Verharmlosen Feministinnen die Taten von Köln?

Am Wochenende schrieb ein Team von Feministinnen – ich gehörte dazu – ein Statement zur Debatte über die sexualisierten Gewalttaten in der Silvesternacht in Köln. Darin setzen wir uns unter der Überschrift #ausnahmslos dafür ein, dass der Kampf gegen Sexismus mit dem gegen Rassismus Hand in Hand geht und die Ereignisse jetzt nicht dazu benutzt werden dürfen, gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen zu hetzen, etwa die „nordafrikanischen und arabischen Männer“.

Der Aufruf bekam ungeheuren Zuspruch, viele tausend Unterschriften in nur wenigen Tagen, und das aus einem sehr breiten Spektrum von Menschen, die ansonsten politisch nicht unbedingt einer Meinung sind. Offensichtlich haben wir etwas ausgesprochen, das derzeit vielen auf der Seele brennt.

Es gab aber auch Kritik, und ein Vorwurf dabei gibt mir besonders zu denken. Nämlich der, wir würden die Taten von Köln verharmlosen, wenn wir darauf verweisen, dass sexualisierte Gewalt nicht nur in jener Nacht geschieht, sondern ständig. Jeden Tag kommt es in Deutschland laut Polizeilicher Kriminalstatistik zu mindestens zwanzig Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen – und das sind nur die angezeigten Fälle. In Köln war ja gut zu sehen, wie hoch die Dunkelziffer bei solchen Straftaten ist, die übergroße Mehrzahl der Anzeigen ging erst ein, nachdem Medien und Polizei groß berichtet hatten.

Der Vorwurf, wer jetzt nicht das Problem bei einer bestimmten Herkunft oder Religion der Täter sieht, würde die Taten verharmlosen, wird von drei Seiten vorgebracht. Erstens von denen, die vor allem den Zuzug von Flüchtlingen und bestimmten Migrant_innen stoppen wollen (oder denen Angela Merkel schon lange ein Dorn im Auge ist) und denen diese Vorfälle natürlich sehr gelegen kommen. Zweitens von solchen, die die alltägliche sexualisierte Gewalt in Deutschland – auf Volksfesten, in familiären Beziehungen – tatsächlich für „nicht so schlimm“ halten.

Drittens wird der Vorwurf aber auch von Menschen erhoben, überwiegend Frauen, denen man weder das eine noch das andere unterstellen kann: Oft setzen sie sich selbst schon lange gegen sexualisierte Gewalt ein, und sie sind auch keine Rassistinnen (jedenfalls nicht mehr als wir alle). Aber trotzdem sehen sie in den Ereignissen der Silvesternacht eine „neue Qualität“ von Frauenfeindlichkeit, die schlimmer und gefährlicher sei als alles bisher Dagewesene.

Und tatsächlich ist in Köln eine Form von sexualisierter Gewalt offensichtlich geworden, die uns bisher unbekannt war – und auf die wir deshalb nicht vorbereitet sind. Dadurch ist ein Gefühl des Kontrollverlustes entstanden, und Kontrollverlust macht Angst: Viele Menschen haben ja auch Angst vorm Fliegen, aber nicht vorm Autofahren, obwohl Autofahren objektiv gefährlicher ist. Aber im Auto hat man eben selbst die Kontrolle (oder kann sich das einbilden), im Flugzeug nicht.

Das dominierende Gefühl unter vielen Frauen, mit denen ich seit Köln gesprochen habe, war das Ausgeliefert sein, die Überrumpelung, die Vorstellung einer Bedrohung, mit der man – oder frau – bisher nicht gerechnet hatte. Und gegen die es deshalb auch noch keine Strategien gibt.

Was hingegen die „normale“ sexualisierte Gewalt in Deutschland betrifft, so haben wir von klein auf gelernt, mit ihr zu leben. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, wie ich mit etwa 13 Jahren einmal frühmorgens, als es noch dunkel war, im Wald joggen ging (ohne mir etwas dabei zu denken). Als ich nach Hause kam, schimpfte meine Mutter: Wie ich denn dazu käme, allein im Dunkeln im Wald herumzulaufen, ob ich nicht wüsste, dass da „was passieren“ kann! Was genau das ist, was da „passieren“ kann, wurde nicht ausgesprochen, aber es reimte sich nach und nach zusammen. Mein ganzes Leben als junges Mädchen und als Frau war von solchen, oft beiläufigen und mal mehr, mal weniger sinnvollen Lektionen darüber geprägt, wie ich mich angesichts einer realen Gefahr, nämlich der, von Männern bedroht, belästigt, verletzt zu werden, verhalten soll.

So ein kontinuierliches Training, wenn man so will, führt letztlich trotz bleibender Bedrohung zu einem gewissen Gefühl der Kontrolle. Wir glauben, das Risiko kalkulieren zu können, und bis zu einem gewissen Grad stimmt das auch - vor einer Gefahr, die man kennt, kann man sich besser wappnen. Wir wissen beim Volksfest die Signale zu deuten, kennen die Codes, haben ein Gespür für brenzlige Situationen und für den Punkt, an dem es möglicherweise kippt. Nicht, dass das immer gut geht, allzu oft tut es das nicht. Aber es minimiert auf jeden Fall das subjektive Gefühl der Angst. Erst recht funktioniert dieser Mechanismus in nahen sozialen Beziehungen, wo es um Personen geht, die wir kennen, mit denen wir reden, die wir auch ein Stück weit beeinflussen können.

Dieses Schema der gefühlten Normalität, der gefühlten Sicherheit durch Routine im Umgang mit sexualisierter Gewalt, ist in Köln zerschlagen worden. Die Gewalt war plötzlich dort, wo wir sie nicht erwartet haben, wo wir nicht gewappnet waren, wo wir sie nicht mehr achselzuckend hinnehmen können, sondern einfach nur schockiert sind. Und ganz zu Recht schockiert.

Das Beste, was jetzt passieren kann, ist, dass wir diese neu gewonnene Sensibilität bewahren. Wenn wir uns darüber bewusst werden – und die Gesellschaft entsprechend einrichten – dass sexualisierte Gewalt etwas ist, das wir uns unter gar keinen Umständen jemals gefallen lassen dürfen. Am Kölner Hauptbahnhof nicht und auch nirgendwo sonst.

shutterstock/arturasker

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