Blog-Bild:"Bruch-Pilotin"

Diese Überschrift soll keineswegs respektlos, despektierlich oder Aufsehen erregend gelesen werden!

Viel eher drängte sich diese Headline dafür auf, ein Gefühl zu beschreiben, welches u.a. auch im Zusammenhang mit diesem grausamen Flugzeugabsturz steht. Ein Gefühl, welches ich am ehesten mit dem Begriff Weltschmerz bezeichnen würde. Klingt vorweg ziemlich trostlos. Ja, und ist es zuweilen auch.

Spätestens seit der Katastrophe überm großen Teich, als Flugzeuge in hohe Häuser krachten, befiel mich ein seltsam unangenehmes Gefühl. Damit war ich sicherlich nicht alleine, die ganze Welt war schockiert und stand irgendwie still. Wie lange? Bis heute werden wilde Spekulation über die tatsächlichen Hintergründe diskutiert. Was auch immer dahinter steckt, oder auch nicht, es war prägend für die Zeit danach, bis dato.

Ich bin in meinem Leben noch nicht allzu oft mit dem Flugzeug unterwegs gewesen. Obwohl ich ein wenig unter Höhenangst leide, empfand ich dieses Abenteuer jedoch  sehr schön. Meist war ich sehr bemüht, unbedingt einen Sitzplatz beim Fenster zu bekommen, um das faszinierende Schauspiel in 10.000 Meter Höhe über den Wolken zu bewundern. Selbst die spektakuläre Landung damals in Funchalmachte mir keine Angst. Es war eben ein erregendes, spannendes Erlebnis. Auch der Gedanke, was denn nun wäre, wenn der Flieger tatsächlich abstürzt erzeugte in mir keinerlei Furcht. Wahrscheinlich steht man dabei ohnehin derart unter Schock, und ist machtlos. Das Ende ist ein Definitives. Was in diesem speziellen Fall für mich irgendwie beruhigend ist. Klingt möglicherweise etwas seltsam, doch ich möchte nicht bei den Überlebenden dabei sein. Wenn der Großteil der Mitpassagiere ums Leben kommt. Ich denke, ich könnte damit nicht leben.

Ich fürchte nicht vor dem Tod.

Nur das Leben macht mir manchmal Angst.

Ich fürchte mich nicht vor den Toten.

Nur die Lebenden machen mir manchmal Angst.

©Bluesanne

Das Allerschlimmste Leid betrifft ohnehin die Hinterbliebenen. Der Schmerz, die Verzweiflung, die Wut, der Zorn und die Hilflosigkeit begleiten diese Menschen oft über Jahre. Gerade bei Vorkommnissen dieser Art. Eben eine Art dieser Trauer habe ich ständig im Herzen. Nicht nur bei schrecklichen Katastrophen. Da reicht oft schon ein dramatisches Unglück anderer Art. Was genau der Auslöser dabei ist, kann ich nicht genau sagen. Es ist dann einfach so, dass es schmerzt. Ich weine, ich bin unendlich traurig und bekomme körperliche Beschwerden. Das kann Migräne sein, der Magen krampft sich brennend zusammen oder oft bin ich extrem erschöpft, obwohl ich mich gar nicht körperlich betätigt habe. Es nimmt mich im wahrsten Sinne des Wortes, mit.

Ich stehe als eine Art Zielscheibe mitten im Schmerz, welcher mich voll und ganz trifft. Man könnte jetzt meinen, es gibt die Möglichkeit des Ausweichens, des sich Abwendens, einfach nicht Hinschauen, Hinhören und schon überhaupt nicht Hinfühlen. Doch darauf habe ich kaum Einfluss. Da hilft kein Ablenken, kein dran denken oder zur Seite schieben.

Gestern ist ein gutes Beispiel für mein seltsames inneres Gespür. Nach meiner Therapie, ließ ich ein wenig meine Gedanken fliegen und meinen Körper entspannen. Am liebsten tue ich das im Kaffeehaus. Ein Ort, um mit mir alleine zu sein - unter Menschen. Entspannt konnte ich mich auf einer sonnigen Terrasse dem Kaffee und meinem Kopfkino hingeben. Mein Geheimnisträger-Tagebuch, mein Beichtstuhl, mein Papier-TherapieCenter ist stets mit dabei. Ich zückte also meine Füllfeder und begann zu schreiben. Wenn ich das tue, zerbreche ich mir nicht den Kopf über ein bestimmtes Thema, die Rechtschreibung, die Satzstellung oder sonstige Dinge. Es ist so, als würde ich ein intuitives schriftliches Bild meiner Seele, meines Herzens malen. Viele Worte landen dann auf den Seiten, dennoch sind sie ein einziger Gedanke.

