Ein Kind, ein Kopftuch, viele Fragen.

Eines muss man anerkennen: Die Regierung versteht es, öffentliche Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, bei denen sie in mancherlei Hinsicht nur profitieren kann: Sie erfordern keinen Einsatz von politischem Kapital. Sie verlangen keine besondere intellektuelle Anstrengung. Sie lenken in ihrer Nebensächlichkeit von Wichtigerem ab. Sie haben ausreichend Potenzial für Popularität. Und als erwünschter Nebeneffekt: Sie demonstrieren den neuen Regierungsstil, indem Bundeskanzler Sebastian Kurz bereitwillig den Vorschlag seines Vize Heinz Christian Strache aufgreift und diesem somit einen „Erfolg“ gönnt.

Ein solches Thema ist das Kopftuchverbot für Mädchen in Kindergärten und Volksschulen. Strache hatte es als Osterbotschaft via „Kronen Zeitung“ verkündet, Kurz ein paar Tage später unterstützt, der Ministerrat am Mittwoch noch einmal aufgegriffen. Medien und Experten sind damit beschäftigt. Für und Wider werden breit diskutiert, alle können eine Meinung dazu haben. Schade nur, dass der Versuchung zur allzu leicht erkennbaren Manipulation nicht widerstanden wurde. Beim Namen „Kinderschutzgesetz“ merkt man die Absicht und kann leicht verstimmt sein, wie sich im Folgenden unschwer ausführen lässt.

In der Tat haben nämlich alle Argumente für ein Verbot viel für sich. Anderswo, in Frankreich etwa, ist die Frage schon längst im Sinn eines Verbots entschieden. Alle Befürworter als moslemfeindlich einzuordnen, alle anderen als Gegner österreichischer Werte ist unzulässig. Das Problem mit der laufenden Diskussion in Österreich ist nur die Oberflächlichkeit und der Mangel an intellektueller Redlichkeit.

Vor der Regierungssitzung am Mittwoch hieß es, alles sei rechtlich geprüft, Soziologen und Menschenrechtsexperten seien befragt worden. Nur, hier handelt es sich um Kinder. Eine Einbindung von Kinderpsychologen ist nicht überliefert. Es ist doch eine gesicherte Erkenntnis, dass Klarheit, Eindeutigkeit, Verlässlichkeit im Kindesalter zu den wichtigsten Vorraussetzungen für die spätere Entwicklung zählen. Menschen, die als Kinder mit verschiedenen „Realitäten“ zu Recht kommen mussten, sind als Erwachsene psychisch belastet. Sie können nicht darauf vertrauen, dass das, was sie als Realität erlebt haben, auch wirklich gilt.

Man kann jedem Argument für ein Verbot Positives abgewinnen, sollte aber auch gleichzeitig das Gegenteil mit bedenken. Die Meinung Straches zum Beispiel, ein Kopftuchverbot für Mädchen in Kindergärten und Volksschulen würden die Entstehung einer Parallelgesellschaft verhindern, kann man teilen. Stichhaltig muss sie deshalb nicht sein. Denn gleichzeitig muss man sich die Frage nach den Konsequenzen stellen, wenn Kinder von klein auf zwei Welten wahrnehmen müssen: jene, in denen das Tragen eines Kopftuchs Normalität ist und jene, in denen das Stück Tuch verpönt ist. Älteren Jugendlichen ist dies eher zu erklären.

Andrerseits zeigt die Begründung, das Kopftuch verhindere „Integration und trennt die Kinder voneinander“ totale Ahnungslosigkeit von der Welt der Kleinen. In den USA gab es ein Experiment, in dem jeweils ein, von Hautfarbe, Behinderung etc völlig verschiedenes Kinderpaar darüber spricht, was sie unterscheidet. In keinem Fall spielte Aussehen, Herkunft, Einschränkung eine Rolle. Es ging um Mathematik, Lesen, Sport, Kunststücke, Pfeifen, also um Tun und nicht um Sein. Das hatte auch komische Seiten, weil die Kinder das Offensichtliche total ignorierten. Dem kleinen John fiel partout nicht auf, dass sein Freund chinesischer Abstammung ist, Nancy nicht, dass ihre Freundin Afro-Amerikanerin ist.

