Stolpersteine sind in Deutschland beliebt. Sie zeigen, dass die gewählten Geschickelenker, die zuverlässigen Verwaltungen und zuweilen auch die Bürger der Kommune, ob Stadt oder Dorf, sich selbst 70 Jahre nach Ende des Unrechts sich des Unrechtes bewusst sind. So etwas darf sich nicht wiederholen und wird sich auch nicht wiederholen! Zumindest nicht in den abgelegenen Dörfern, wo keine Juden leben.

Allgemein lässt sich aussagen, dass die Zahl der Stolpersteine sich umgekehrt proportional zur Zahl der lebenden Mitwisser verhält. Je weniger potentielle Täter noch leben, desto üppiger sprießen die Messing glänzenden Steinchen. In manchen Dörfern dürfen die Steine an bestimmten Stellen nicht ihre Pracht ausbreiten, so vor Häusern, die einst Juden für billig Geld abgekauft worden sind und in denen die Nachkommen der Käufer heute noch angenehm leben, während die sterblichen Überreste der einstigen jüdischen Besitzer sich in Rauch aufgelöst haben. Ein neuer Trend entwickelt sich: Heute gewähren Dorfkirchen den abgelehnten Stolpersteinen ein ewiges Kirchenasyl.

Das Dorf S., welches vor langer Zeit seine Selbstständigkeit verloren hat, der die Bewohner von S. weiterhin nachtrauern, kann keine eigenen Juden vorweisen, weshalb es unter dieser Benachteiligung leidet. In anderen Städten und Dörfern der nahen und weiten Umgebung richten die Fußgänger zuweilen ihre Blicke zu Boden, um die ins Messing eingeritzte Worte zu entziffern. Nicht so in S.! Doch da S. niemals Juden beherbergt hat, gilt S. als ein judenfreundliches Dorf. Ganz im Gegensatz zu den anderen eingemeindeten Ortschaften. Hier hat man alles unternommen, dass unerwartete, aus dem Holocaust zurückgekommene Juden wieder verschwinden, noch bevor sie irgendwelche Ansprüche erheben. Doch seit zwei Jahren ist die Leidenszeit von S. beendet: Sechs güldene Stolpersteine glänzen in der Sonne im Bürgersteig der Hauptstraße. Die Stolpersteine müssen zwar umgebettet werden, weil sie zunächst irrtümlich an falscher Stelle vergraben worden sind. Doch allein der gute Wille zählt!

Wer sind die sechs Unglücklichen und wie ist es ihnen ergangen?

Es handelt sich um eine Familie, bestehend aus Vater, Mutter und vier Kindern, die von J. ins etwa 100 km südliche S. übersiedelt. Dies hat der ortsansässige Dorfchronist herausgefunden und aufgeschrieben. Offiziell zieht die Familie wegen der neuen Arbeitsstelle des Vaters um, doch dies kann nicht die ganze Wahrheit sein. Denn die Familie muss J. Verlassen, da der Ort laut Chronistem eine Nazihochburg ist. Der Dorfchronist, der über rudimentäre Kenntnisse der jüdischen Theologie verfügt, stellt fest, dass die Mutter eine Jüdin gewesen ist. „Folglich waren auch ihre Kinder Juden.“, schreibt er.

Darüber ließe es sich unter Unwissenden trefflich streiten. Glücklicherweise haben echte Rabbiner über Jahrhunderte die Bedingungen zusammengetragen, wer Jude ist und wer nicht. Meinungen eines christlichen Dorfrabbiners werden nicht berücksichtigt.

Letztendlich ist es nicht ausschlaggebend, ob Mutter und/oder Kinder nach der jüdischen Halacha, was dem christlichen Katechismus entspricht, Juden sind oder nicht. Entscheidend ist die Festlegung in der nationalsozialistischen Rassenlehre, ob jemand Voll-, ½- oder ¼-Jude ist und somit überleben darf oder nicht.

Die gesamte Familie überlebt in S. den Nationalsozialismus und den Krieg. Hier helfen ihnen Freunde und selbst der Bürgermeister, der Mitglied der NSDAP ist. Nach Kriegsende kehrt die gesamte Familie nach J. zurück, welche mit nach dem verlorenen Krieg nun keine Nazihochburg mehr ist.

Das jüngste Kind, nun über 80 Jahre alt, besucht vor Kurzem seine Geburtsstadt S., wo er zum ersten Mal auf seinen eigenen Stolperstein und auf die Stolpersteine seiner Familie herabblickt. Wegen angeschlagener Gesundheit will er seine Geburtsstadt nicht wiedersehen.

Laut Wikipedia sollen Stolpersteine an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben werden. In J. leben vor dem Zweiten Weltkrieg auffallend viele Juden. Viele fliehen ins Ausland, viele werden im KZ ermordet. Unsere Familie aus J. flieht ins 100 km entfernte Dorf S., welches schon immer judenfrei gewesen ist. Dort überleben sie mit Hilfe von Freunden und eines NSDAP-Parteigenossen Nationalsozialismus und Krieg.

Ohne ausreichende Recherchen werden 2015 in S. Stolpersteine verlegt. Der jüngste Stolpersteinbedachte läuft den Namen eines noch heute lebenden Menschen, der sich vor seinem eigenen Tod über einen Gedenkstein freuen kann.

Stolpersteine erfüllen eine Funktion. Man will – wozu auch immer - dazu gehören. Flüchtling ist Flüchtling, auch wenn die Flucht nach weniger als 100 km endet. Bis heute lieben wir in ganz Deutschland Flüchtlinge. Der Toten wird gedacht, den Lebenden wird geholfen. Auch heute noch profitieren Flüchtlinge davon, dass jeder Flüchtling ein bisschen Jude ist.

Zu guter Letzt muss noch eine Besonderheit erwähnt werden: Unter dem Namen und Geburtsjahr lautet die letzte Zeile aller Stolpersteine in S. gleichlautend:

Mit Hilfe überlebt

Das ließe sich präzisieren, den wird wissen ja vom peniblen Dorfchronisten, wer den Flüchtenden in der Not geholfen hat. Wir wollen folgenden Generationen die Wahrheit übermitteln.

Mit Hilfe von Freunden und eines Nazi überlebt

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