausgesprochene Vereinbarungen halten. Interessanter ist hierbei der unausgesprochene Teil.

Menschen erwarten, dass gewisse Dinge passieren oder nicht passieren obwohl sie nicht vertraglich festgelegt wurden.

Was also oftmals mit dem Verschwinden der Handschlagqualität beklagt wird, ist das Verschwinden kultureller Normen. Und das ist verständlich. Die 68iger sind mit dem was sie als „Handschlagqualität“ verstehen aufgewachsen und vermissen das jetzt. Das Problem an der Sache ist, dass es die 68iger waren die die genau diese Kultur zerstört haben.

Kultur beschreibt was die Menschen in der Kultur tun. In den 60igern war die Idee, dass die vorhandene Kultur schlecht ist und ersetzt werden müsse. Die Idee war alte Denkweisen, alte Kulturen, alte Gewohnheiten und alte Sitten hinter sich zu lassen und durch neue Varianten ersetzen.

Man erwartete sich einen Nettogewinn aber zog nicht wirklich in Betracht, dass es einen Nettoverlust geben würde. Ein klassisches Beispiel ist die Erwartungshaltung gegenüber dem Gemeindebau. Die Idee war, dass man das Dorf einfach komprimieren würde. Die dörfliche Solidarität würde sich in den Bau übertragen, die Straße wäre eben nun die Stiege und das Dorf der Bau.

Die Realität sieht eben völlig anders aus.

Es gibt kaum etwas unpersönlicheres und unsolidarischeres als den Gemeindebau. Die Erwartungshaltung war genau das Gegenteil der sich dann ergebenden Realität.

Die, von den 68igern, gewünschten Änderungen wurden zu einem erheblichen Teil mittels Gesetze und Regulation umgesetzt. Die Regeln der neuen Kultur wurden niedergeschrieben und ersetzten die ungeschrieben Regeln der Vergangenheit. Das Resultat war eine Professionalisierung der Gesellschaft. Die junge Generation hält sich an die niedergeschriebenen Regeln und fordert die niedergeschriebenen Rechte ein. Die Idee des „Gebens und Nehmens“ oder die „Handschlagqualität“ hingegen sind genau diese alten Werte die den 68igern so verhasst waren, weil sie mit Flexibilität und Verhandlung verbunden waren. Die 68iger versuchten alle Regeln niederzuschreiben und beklagen nun, dass die Jungen auf die Regeln pochen die sie niedergeschrieben haben.

Die Kultur ist heute eine völlig andere als damals.

Die Handschlagqualität ist verschwunden weil die Überregulation sie unmöglich gemacht hat. „Moch ma scho, geht scho, wird scho, des moch ma“ ist in einer Welt in der die Krümmung der Banane festgelegt wurde schlicht und ergreifend nicht möglich.

Die Frage die nun im Raum steht ist ob das eine Verbesserung darstellt. Die Anwälte nicken, der Rest der Bevölkerung ist üblicherweise skeptischer.

Die andere Frage ist ob es einen Weg zurück gibt und hier ist uns vor allem eines der heiligen Kühe der 68iger im Weg: die Multikultur. Wie oben schon beschrieben hängt die Handschlagqualität mit dem erfüllen unausgesprochen Erwartungen zusammen und diese sind informell in der Kultur kodiert. Wirft man unterschiedliche Kulturen zusammen kollidieren unterschiedliche Erwartungshaltungen. Was die Sache unmöglich macht.

Die Erwartungshaltung der 68iger war, dass die alten Kulturen, wenn man sie in einen Topf wirft, sich gegenseitig neutralisieren und dann die von ihnen gewünschte sozialistische Kultur von allen übernommen werden würde. Quasi als kleinster gemeinsamer Nenner.

Aber das ist nicht passiert, vor allem weil diese Kultur eben mit der menschlichen Natur nicht zusammenpasst. Case and Point: öffentliche Toiletten sind immer grauslicher als private. Menschen gehen mit Allgemeingut nicht sorgsam um. Der 68iger beklagt das, will aber die menschliche Natur ändern anstatt von seiner Idee (ie: alles soll Allgemeingut sein) abzuweichen. In anderen Worten: wenn Kulturen zusammenkrachen kommt nicht Sozialismus raus, nicht mehr "wir sind alle gleich" sondern mehr "die sind anders, wir sind also nicht alle gleich".

Menschen unter 50 sind also in einer Kultur aufgewachsen in der die alten Werte und die alte Kultur zerstört wurde.

Sprich das was die 68iger vermissen haben wir Jüngeren ohnehin nie kennengelernt. Jetzt aber beklagen die 68iger dass die Jungen ihre Mietwohnungen (die jetzt alle den 68igern gehören) nicht selber herrichten (wie deren Eltern es getan haben) sondern vom Vermieter einfordern dass er sich an seine Pflichten zu halten hat.

Der Arbeiter kennt plötzlich seinen Dienstvertrag und pocht auf seine Rechte und wenn etwas nicht schriftlich ausgemacht wurde, dann wird im Zweifelsfall der Rechtsschutz, den jeder Junge hat, aktiviert.

Die Reaktion der Alten ist ein beklagen wie feindlich und brutal die Kultur geworden ist, man fragt sich wo das Geben und das Nehmen hingegangen ist, warum die Jungen nicht tun was man eben tut, sprich warum alles so viel schlechter ist als die Kultur in der sie selber aufgewachsen sind.

Aber die logische Schlussfolgerung wird von ihnen, und den Jungen die noch immer in dieser veralteten, gescheiterten Denkweise festhängen, nicht erkannt.

Die alte Kultur in der man Raum zum manövrieren hatte, aber jeder eine recht gute Vorstellung davon hatte was von einem erwartet wurde, war scheinbar besser und welchen Beweis jenseits der Unzufriedenheit der Alten brauchen wir dazu noch?

Die 68iger hatten in einem Recht: die Vergangenheit kann ein Fehler sein und der Job der jetzt Jungen wird es sein die Scherben der 68iger aufzuräumen und wieder eine Kultur zu konstruieren in der man als Mensch leben kann, anstatt die Regeln der Bürokratie auszuführen.

Die Handschlagqualität kommt zurück, wenn ihre Mörder verschwunden sind und die Jungen ihre Fehler korrigieren können.

Würden die Alten (und Jungen mit den jetzt-alten Werten im Kopf) diesem Prozess nicht im Weg stehen, könnten sie die Wiedergeburt der Handschlagqualität sogar noch erleben.

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