Albtraum Benefiz - warum Künstler kostenlos auftreten (sollen)

Am zweiten Juliwochenende arbeiteten die Leipziger Klinikclowns honorarfrei zu Gunsten anderer sozialer Einrichtungen auf dem We Love Summer Festival in Leipzig-Grünau. Ein reflektierender Bericht und ein allgemein kritischer Blick auf Benefiz- und Charity-Veranstaltungen in Deutschland:

Klinikclowns Leipzig - Claudia Göpel

Charity- oder Benefiz-Veranstaltungen sind eine feine Sache.

Der Veranstalter (Schirmherr) hat ein großes Herz und ist sozial engagiert, Künstler und Musiker verzichten auf ihre Gage und die Einnahmen werden einem guten Zweck zugeführt. So der Plan. Wenn riesengroße Benefiz-Galas im Fernsehen ausgestrahlt werden, gibt sich die High Society die Klinke bzw. die Scheckkarte in die Hand. Die prominenten Damen und Herren spenden erquickliche Summen für Brot für die Welt, Kinder in Not oder andere Bedürftige und rufen die Bevölkerung auf, es ihnen gleichzutun.

Geben ist seliger, denn nehmen, lautet das Motto und ganz nebenbei: Sehen und gesehen werden. Natürlich werden die Spenden dringend gebraucht, keine Frage. Die Medien sind immer vor Ort und berichten zeitnah und bildgewaltig. Mehr kostenlose Werbung geht nicht! Die spendablen Gönner sonnen sich im gesellschaftlichen Glanz und genießen gleichzeitig einen unterhaltsamen Abend. Nicht nur zwei, sondern gleich mehrere Fliegen werden mit einem Hieb erwischt, denn die großzügigen Spenden werden von der Steuer als Sonderausgaben abgesetzt (bis 200 € ohne Extra-Spendenquittung, Einzahlungsbeleg reicht) und sorgen für das schöne Gefühl, etwas Gutes getan zu haben.

Definition Spende: Freiwillige Zuwendung (Geld, Sachspende oder Arbeitszeit) für einen guten Zweck - ohne Gegenleistung. Empfangsberechtigt sind gemeinnützige Vereine, Stiftungen, politische Parteien oder Religionsgemeinschaften.

Reputation? Darum arbeiten Künstler und Musiker fast umsonst

Bild: INfINITY Photographie - Thomas Katrozan & Band

Was im großen Stil klappt, sollte auch im kleineren Rahmen funktionieren, denken sich engagierte Veranstalter und stellen ihr Stadtteilfest kurzerhand unter das Motto "Charity". So wie am vergangenen Wochenende in Grünau, einem als sozialer Brennpunkt geltenden Stadtviertel von Leipzig mit hoher Arbeitslosenquote und niedrigen Einkommen. Zwanzig Musikgruppen und Sänger spielten an drei Tagen (und Abenden) auf einer schicken Bühne für den guten Zweck und sollten die Besucher der Festwiese unterhalten. Die Anwesenden waren tatsächlich begeistert. Es war toll.

We Love Summer Charity Festival lautete der klangvolle Beiname des Events, das zum vierten Mal vom Event- und Sicherheitsservice Meißner auf der Festwiese Lausen-Grünau ausgerichtet wurde (07.07. - 10.07.2016). An den Nachmittagen zeigten Sport- und Kampfkunstvereine ihr Können, Hortkinder der 100. Grundschule führten Märchen und Tänze auf. Für den Stadtteil-Nachwuchs standen Hüpfburgen, Karussells, Zauberei, Luftballonmodellage und Kinderschminken auf dem Festivalgelände bereit. Langeweile praktisch ausgeschlossen. Für das leibliche und geistige Wohl der Erwachsenen sorgten Trinkpavillons, Gourmetbuden, Schausteller, ein Fußballturnier und natürlich die Darbietungen auf und vor der Bühne mitsamt coolem Moderator. Zahlreiche ehrenamtliche Helfer bereiteten das Fest wochenlang vor und kümmerten sich um den Ablauf vor Ort.

"Leider" ist das Unwort dieses Leipziger Benefiz-Wochenendes

Bild: INfINITY Photographie - Nachmittagsimpression Bühne

Auf der professionell ausgestatteten großen Bühne spielten Bands wie "Party Police", "Rock Aroma", Klinge & Co.", "Ohrenpost" oder der DSDS-Drittplatzierte Thomas Katrozan, der aus Grünau stammt. Ich kann leider nicht alle Künstler aufzählen. "Leider" war das Unwort dieses Wochenendes, denn die Besucherzahlen waren sehr überschaubar! Die Bänke vor der Bühne blieben zu zwei Dritteln unbesetzt, die Leute auf dem übrigen Festgelände konnte man an einer Hand abzählen, der Kuchen vom Basar schmolz ungegessen in der Hitze des Tages! Ein Großteil der nachmittäglichen Besucher waren Freunde und Fans der regionalen Musiker.

