Blog-Bild:"Bluesanne-Minis / 5 Sinne"

Heute Vormittag rief mich meine Tante an. Sie braucht Benzin. Benzin? Für den Rasenmäher. Verstehe. Ob ich sie nicht zur Tankstelle fahren könne. Klar doch, obwohl das Bremslicht an dem Auto meines Sohnes nicht funktioniert. Ist ja nicht so weit der Schrebergarten meiner Tante. Frühstücke noch schnell fertig, düse los und versuche so wenig wie möglich in eine bremslige Situation zu kommen.

Bei ihr angekommen steige ich um auf den Wagen ihres Lebensgefährten. Die Beiden kennen sich seit über vierzig Jahren und haben auch ein gemeinsames Kind. Seit geraumer Zeit leidet er an Demenz. Sie, meine Tante, die mir als Kind schon die Windeln gewechselt hat, kümmert sich um alles. So auch um den kleinen Schrebergarten. Ein schmaler Streifen Natur mit jeder Menge Arbeit verbunden. Gerne hätte ich auch so ein kleines grünes Paradies, doch mir ist es dort zu eng. Die einzelnen Parzellen sind so knapp nebeneinander, dass jeder alles von dem mitbekommt, was der andere tut oder auch nicht tut. Die Regeln in einem Schrebergarten sind streng. Somit reicht es mir, ab und zu die Vorzüge dieser Gartenzwergkolonie zu genießen.

Aber zuvor noch eben Benzin von der Tankstelle holen. Mit einem Auto, in welchen ich mich erst einmal zurechtfinden muss. Ein ziemlich junger Mittelklassewagen, mit allen was ein modernes Auto so zu bieten hat. All das, was meine bisherigen Gefährte nie hatten. Doch für die kurze Strecke, reichte es mir die grundlegenden Pedale und Schalter zu finden. Lediglich die Handbremse suchte ich in der mittleren Konsole vergebens. Hier befand sich lediglich ein Druckknopf. Soll mir auch Recht sein. Wenn es den Zweck erfühlt. Servolenkung, welch ein Luxus beim Parken. Unterwegs erzählt mir meine Tante (vor knapp 2 Monaten hat sie ihren 70er gefeiert), dass sie gerade dabei ist, den Führerschein zu machen. Ich finde das fantastisch, und obendrein bin ich davon überzeugt, dass sie das schafft. Schnell machen wir noch Halt bei einem Supermarkt, um ein paar Lebensmittel für ihren kleinen Haushalt im Schrebergarten ein zu kaufen. Kurz vor der Kasse, fragt sie mich, ob ich den nichts brauchen würde. Brauchen schon, aber ich habe kein Geld dabei. In diesem Monat ist es wieder einmal verdammt eng mit den Finanzen.

Zurück im Garten, genieße ich die Sonne auf der Bank vor dem kleinen Gartenhäuschen. In all den Jahren, die ich hier schon herkomme, hat sich kaum etwas verändert. Alles hat hier seine Ordnung und seinen Platz. Fast schon ein wenig unnatürlich sieht die Wiese aus. Wenn da nicht ein paar vorwitzige Gänseblümchen durchblitzen würden, könnte man meinen, es ist Kunstrasen. Die vier Obstbäume sind fast bis zur Unkenntlichkeit zurück geschnitten. Hoffentlich trägt zumindest der Marillenbaum heuer wieder Früchte. Ich würde mich darüber wieder riesig freuen. So wie in den letzten beiden Jahren, wo ich insgesamt etwa zwanzig Kilo dieser köstlichen Früchte nach Hause nehmen durfte. Für dutzende Gläser selbstgemachter Marmelade, Knödel, Strudel und anderen delikaten Leckereien. Meine Tante meinte nur, sie habe noch reichlich Marmelade zu Hause, ich könne gerne welche haben. Dankend lehne ich ab. Ich versuche ihr zu erklären, dass ich sie lieber gerne selbst mache. Irgendwie versteht sie das wohl nicht ganz.

Es ist relativ ruhig im Garten, lediglich meine Tante ist ständig in Bewegung. Zwischendurch immer wieder die Frage, ob ich denn nicht was Trinken oder Essen wolle. Mir reicht Kaffee und ein Glas Wasser. Ich frage mich, ob das ihr Leben ist, welches sie sich wünscht. Ich glaube, sie fragt sich das nicht. Sie tut das, was sie tun muss. Meint, tun zu müssen. Den kranken Mann versorgen, den Garten bewirtschaften, ihre Wohnung sauber halten, einkaufen und jetzt den Führerschein machen.

