Endlich einmal wieder komme ich zum Durchatmen. Als ich einen Schluck von meinem Glas Rotwein nehmen will, das ich mir gerade genüsslich gönne, sehe ich eine Mücke am oberen Glasrand krabbeln. Beim Versuch, sie mit dem Finger herauszufischen, stürzt sie ab und landet natürlich flatternd im Wein. Erst dann sehe ich, dass bereits zwei andere im Bassin mitschwimmen. Beschwipstes Mückentreibgut. Wie ärgerlich! Mein Blick streift durch den Raum. Weitere schwarze Punkte auf der gelben Wand. Die habe ich bisher gar nicht bemerkt. So recht betrachtet habe ich eine ganze Mückeninvasion am Hals. Woher kommen die nur? Es ist Winter! Nirgendwo sehe ich noch Insekten schwirren. Haben die nicht alle Winterschlaf zu halten? Bei mir ist es weder warm noch herrschen optimale Bedingungen für das Getier. Na gut, ein bisschen dreckig ist es schon. Aber nur ein bisschen. Wie sagt man? Die gesunde Portion? Allerdings will ich nicht aus der Mücke einen Elefanten machen.

Den Insekten-Elefanten habe ich schon erlebt. Ein paar Male hatten sich nämlich Lebensmittelmotten in unserem Domizil  eingenistet. Daran tragen ich und mein Dreck allerdings keine Schuld. Höchstens die Qualitätssicherung der Lebensmittelkonzerne. Meistens sind Rosinen und Müsli verseucht. Ich habe nämlich meine eigenen Studien am Laufen, weil ich den Dingen auf den Grund gehen muss. Hierzu leere ich die frischen Lebensmittel immer gleich nach dem Kauf in durchsichtige Glasgefäße um, die mit einem dichten Deckel gesichert sind. Reis, Gries, Rosinen, Mehl, Körner, alles in Gefäßen! Entnehme ich eine kleine Menge, steht das Gefäß niemals unbeaufsichtigt offen herum. Trotzdem, Motten!

Die Viecher sind äußerst hartnäckig. Schwirrt so ein Schmetterling durch die Luft, musst du sofort handeln. Alles wegschmeißen und Phäromonfallen aufhängen. Leider sind die Flugwürmer extrem dumm. Kaum packst du die klebrige Falle mit dem Duftstoff aus, sind sie ganz aus dem Häuschen und fliegen abrupt von ihrem Sitzplatz auf, flattern wirr herum und finden doch nicht dorthin wo sie sterben sollen. Obwohl sie dorthin wollen! Irgendwann sitzen sie dann an einer Kastentüre, wo sie mit einem Blatt Küchenrolle in den sicheren Tod zerdrückt werden. Ich sag ja, ganz dumm! Eine Fliege lässt sich nur sehr schwer fangen, die Reaktion der Motte ist gleich Null. Aber eins muss man ihnen lassen. Zum Futter finden sie…Einmal nach so einer Mottenplage habe ich ein Plastikgeschirr mit Sonnenblumenkernen ganz hinten im Schrank vergessen. Eigentlich ist das nicht die korrekte Formulierung. Ich vermute nämlich nur, dass dort einmal Sonnenblumenkerne gewesen sind. Beim Aufräumen und Überprüfen der Lebensmittel öffne ich damals das besagte Geschirr ganz neugierig. Noch dazu eng an meinem Gesicht, damit es sich auszahlt. Großer Fehler. Tadaaaa! Zum Vorschein kommt eine Masse. Eine Mottenwurmmasse. Grün. Schimmelgrün! OMG! Wie haben die sich nur so vermehren können? Und was war zuerst da? Der Schimmel oder der Wurm? Ekel. Igitt. Wäääääää! Ich möchte schreien. Ich ertappe mich dabei, wie ich bereits hysterisch umherplärre. Das Geschirr liegt in der Abwasch. Hineingepfeffert von mir höchstpersönlich. Ich bewege mich, veranstalte eine Art Ekel-Eingeborenen-Tanz mit wild schüttelnden Händen und heraushängender Zunge. Wäääää! Gänsehaut. Ekel-Gänsehaut!Als ich mich beruhigt habe, bin ich nicht ruhig, denn sogleich erkenne ich des Pudels Kern: Das Problem ist ungelöst! Ein Geschirr, das mir zu wertvoll ist, um es als ganzes zu entsorgen, liegt geöffnet in der Abwasch und der tropfende Wasserhahn befeuchtet die graugrün schleimige Motten-Grütze, die hierdurch noch schlatziger wird und jetzt auch noch droht, auszulaufen. Es muss etwas geschehen. Ist da jemand? Niemand ist da. Wie immer, wenn es nötig wäre! Meine bessere Hälfte wäre sich ohnehin zu gut, das wertvolle Geschirr noch zu retten. Da bin ich mir ganz sicher. Schon wieder ist ein Moment verstrichen, in dem der kompakte Grind sich zu lockern droht. Ich zwinge mich hinzublicken. Da, es bewegt sich was! Wäääää! Der Tanz beginnt von Neuem. Ein Fruchtbarkeitstanz? Ein Schamanentanz, um das Böse zu vertreiben? Das Böse will nicht weichen…Zu groß, um vom Wasser hinweggespült zu werden, zu klein, um den Kammerjäger zu rufen…Der rettende Gedanke weist mich auf die Gummihandschuhe hin, die noch im Haushaltskasten liegen müssen. Unverwendet, da ich mir lieber reglemäßig die Haut ruiniere. Dafür sollen diese mich vor dem Grind schützen, der wahrscheinlich weniger schädlich ist als jedes Putzmittel. Machen die nicht sogar Kosmetik aus Würmern? Das Bild in der Abwasch will sich nicht mit zarter Porzellanpuppenhaut und Lippenstift decken. Eher mit einer Jungle-Camp-Challange..Mein Ganzkörperkondom übergezogen ergreife ich das Gefäß des Verderbens und halte es so weit entfernt vom Körper wie es die Länge meiner Arme erlaubt. Ein Löffel, den ich wohl zusammen mit dem Geschirr verbrennen werden muss, schaufelt die zusammenhaftende Mottenmasse in den Mistkübel. Danach wird geschrubbt und gewaschen, desinfiziert und der Geschirrspüler betätigt, denn wie gesagt, Gefäß und Löffel sind mir zu wertvoll zum Verbrennen. Der Spuk ist vorbei, als der Mistsack den Hof erreicht hat. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nicht ganz. Nur beim Denken daran überkommt mich eine neuerliche Ekelwelle. Sind doch nur Motten und Würmer. Prominente lassen sich freiwillig im Studio-Urwald davon überschütten. Sie verspeisen diese sogar! Na gut, ich bekomme keine Gage für meinen Schlatz im Kastel, darin liegt wohl der subtile Unterschied..

Fest steht,  eine Motten-Mückenschar-Chaos-WG ist eher suboptimal. Deshalb betrachte ich die Situation einmal ganz human und entscheide undemokratisch, dass es in dieser Wohnung langfristig nur einen Parasiten geben kann – mich!

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Naladin

Naladin bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:55

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