Somit konnten diese wenigstens auf kräftigen Applaus aus den eigenen Reihen und auf ein paar gelungene Fotos für ihr Portfolio hoffen. Die Einnahmen, unter anderem aus den Eintrittsgeldern, sollten für soziale Einrichtungen gespendet werden. Dieser Obolus war nahezu unterirdisch günstig und betrug 3 Euro (ermäßigt) bzw. 5 Euro pro Tag. Für viele Stadtteilbewohner war selbst das zu viel. Kinder hatten übrigens freien Eintritt. Die Spendenbegünstigten wurden im Vorfeld bei einem User-Voting auf Facebook bestimmt, womit das Ganze unglücklicherweise an eine Lotterie erinnerte.

Bild: Klinikclowns Leipzig - Charity Grünau

In einer fairen Abstimmung sollten die Spendenbegünstigten von den Facebook-Usern gewählt werden. Zu diesem Zweck konnte jedermann mittels Umfrage geeignete Vereine benennen und diese zur Abstimmung aufstellen. Leider wurde das Voting nicht moderiert bzw. kontrolliert und so "konkurrierten" Streunerkatzen, Straßenhunde, Tattoostudio, Cheerleader, Turnvereine, Spielmobil, Helios und Caritas mit echten gemeinnützigen Einrichtungen wie Kinderhospiz, Klinikclowns und Kinderkrebshilfe. Gewinner des Spendenerlöses sind:

Kinderhospiz Bärenherz Markkleeberg, Kinderherzzentrum Leipzig und die Tiernothilfe Leipzig. Ich freue mich aufrichtig für das Kinderhospiz Bärenherz und die Tiernothilfe Leipzig, die jeden Euro Spendengeld gut gebrauchen können. Viel wird aufgrund der dürftigen Besucherzahlen nicht zusammengekommen sein. Doch selbst kleine Spenden können Großes bewirken, lautet ein bekannter Wahlspruch.

Bild: Klinikclowns Leipzig - Charity Grünau

Hinter dem Phantasiebegriff "Kinderherzzentrum" verbirgt sich jedoch keine gemeinnützige Einrichtung, sondern die Abteilung einer umstrittenen Klinik-Kette - ein gewinnorientierter Konzern, der nicht empfangsberechtigt ist und ein paar hundert Euro ohnehin nicht spüren würde. Ein fataler Irrtum, der korrigiert werden sollte? Allerdings! Sollte das zweitplatzierte "Kinderherzzentrum" (Kinderkardiologische Klinik der Helios-Kliniken GmbH) mit dem Verein "Kinderherzkammer e.V." verwechselt worden sein, dann wäre es für den Veranstalter ratsam, den Begünstigten dahingehend zu ändern. Die Empfänger wären dann die richtigen: nämlich die herzkranken Kinder, die uns Klinikclowns übrigens auch kennen.

Von den aufgelisteten Vereinen/Einrichtungen waren die Leipziger Klinikclowns am Samstagnachmittag auf dem Sommerfest präsent. Vier Clowns bespaßten knapp vier Stunden lang die Kinder der Besucher. Der Aktionstisch der Klinikclowns war ununterbrochen umlagert. Die ehrenamtlichen Spaßmacher zauberten, schminkten Kindergesichter, glitzertätowierten Kinderarme und modellierten unzählige Ballonfiguren.

Klinikclowns Leipzig - Claudia Göpel

Die Leipziger Klinikclowns (sonst jedes Wochenende ehrenamtlich für kranke Kinder in den Krankenhäusern der Region aktiv) arbeiteten einen Nachmittag lang honorarfrei zugunsten anderer sozialer Projekte ...

Bild + Text LVZ

Unglaublich dreist: Spenden, die keine sind!

Bild: Leipziger Klinikclowns beim "Karli-Beben" vor einem Fastfood-Lokal

Die Umsonst-Mentalität wirkt bei einigen Unternehmen gnadenlos! Zum Beispiel wurden die Mitglieder der Leipziger Klinikclowns kürzlich von einer großen Fastfoodkette für ein Straßenfest eingesetzt. Die Firma zahlte einen niedrigen Betrag (siehe Spendenhöhe oben, inklusive Material und Benzinkosten) für vier Clowns, die abwechselnd vier Stunden lang die wartenden Kinder samt Eltern bespaßten und Luftballons modellierten. Auf ihr Werbeplakat schrieb die Kette "Spendenburger". Den Erlös erhielten jedoch nicht die Leipziger Klinikclowns, sondern ein anderer Verein, dessen Bezeichnung bedürftiger klingt.