Panta Rhei, wie man so schön sagt. Und gestern floss es ziemlich stark und dicht. Ein gigantischer Tinten-Buchstabenschwall ergoss sich auf den Seiten. Dabei bin ich völlig losgelöst von dem Treiben um mich herum. Meine Welt, meine Gedanken, meine Seele, mein Herz ganz alleine. So bekam ich auch in den dort, über Lautsprecher eingeschalteten Radio, nichts von dem mit, was in diesem Moment auf der Welt geschieht. Lediglich einzelne musikalische Töne streiften zuweilen meine Ohren. Ich schrieb und schrieb und schrieb und es wollte kein Ende nehmen. Meine Kaffeetasse war längst leer, Geld für eine zweite hatte ich keines mehr, also begnügte ich mit den letzten Tropfen Wasser. Zwischendurch legte ich die Feder immer wieder aus der Hand. Aber es war noch nicht vorbei, da kam schon die nächste Charge an Worten. Schlussendlich waren es 10 handgeschriebene A5 Seiten, in etwa 2 – 3 Seiten A4 in Druckschrift auf dem PC abgetippt. Wer es noch genauer wissen möchte: 5200 Zeichen (exkl. Leerzeichen) in 1017 Wörter.

Als ich den letzten Punkt gesetzt hatte, war ich erleichtert, zugleich drückte irgendwo im Körper ein weiterer Gedanke. Ziemlich müde und ein wenig ausgelaugt von dem Schreibprozess fuhr ich nach Hause. Da ich diese Symptome in mir nur allzu gut kenne, habe ich bewusst kein Fernsehen aufgedreht. Aber man entkommt heutzutage den Nachrichten und Meldungen aus der Welt kaum. So sprang mich auch gleich die Schlagzeile im www. an. Ich schloss die Augen und versetzte mich gedanklich zurück an den Kaffeehaustisch. Abermals hatte ich eine Antwort darauf gefunden, warum diese Augenblicke der Einkehr scheinbar aus heiterem Himmel passieren. Sie stehen jedes Mal in Zusammenhang mit einem Erlebnis.

Mag man es jetzt für eine Spinnerei halten, einen Zufall oder in einem völlig anderen Kontext suchen oder finden wollend.

Für mich war der Umgang in den ersten Jahren damit, schauerlich. Stets im Moment des Geschehens von einen derart eigenartigen mulmigen unbeschreiblichen Gefühl überfallen zu werden. Es gab schon Situationen, wo ich in einer absolut fröhlichen Stimmung, von einer Sekunde auf die Andere beinahe paralysiert da stand. Mitten in einer illustren Runde, wo mich die Menschen  entsetzt ansehen und nach meinem Wohlbefinden fragen. „Du bist plötzlich so blass, so ruhig, alles in Ordnung?“

Was soll ich darauf antworten? Ich spüre ein Unheil, ich fühle ein schreckliches Unglück, das in diesem Augenblick passiert?

Offenbar steht es auch in Zusammenhang mit meiner psychischen Erkrankung. Vorwiegend spielen sicherlich auch die unzähligen Traumata (PTBS) eine Rolle. Diese unterbewussten Berührungen von irgendwo da Draußen, die voll und ganz wie ein tonnenschwerer Jumbojet mit mehr als 1 Mach Geschwindigkeit in meine Seele krachen.

Ein Reiz, der bestimmte instinktmäßige Verhaltensweisen auslöst. Genannt: Trigger. Dieser Begriff wird ebenfalls in der Elektronik, Physik und Tontechnik verwendet. Starke psychische oder physische Erschütterungen und Verletzungen die im Unterbewusstsein noch lange wirksam sind. Die Gewalt aus der Vergangenheit hat eine gewaltige Auswirkung auf die Gegenwart und die Zukunft.

