Wie passt das zusammen, wird die werte Leserschaft jetzt fragen.
Ich bin natürlich keinesfalls dafür dankbar, dass mich diese Krankheit überhaupt getroffen hat. Ich bin viel mehr dafür sehr dankbar, WIE ich das alles überstanden habe. Und, dass ich trotz mancher Unzulänglichkeiten und Schönheitsfehler wieder ein selbstbestimmtes und glückliches Leben führen kann.
Dazu gibt es eine Vorgeschichte, die über 3 Jahrzehnte zurückliegt und die mich bis vor knapp vier Jahren auch nicht mehr beschäftigt hat. Damals, im Jahr 1982 war ich 19 Jahre, absolvierte gerade das zweiten Semester an der Uni und mein Leben bestand vorwiegend aus Party. Ich hatte relativ wenig Gedanken an die Zukunft, alles fand im Jetzt statt. Durch ein besonderes Missgeschick hatte ich mir das Nasenbein gebrochen und musste mich einem operativen Eingriff unterziehen, der mir einige Tage auf der Bettenstation der HNO-Abteilung bescherte. Man möchte es ja fast nicht glauben wie schmerzhaft eine derartige Operation ist. Ich konnte mir nicht vorstellen, weshalb sich jemand freiwillig die Nase korrigieren ließ. So verbrachte ich knapp eine Woche in einem Sechs-Bett-Zimmer. Eine HNO-Abteilung ist ja nicht unbedingt ein Ort, an dem man einen Schönheitspreis als Patient gewinnen kann. Eingriffe im Kopfbereich entstellen mitunter für eine gewisse Zeit. Manchmal auch ewig……
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Eine der Zimmerkolleginnen war eine ältere Frau, die an einem Kiefer- und Zungenkarzinom erkrankt war und der man einen großen Teil des Unterkiefers und beinahe die gesamte Zunge entfernt hatte. Es fehlte wahrhaftig ein Stück ihres Gesichtes und ich empfand diesen Anblick damals als Zumutung. Ich erinnere mich, dass ich wirklich sehr froh war, als man einen Paravent vor ihrem Bett aufstellte und ich meine Blicke nicht mehr auf sie richten musste. Ja, ich fand das ganze ziemlich abstoßend. Ich weiß noch, dass bei einer Visite über die sehr geringen Überlebenschancen gesprochen wurde. Meine Gedanken kreisten darüber, dass man nach einer derartigen Erkrankung eigentlich besser versterben sollte.
Nie und nimmer hätte ich mir damals vorstellen können, selber von einer derartig zerstörenden Krebsform betroffen zu sein. Ich hatte diese Zimmernachbarin nach meiner Entlassung sehr schnell vergessen, vielleicht habe ich ein-, zweimal darüber nachgedacht, ob sie noch am Leben sein würde.
Das erste Mal kamen all diese beklemmenden Bilder aus dem Frühjahr 1982 im Sommer 2011 wieder hoch. Je näher mein Operationstermin rückte, desto öfter hatte ich das zerstörte Gesicht dieser Frau vor mir. Als ich mich vier Tage nach dem großen operativen Eingriff, wieder in einem Spiegel sehen konnte, ist mir beinahe das Herz stehen geblieben, denn ich erkannte mich nicht wieder. Mein Gesicht war nicht mehr als Gesicht erkennbar. Ständig erschien der Anblick dieser Zimmernachbarin vor mir. Es war die einzige Zeit in meiner Krankengeschichte, in der ich wirklich Angst hatte. Angst davor, für immer entstellt zu bleiben.
Es dauerte noch Wochen bis ich wieder halbwegs ansprechend aussah. Mein großes Glück ist heute, dass all meine Operationsnarben beinahe unsichtbar verlaufen, weil sie sich unter dem Kinn von Ohr zu Ohr im Halsbereich befinden. Die Narbe am Unterarm könnte auch auf einen Unfall hinweisen. Der ehemalige Durchgang der Magensonde sieht aus wie ein zweiter Nabel, die Narbe vom Luftröhrenschnitt ist plastisch so wunderbar gelungen, dass man sie nur mit viel Fantasie erahnen kann. Und die Naht an der Zunge sieht maximal mein Zahnarzt oder die Ärzte der Mund-Kiefer-Chirurgie, denn ich kann sie ohnedies nicht mehr herausstrecken.
Ja, dafür bin ich dankbar und vor allem bin ich dankbar, dass sich die medizinischen und operativen Möglichkeiten so rasant entwickelt haben. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie ich nach einer derartigen Diagnose vor 30 Jahren ausgesehen hätte und mit welchen Einschränkungen ich leben müsste. Und ich bin dankbar für das Ärzte- und Pflegeteam, das mich wochenlang liebevoll behütet hat.
Vielleicht tragen diese Erfahrungen auch dazu bei, dass ich heute keinerlei Probleme habe Menschen zu begleiten, die weniger Glück wie ich hatten und mit wirklich sichtbaren, äußeren Veränderungen leben.