Im Licht dieses Experiments, ist die Aussage von Bildungsminister Heinz Faßmann nach der Regierungssitzung, Kinder dürften schon von der „Physiognomie“ her nicht in die „einen und die anderen“ getrennt werden, nicht besonders kenntnisreich. Er sollte vielleicht dringend Kinderpsychologen befragen. Dann wird sich zeigen, dass Kinder das „Trennende“ so lange gar nicht wahrnehmen, so lange die Erwachsenen es nicht ständig betonen.

Noch zwiespältiger ist das Argument vom „Schutz“ der Kinder: Vor „politischen Islam“, vor „Symbolen und Kleidung, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung haben“, vor Zwang. Unter Zehnjährige vor dem „politischen Islam“ zu schützen, wird wohl übers Ziel geschossen sein. Jugendliche ja, Kinder eher nur dann, wenn es um Symbolpolitik geht. Schutz ja, aber so einfach wie es jetzt argumentiert wird, ist es nicht.

Schutz vor allem, was sich negativ auf die Entwicklung der Kinder auswirkt? Ja! Nur sollte man sich mit der Frage beschäftigen, was sich stärker negativ auswirkt, ein Stück Tuch und die Kleidung oder ein Leben in verschienen Realitäten; ein Leben, in dem die Kleinsten nicht mehr wissen, was nun gilt – die Welt der Erwachsenen zu Hause oder im Kindergarten. Da geht es auch um Fragen des Vertrauens im Kindesalter. Können Kinder vor Verlust dieses Vertrauens geschützt werden? Ja, aber da bedarf es mehr als ein trockenes Verbotsgesetz. Da bedarf es Zuwendung und Erklärung auf Augenhöhe in Kindergärten und Schulen. Da bedarf es ausreichend geschultes Personal dafür. All das scheint aber zu kompliziert für einen raschen politischen Erfolg.

Ein Kopftuchverbot soll, so ein weiteres Argument von Kurz, „allen Mädchen die gleichen Entwicklungschancen“ einräumen. Wer will dagegen schon etwas einwenden? Ja, auf alle Fälle, nur haben jene Kinder sie nicht, die sich in den ersten Lebensjahren hin- und hergerissen werden? Wer als Kind emotional verwirrt wird, wird in seinen Entwicklungschancen später gehindert. Meint jedenfalls die Psychologie. Er/sie bleibt gewissermaßen emotional „stecken“, auch wenn das Leben völlig normal verläuft. Das muss zwangsläufig zu Entwicklungsstörungen führen.

Man müsse gegen den Zwang für die Mädchen auftreten, heißt es. Ja bestimmt! Nur sollte man sich auch mit der Frage befassen, ob Kinder, die ein Kopftuch als Normalität erleben, in diesem Alter überhaupt eine Vorstellung von „Zwang“ haben können was die Kleidung betrifft. Und wenn nicht, soll ihnen das Konzept dann aufgezwungen werden? Das kann dann nur heißen, dass es einen „guten Zwang“ gibt, jenen der österreichischen Mehrheitsgesellschaft, und einen „schlechten Zwang“, jenen des moslemischen Glaubens.

Mitglieder der islamischen Glaubensgemeinschaft versicherten in der laufenden Debatte jedoch, dass auch von ihrer Religion her das Prinzip der „Freiwilligkeit“ verankert ist. Das wird bei Unter-Sechsjährigen wohl kaum objektiv festgestellt werden können. Kann die Antwort darauf aber einfach ein Verbot sein? Die Antwort kann auch nicht sein, von der „Selbstentfaltungsfähigkeit“ der Unter-Zehnjährigen zu reden, wie dies der Soziologe Kenan Güngör getan hat. Diese wird nämlich im österreichischen Schulsystem von ganz anderen Dingen behindert und gestört als durch ein Stück Tuch am Kopf – nämlich bei allen Kindern ohne Trennung „in die einen und die anderen“.

Dem Vorhaben der Regierung kann man einiges abgewinnen, wenn alle Fragen der Grundfreiheiten und der psychologischen Auswirkungen eingehend behandelt und geklärt worden sind. Und die Regierung nicht vorgibt, die härtere Gangart würde „nur“ Nicht-Österreicher treffen. Es geht auch um österreichische Kinder moslemischen Glaubens.

lawuhsuket/pixabay

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