Einer der schwierigsten Tätigkeitsbereiche als Analyst ist in der Berichtsaison besonders im Fokus: die Ersteinschätzungen zu Quartalszahlen. Dies liegt weniger daran, dass Analysten keine Morgenmenschen sind (was trotzdem auf den einen oder die andere zutreffen kann), sondern eher daran, dass es manchmal nicht so einfach ist zu entscheiden, ob ein Quartal wirklich gut war. Was in einem Morgennewsletter zu einem kurzen (+), (-), (=) oder Daumen rauf/runter verdichtet wird, ist eine Mischung aus dem Abgleich mit ursprünglichen Schätzungen, dem bisherigen Ausblick der Firma, den jüngsten Aktienkursentwicklungen und einem großen Anteil einer Zutat, die sich nur mit „Bauchgefühl“ umschreiben lässt.

Dabei passieren naturgemäß Fehler: wurden die Zahlen des deutschen Stromversorgers RWE diese Woche anfangs noch als „enttäuschend“ bezeichnet, war spätestens nach dem Conference Call klar, dass die Firma auf ihrem Restrukturierungsweg Fortschritte macht. Die Aktie drehte daraufhin von über -5% noch um über 4% in Plus. Offensichtlich lag der Fokus der Kommentatoren hier auf dem falschen Bereich (den aktuellen Quartalszahlen), während die Anleger etwas weiter in die Zukunft blickten (passiert nicht oft, aber manchmal!).

Ein weiterer Fehler, der in der morgendlichen Hektik oft passiert, ist, der Firma zu glauben. Was sich im ersten Moment hart anhört, ist bei näherer Betrachtung eine ganz alltägliche Sache: Viele Unternehmen verwenden Spielräume bei der Interpretation von Zahlen, um gewisse Kerngrößen, die im Fokus der Analysten stehen, besser aussehen zu lassen. Ein schönes Beispiel waren hier die Q2/16 Ergebnisse der OMV. Bei Ölkonzernen spielt der Preis des schwarzen Goldes naturgemäß eine wichtige Rolle. Preisbewegungen können jedoch die eigentliche operative Entwicklung überlagern: Steigt der Ölpreis steigt auch der Wert des Öls, das die Firma gerade auf Lager hat um es in Raffinerien etc. zu verarbeiten; da üblicherweise recht viel Öl im Unternehmen „gebunden“ ist, können diese „Aufwertungen“ erheblichen Einfluss auf die G+V in einem einzelnen Quartal haben. Um diese Verfälschungen zu eliminieren, fokussieren sich die Analysten gerne auf das „saubere“ EBIT, ohne diese sogenannten CCS-Effekte (der Ölpreis wird konstant gehalten, es gibt also eine Constant Cost of Supply).

Damit das EBIT aber wirklich „sauber“ ist, werden üblicherweise auch Einmaleffekte rausgerechnet, wie Erträge aus Anlageverkäufen etc. Hier fängt jedoch der Interpretationsspielraum an: Ist eine Abschreibung auf ein Ölfeld wirklich ein Einmaleffekt, wenn klar ist, dass das Unternehmen einige Felder zu überhöhten Kosten eingekauft hat und hier in Zukunft noch weitere Kosten auftreten könnten (die OMV beispielsweise hatte diesen „Einmaleffekt“ bisher in beinahe jedem Quartal seit dem Ölpreisverfall…)? Sind Erträge aus der Aufwertung von Lieferverträgen, die auf höheren Gaspreisen in der Zukunft basieren, als einmalig zu sehen, oder ist das Teil des „operativen Geschäfts“. Ersteres wird in der Regel bejaht während Zweiteres von der OMV als regulären Geschäft gesehen wurde, wodurch das „Clean CCS EBIT“ deutlich über den Erwartungen lag. Dass dies vor allem an der sehr guten Entwicklung im Gasbereich lag, der trotz sinkender Absatzpreise auf beinahe alchemistischem Weg deutliche Steigerungen beim Ertrag melden konnte, fällt dabei erst bei näherer Betrachtung auf…

Ein weiterer Faktor, der oftmals zu Verwirrung führt sind die Ausblicke der Firmen. Da wir uns als Investoren ja einen Anteil an den zukünftigen Erlösen der Firma kaufen (eine Tatsache, die zwischen Hochfrequenzhandel und Indexfutures oftmals untergeht), ist der Ausblick wie bei unserem RWE-Beispiel oben oftmals deutlich wichtiger, als die eigentlichen Quartalszahlen. Dementsprechend sind Änderungen beim Ausblick in der Regel von großer Kursrelevanz, was auch dazu führt, dass die Firmen bei Abweichungen von ihren bisherigen Schätzungen zu Ad-Hoc-Meldungen verpflichtet sind. Im Vergleich zu manch anderen Behörden dürfte die heimische FMA deutlich strenger sein, was die Interpretation von „kursrelevanten Daten“ angeht. Um hier Verfehlungen zu vermeiden bedienen sich die Unternehmen daher gerne einer recht einfachen Taktik: Schwammige Formulierungen, nach dem Motto: wenn ich nichts Konkretes sage, kann sich auch kaum etwas ändern.

Manche Firmen vollbringen hier sprachakrobatische Meisterleistungen: Durch „gezielte Investitionen“ und „Umsetzung der laufenden Restrukturierungsmaßnahmen“ wird man „gut aufgestellt sein“ um „den nächsten Aufschwung optimal zu nutzen“. Damit ist man als Unternehmen zwar sicherlich vor jeder Anklage durch die Behörden gefeit, eine Anlageentscheidung darauf aufzubauen ist jedoch gleichermaßen schwierig. Ein klassischer Fall von „gut gemeint (strenge Regelungen bei Ad-Hoc-Meldungen zum Schutz der Anleger) ist oft das Gegenteil von gut“. Dementsprechend werden diese Formulierungen in weiterer Folge von Analysten in ihre Einzelteile zerlegt, um vielleicht doch noch Einsicht zu gewinnen. Ob es sich jedoch bei kleinen Änderungen in der Formulierung wirklich um eine „Anpassung der Guidance“ handelt, weiß man oftmals erst nachdem man direkt mit dem Management gesprochen hat, einer der Gründe wieso Conference Calls immer wichtiger werden…

Insgesamt zahlt es sich also oftmals aus, sich etwas Zeit zu nehmen um sich die Berichte auch wirklich im Detail anzusehen und die Conference Calls abzuwarten. So manche Zahl lässt sich erst bei näherer Betrachtung erklären und richtig interpretieren. Nicht immer sind die morgendlichen Newsletter der Weisheit letzter Schluss. Außer unserer natürlich!

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