Denn die Klinikclowns hatten ja ihre vermeintliche "Spende" (die selbstverständlich von der Firma steuerlich abgesetzt wird) bereits bekommen! Statt ehrenamtlich bei den kranken Kindern zu arbeiten, machten sich die Mitglieder stundelang auf der Straße zum Kasper, um die Kosten für den nächsten Klinikclowneinsatz zusammenzubekommen. Das ist beschämend!

Leider kann der Normalbürger einen ehrenamtlichen Klinikclown NICHT von einem bezahlten Straßen- oder Zirkusclown unterscheiden - also, wo soll der positive Werbeeffekt herkommen, der Sponsoren zum Spenden für den Verein animieren soll?! Klinikclowns gehören ans Kinderkrankenbett und nicht auf Festanger oder Straße zu Promozwecken für andere! Obendrein nehmen sie somit den Profis, die davon leben müssen, die Arbeit weg. Doch wieso sollen die Veranstalter Künstler buchen, wenn sie diese kostenlos oder fast umsonst kriegen können?!

Klinikclowns Leipzig - Claudia Göpel

Arbeiten gemeinnützige Vereine gern am Rande des Abgrunds?

Bild: Leipziger Klinikclowns - Hufeland-Klinik Weimar

Ein wesentlicher Punkt, weshalb gemeinnützige Ehrenamtliche wie die Leipziger Klinikclowns im Vergleich zu "normalen" eigennützigen Vereinen (Sportvereine etc.) förmlich auf dem Zahnfleisch kriechen, ist die geringe oder nicht vorhandene finanzielle Wertschätzung der Nutznießer - gemeint sind die Einrichtungen, in denen die Clowns auftreten. Der Verein macht absolut nichts für sich selbst, sondern ausschließlich für andere. Jeder Klinikclown engagiert sich in seiner Freizeit bis zu 40 Stunden monatlich ehrenamtlich für kranke Kinder in den Kliniken und Hospizen der Region und darüber hinaus. Weil es in Thüringen, Sachsen Anhalt und in Ost-Sachsen keine Klinikclownvereine gibt, fahren die Leipziger Klinikclowns (mit ihren Privat-Autos) regelmäßig sogar bis nach Bitterfeld, Annaberg-Buchholz, Wurzen, Naumburg, Zeitz, Jena und Weimar! Die Klinikclowns werden begeistert und mit offenen Armen von den Krankenhäusern und natürlich den Kindern dort erwartet. Doch bis auf die Uni-Klinik Leipzig zahlt keines dieser Krankenhäuser auch nur einen Cent Unkostenbeitrag für die Arbeit der engagierten Leipziger Klinikclowns! Seit vielen Jahren nicht - weder Fahrtkosten, noch Materialkosten, noch Aufwandentschädigung. Spendenanfragen an die ansässigen Firmen werden in der Regel abschlägig mit folgender Begründung beantwortet: "Wir unterstützen keine auswärtigen Vereine."

Klinikclowns Leipzig

Die niederschmetternde Botschaft ist eindeutig: Klinikclowns machen ja alles umsonst, sie raffinieren sogar das Benzin selbst, nähen Plüschtiere für die Kinder und ihre eigenen Kostüme aus kostenlosen Stoffen gleich mit. Das Latex für die Ballons kratzen sie ebenfalls eigenhändig von den Bäumen und Süßigkeiten bekommen sie auch haufenweise von den Supermärkten geschenkt. Leider nein. Klinikclowns sind für die Begleichung ihrer Auslagen auf Spenden angewiesen und müssen (leider) bei Firmen und Privatpersonen darum betteln. Wir, die Leipziger Klinikclowns und die von uns betreuten kranken Kinder, sind für jede Spende unglaublich dankbar.

Wir verstehen jedoch auch die erstaunten Fragen der wenigen Sponsoren und Spender, weshalb die von uns regelmäßig besuchten Kliniken nichts zahlen wollen oder können. Das ist in der Tat nicht nachvollziehbar! Auf Anfrage in den Krankenhäusern heißt es oft: "Für Klinikclowns haben wir kein Budget, ihr macht das doch ehrenamtlich und bekommt dafür staatliche Unterstützung." NEIN, bekommen wir nicht!

Claudia Goepel

Auch Spaßmacher können traurig sein - Tränen hinter der Clownsmaske

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Den kompletten Artikel inklusive sämtlicher Fotos gibt es hier:

https://zaubertraumtagebuch.blogspot.de/2016/07/traum-oder-albtraum-benefiz-warum.html

Filmbeitrag: Leipziger Klinikclowns in der Kinderklinik Wurzen

Klinikclowns Leipzig

Leipziger Klinikclowns - Erika ist auf der Wolke immer dabei :)

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tantejo

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Peter Fuchs

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Claudia Goepel

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