Wie, warum, wieso, weswegen werde ich wahrscheinlich sicherlich bis an mein Lebensende nicht ergründen können. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob ich das gesamte Ausmaß an Schmerz der Vergangenheit wissen und mir ins Bewusstsein holen möchte. Dazu fühle ich mich zumindest im Augenblick viel zu instabil. Außerdem, wie viel Zeit bleibt mir tatsächlich noch? Ich weiß es ja nicht.

Deshalb habe ich im Laufe der Jahre mit diesem Trigger-Impuls leben gelernt. Ab und an, nimmt er eine sehr bereichernde Funktion ein. Er kann mich auch vor unnötigen neuen zusätzlichen Verletzungen bewahren. Sodass ich nicht bewusst in ein neues Unheil renne.

Aber ich kann diesen Impuls auch für positive Schwingungen (aus)nutzen. Ich folge ihn dann vertrauensvoll, lasse mich furchtlos auf mein Bauchgefühl ein. Jedes Mal ein spannendes und aufregendes Experiment, welches eine enorme Bereicherung für mich darstellt. Das Spüren ist hier ebenso um ein vielfaches verstärkt, nur eben im positiven Sinne. Eine Intensität die selbst einem Rausch nicht ähnlich kommt. Nein, ich nehme keine Drogen. Ich saufe auch nicht. Nehme ganz selten Medikamente zu mir. Lediglich literweise Kaffe.

Das bewusste Einlassen auf diese Kraft und Energie von Emotion kostet jedoch enorm viel Substanz. Mag sein, dass ich dadurch vielleicht ein paar Tage weniger lebe, aber das ist es mir wert. Egal ob es nun die grauenhaften Schmerzen sind oder eben die sorglosen Reisen in die schönen Sphären meiner Seele. Ganz tief, ganz stark, ganz intensiv. Mir ist es enorm wichtig, das Leben zu spüren.

Wenn auch die Konsequenzen daraus auch nicht immer sehr positiv sind.

Ein Fahrzeug mit enorm hoher PS-Zahl fährt sich auch nur gut, wenn man voll aufs Gas steigt. Bei allem Risiko, dass damit verbunden ist. Selbstverständlich unter Bedingungen, wo man nicht andere Personen in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Falls mich wer fragen sollte, wie ich den wirklich gerne lebe: Sehr intensiv!

Von völlig durchgedreht, aufgedreht, im Rausch der Musik, der Liebe oder anderen erfreulichen Dingen. Bis hin zu todtraurig betrübt und dem Sterben näher als dem Leben. Noch fehlt mir ein wenig Mut und Energie, das weiterhin so exzessiv durch zu ziehen. So wie ich es schon einige Jahre getan habe.

Motto: Scheiß drauf! Einfach tun - was kann geschehen? - es geht gut - es geht schlecht. Wenn ich es nicht tue, passiert gar nichts!

Besonders wichtig ist mir jedoch, und aber vor allem meine MitMenschen rundum nicht aus den Augen zu verlieren. Die, mit denen ich oft sehr mitfühle, deren Schmerz auch meiner ist, jedoch auch deren Freude. Ich nehme daran enormen Anteil. Ein gewaltiges Ausmaß an Mitfühlen . Es bereichert mich, und vielleicht auch andere Menschen.

Ich lasse mich gerne auf diese Momente ein, solange sie intensiv und echt spürbar sind. Entweder ich bleib oben, oder ich stürz ab. Der Rest ist weniger bedeutsam für mich. Auch, wenn dieser mich ebenso treffen kann.

Ich habe Schmerzen

Menschen leiden

Ich bin müde

Menschen sind erschöpft

Ich habe kein Geld

Menschen sind arm

Ich bin traurig

Menschen weinen

Ich bin schwach

Menschen gebrechlich

Ich bin verunsichert

Menschen haben Angst

Ich bin unzufrieden

Menschen führen Krieg

Ich bin träge

Menschen untätig

Ich kann nicht scheißen

Menschen scheißen sich nichts

Ich bin fertig

Menschen am Ende

©Bluesanne(05.09.10)

Manchmal sind mir nahe Menschen ferner, als ferne Menschen mir nahe sind.

♥©Bluesanne

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