Wie oft müssen wir erleben, dass gewählten Politikern taktische Vorteile (und seien sie noch so minimal) weitaus wichtiger sind als die Lösung von Sachproblemen (und seien sie noch so ideologiefrei)? Zustimmung zu Aussagen des politischen Gegners oder gar ein Mitstimmen im Parlament ist fast undenkbar. Wenn das in Frage stehende Gesetz wohl breite Zustimmung bei der Bevölkerung fände – zum Beispiel, weil weitgehender gesellschaftlicher Konsens besteht und keine nennenswerte Kosten anfallen –, muss man halt eine etwas diffizilere Argumentationslinie verfolgen. Etwa, dass das zu lösende Problem in Wirklichkeit gar nicht existiere, wie SPÖ-Landeshauptleute im gegenständlichen Fall beteuerten. Oder dass man dieses unwichtige Problem, wenn schon, dann mit der Lösung eines wichtigen, großen Problems verknüpfen müsse, was nun unglücklicherweise aber viel Zeit und Geld koste, weshalb es schlussendlich auf die lange Bank geschoben wird – werden muss, leider!

Selten jedoch lassen Politiker taktische Überlegungen und Desinteresse an den Anliegen der Bürger und Wähler so unbekümmert, ja ungeniert durchblicken wie der geschäftsführende Klubobmann der SPÖ, Andreas Schieder, im Ö1 Mittagsjournal vom 9. Juli. Gefragt, ob die SPÖ im Parlament einem Kopftuchverbot in Volksschulen zustimmen werde, sprach er:

„Es wird eher nicht der Fall sein, ganz ehrlich, denn wir werden dem Herrn Strache nicht auf den Leim gehen. Der will jetzt ablenken von seiner eigenen Niederlage, ich sag nur CETA, ich sag nur 12-Stunden-Tag. Es brodelt in der FPÖ, es geht drunter und drüber, die Leute treten aus und er versucht jetzt so wieder die Felle die ihm davonschwimmen, zurückzuhalten und die Gelegenheit werden wir ihm nicht geben. Der muss seinen eigenen parteiinternen Bauchfleck selbst auftragen (sic).“

Eine zweite taktische Überlegung, die möglicherweise ebenfalls eine Rolle in dieser Angelegenheit spielen könnte, fand keine Erwähnung: die Wien-Wahlen (vielleicht noch in diesem Jahr?) und ein Schielen der SPÖ auf Wähler aus muslimisch-konservativ-patriarchalischen Gruppen.

Aber seien wir nicht ungerecht. Nach dem Ende des Schieder‘schen Originaltons fügte die ORF-Sprecherin noch hinzu: „Die Behörde hätte jetzt schon die Möglichkeit einzuschreiten, wenn das Kindeswohl gefährdet ist, so Schieder“.

Ach ja, das Kindeswohl! Das hätten wir jetzt fast vergessen! Wie die Behörde hier einschreiten könnte und warum sie das nicht tut, wurde leider nicht vermeldet.

Übrigens hat die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) schon angekündigt, alle rechtlichen Mittel gegen ein etwaiges Kopftuchverbot in Volksschulen und Kindergärten ausschöpfen zu wollen. Eine interessante Vorgehensweise in einem Problem, das eigentlich gar nicht existiert – oder doch?

Für jene, die das Thema interessiert, ein Link zu der deutschen Terre des Femmes-Initiative für ein Kopftuchverbot bis 18 Jahre:

https://www.frauenrechte.de/online/index.php/presse/aktuelle-pressemitteilungen/2435-recht-auf-kindheit-muss-gewahrt-bleiben-terre-des-femmes-fordert-gesetzliches-kopftuchverbot-bei-maedchen

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