Sie hat ausreichend Geld zum Leben. Sie hat einen Partner. Sie hat so viel Energie, um all das zu tun, was sie tut.

Aber dennoch beneide ich sie nicht. Ich würde nicht tauschen wollen.

Ich habe in all den Jahren ihre Beziehung mit diesem Mann verfolgt. Ich habe in all den Jahren gesehen, was sie sich an Dingen leisten konnte. Ich habe in all den Jahren mitbekommen, wie oft sie schon in ferne Länder reisen konnte. Niemals hatte ich den Eindruck, dass irgendetwas nicht möglich gewesen wäre, weil kein Geld da war. Das Geld haben sich die Beiden immer schwer erarbeitet. Es hat ihnen viel ermöglicht und tut es noch immer.

Aber dennoch beneide ich sie nicht. Ich würde nicht tauschen wollen.

Warum? Ich habe in all den Jahren, selten den Eindruck gewonnen, dass sie liebt. Diesen Mann liebt. Gut, ich kann mich irren. Aber es hat sich nie so angefühlt aber sie hat auch nie von Liebe gesprochen. Vielleicht ist es eine andere Art von Liebe. Irgendwas fehlte mir da immer. Ich denke, es ist sowas wie Leidenschaft und Zufriedenheit in dieser Konstellation.

Sowie auch in all den mit Geld erstandenen Dingen. Sie wurden gekauft, benutzt, gebraucht, hingestellt, abgestellt, verwendet, ausgetauscht und sie standen jederzeit zur Verfügung. Dutzende Urlaube, von denen ich zwar Fotos oder Souvenirs zu Gesicht bekommen habe. Jedoch niemals wirklich schöne Geschichten. Erzählungen in denen ich erkennen konnte, dass die Zeit zu Zweit einfach schön war. Irgendwas fehlt mir hier ebenso. Ich denke, es ist wohl auch Leidenschaft und Zufriedenheit.

Während ich meinen Gedanken nachhänge und die kleinen tierischen Gartenbesucher beobachte, hat sie schonwieder tausend Dinge getan. Außerdem muss sie jetzt los. Zu ihrem Mann, mit dem sie nicht verheiratet ist. Weil dieser sich nie von seiner Ehefrau hat scheiden hat lassen. Eine seltsame Verbindung.

Während wir zu meinem geliehenen Auto meines Sohnes gehen, fragt sie mich, was ich den „dafür kriege?“ Wofür? Für eine Selbstverständlichkeit, für eine kurzen Moment in einem Luxusauto zu fahren? Für ein paar Stunden Sonnenschein in einem kleinen grünem Paradies? Auch, wenn es nicht ganz so meines ist. Da mir die Ehrlichkeit immer auf der Zunge liegt, sage ich zu ihr: „Ich sag Dir, wie es ist, ich habe nicht ausreichend Geld bis zum Monatsende, deshalb ist es in Ordnung, wenn Du mir ein wenig gibst.“ Sie steckt mir zwanzig Euro zu. Dankbar stecke ich es ein.

Fahre ohne Bremslicht heimwärts und besorge das Notwendigste zu Essen. Zu Hause auf meinem Sofa, wird mir noch bewusster,  was ich will. Was ich in meinem Lebennie missen möchte. Dieses Irgendwas, was mir in diesem Schrebergarten einfach fehlt.

Liebe, Leidenschaft, Gefühle, Emotionen mit all ihrer vielfältigen bunten Bandbreite. In all ihren Facetten.

Samt Schmerzen, Tränen, Trauer, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Sehnsucht, Schlaflosigkeit, Angst, Ungewissheit, Hilflosigkeit, Scham, Schwäche, Ratlosigkeit, Musik und Kälte.

Jedoch auch mit Neugierde, Freude, Lachen, Kreativität, Phantasie, Zärtlichkeit, Freiheit, Chaos, Rausch, Unendlichkeit, Abenteuerlust, Zweisamkeit, Energie, Musik und Wärme.

Vielleicht hat sie es ja auch, und es versteckt sich irgendwo in diesen kleinen Schrebergarten.

©Bluesanne bedankt sich fürs Lesen

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