„Kauf ned, raunz!“ - wie die geplante Obsoleszenz unseren Alltag beeinflusst

Es ist schon seit den 1930er Jahren bekannt, dass Unternehmen versuchen, die (bis dahin meist hochqualitative) Herstellungsweise so zu verändern, dass die Produkte eine verkürzte erwartete Funktionsdauer aufweisen (beispielsweise Glühbirnen, deren Leuchtdauer von unendlich auf 1000 Stunden verkürzt wurde oder die legendären Nylonstrümpfe, mit denen sogar problemlos Autos abgeschleppt werden konnten, weil die einfach so reißfest waren). Aus marktwirtschaftlicher Sicht ist eine solche Vorgehensweise verständlich, etwa um durch die ständige Neuproduktion die Arbeitsplätze abzusichern. Aber wie sieht es mit den Rechten und der Erwartungshaltung aus Sicht des Konsumenten aus?

§ 2 des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (kurz UWG) untersagt dem Unternehmer, irreführende Geschäftspraktiken anzuwenden, die geeignet sind, einen Marktteilnehmer in Bezug auf das Produkt derart zu täuschen, dass dieser dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

(Fingiertes) Beispiel: ein Druckerhersteller wirbt auf neuen Modellen damit, dass sich das Verhältnis von Leistungsfähigkeit & Lebensdauer im Vergleich zum verlangten Preis erheblich zugunsten des Verbrauchers verbessert habe. Mir ist bekannt, dass manche Druckerhersteller Zählereinheiten einbauen, die nach einer gewissen Anzahl von Kopien dazu führen, dass der Drucker funktionsuntüchtig wird – warum?! Vorgeschobener Grund sind hier Tintenkissen, die (falls sie zu oft benutzt wurden = zu viel Druckertinte aufgesogen haben) möglicherweise die Möbel des Kunden schädigen könnten. Früher stand ein Markenname für Qualität, heute dient die Marke oft nur mehr als Abgrenzung zu anderen Durchschnittsprodukten. Durch die massive (absichtliche!) Verschlechterung der Produkteigenschaften ist daher auch der Begriff der Irreführung denkbar, wenn der Konsument von falschen Versprechen zum Kauf bewogen wird.

Gewisse Neuerungen, die umweltschonend UND kostengünstiger wären, werden bewusst zurückgehalten, weil man noch zu viele der alten Einheiten auf Lager hat (konkretes Beispiel: auf einem gewöhnlichen Mobiltelefon mit Touchscreen sind unzählige Plastikschichten verarbeitet, ua. wasserabweisende Deckschicht, Schicht zur Filterung des Sonnenlichts am Display, druckempfindliche Schicht zur Weitergabe der Bewegungsimpulse, eine weitere für den Kippeffekt …). Der Hersteller (und ich nenne hier bewusst nicht den Markennamen) wird vermutlich ab der kommenden Produktversion all diese Plastikfolien durch eine einzige Schicht ersetzen und so wie gewohnt auf schlankeres Design, Gewichtsersparnis, usw. verweisen und sich dafür auf die eigene Schulter klopfen.

Der Gesetzgeber hat sich immerhin schon dazu durchgerungen, gewisse giftige und andere akut schädigende Substanzen aus dem Geschäftsverkehr zu verbannen („lebensmittelecht“, Verbot von Kinderarbeit), aber manchen Herstellern gelingt es dennoch, den Verbraucher nachhaltig zu kontaminieren. Beispiel: krebserregende Stoffe sind unter einem bestimmten Grenzwert in Lebensmitteln zulässig. Die Intention dahinter war aber sicher nicht, dass der Hersteller (zur Konservierung, als Geschmacksstoff, Farbstoff udgl.) stattdessen vier verschiedene krebserregende Substanzen knapp unter dem Grenzwert einem Produkt beimengt – nur, um der Kennzeichnungspflicht zu entgehen.

Warum macht der Verbraucher bei dem Wahnsinn auch noch mit?! Hierzu gibt es mehrere alternativ oder gar kumulativ anwendbare Gründe:

  • Die Medien & der Staat steuern bewusst den Konsumenten so, dass dieser glaubt, dass ohne Wirtschaftswachstum auch der persönliche Lebensstandard eingeschränkt werden müsse; sparsamere Produktion und Ressourcenschonung minimieren nicht zwingend den individuellen Lebensstil, da ja auch die Produkte im gleichen Ausmaß günstiger werden bzw. länger halten.
  • „Das war schon immer so“ – ein beliebter Satz beim resignierenden Konsumenten. Er ist längst gewohnt, dass die Produkte nur knapp über die Garantiefrist hinaus halten und schafft sich anschließend ein neues Gerät an (anstatt beim Hersteller nachzufragen, warum denn eine so kostspielige & hochwertige Marke bereits nach zwei Jahren kaputt geht / anstatt das Gerät günstig reparieren zu lassen).
  • Die Unternehmer bringen in immer kürzeren Abständen Produktinnovationen auf den Markt, die sich nur unwesentlich von der Vorgängerversion unterscheiden (Apple: iPhone 5 wird zu iPhone 5S) – trendbewusste Konsumenten rund um den Globus geben erneut Hunderte Dollar aus, um ganz vorne dabei zu sein.
  • Einen Beitrag leisten wohl auch die Ratenzahlungsmodelle, wo der Konsument das Gefühl für den wahren Wert eines Produkts verliert und am Ende sogar noch draufzahlt (Beispiel: das Gerät ist bereits kaputt, der Kunde bezahlt aber erst seine Null-Prozent-finanzierte fünfunddreißigste Monatsrate ab).

Die geplante Obsoleszenz kann zudem nur in einem modernen marktwirtschaftlich orientierten System funktionieren – als Gegenbeispiel die Staatsform des Kommunismus (ua. Kuba, wo Autos Baujahr 1955 noch verkehrstauglich sind). Im Kommunismus braucht man keinen Produktdesigner, keinen Top-Verkäufer oder keine Security – einfach deswegen, weil ohnehin jeder dieselben Konsumgüter verwendet, bei Bedarf erhält man Ersatz. Je länger die hergestellten Waren halten, desto seltener braucht der Staat für Nachproduktion sorgen. Kredit und Werbung, auch eine moderne „Erfindung“: ich werde nur jemandem Geld leihen, von dem ich mir sicher bin, dass er es mir zurückbezahlen kann, bei der Vergabe von Konsumkrediten gehen die Banken heute schon wesentlich vorsichtiger vor. Werbung (und damit meine ich die gesamte Branche!) brauche ich nur für außergewöhnliche, neue, teure Produkte – nach denen sucht man im Kommunismus wohl vergeblich.

Leider verlernt der Durchschnittskonsument in Mitteleuropa immer mehr, robuste und langlebige Produkte zu verlangen – ein Extremvergleich: hättest du es als Produzent vor 70 Jahren (= vor drei Generationen!) gewagt, kriegsnotwendige Funkgeräte und Schreibmaschinen so zu bauen, dass sie geplant bald auseinanderfallen, wäre wohl mal jemand persönlich vorbeigekommen. Heute – passiert eben. Rostige Schrauben, schlecht verlötet, Kratzer im Lack – weg damit!

Stefan Schridde zählt in seinem Buch „Murks - nein danke!“ verschiedene Obsoleszenz-Arten auf, dazu gehören: psychologisch (Modetrends, Baggypants sind ja heutzutage sowas von „out“), ethisch (ein bestimmtes Verhalten wird gesellschaftlich nicht mehr toleriert - etwa die Nutzung eines 30 Jahre alten Fahrzeugs mit hohen Feinstaubimmissionswerten), funktionell (verschiedene Stecksysteme von Apple, Disketten ohne dazupassenden Schlitz) und politisch (Verbot von Glühbirnen, Abwrackprämie). Schridde empfiehlt weiters, dass „dem Hersteller neben seinen Informationspflichten auch Kennzeichnungspflichten auferlegt werden sollten. Produkteigenschaften, die dessen Nutzung oder Nutzungsdauer einschränken, müssen vor Kauf ersichtlich sein. Wenn ein Produktgehäuse verklebt und deswegen nicht reparierbar ist, sollte dies zum Beispiel auffällig auf der Verpackung gekennzeichnet sein. Dies gehört zu den Aufklärungspflichten des Handels, will er den Vorwurf der arglistigen Täuschung vermeiden.“ Ich würde sogar noch weiter gehen und fordern, dass die Warnhinweise so groß abgedruckt werden müssen, dass man sie ohne Lupe findet - und wenn sie ein Zehntel der Verpackung überschreiten, darf dieses Produkt erst gar nicht in Verkehr gebracht werden (dies würde entweder zu überdimensionalen Verpackungsgrößen oder zu weniger Kundenschädigung führen). Besonders kritisch sieht Schridde den Umstand, dass manche Hersteller mit „geprüfter Qualität“ werben - sollte es nicht selbstverständlich sein, dass die Produkte zumindest stichprobenartig überprüft werden?

Denkbar ist für mich auch eine verpflichtende Ausweitung des Leasing-Modells im Sinne der share economy: jeder Händler muss parallel zur Kaufmöglichkeit auch eine leistbare Leasing-Variante anbieten. Drei Vorteile für den Kunden: er braucht sich nicht mehr um die Reparatur kümmern (sondern bekommt auf Wunsch sofort ein gleichwertiges funktionierendes Gerät zur Verfügung gestellt), er kann jederzeit günstig die neueste Produktversion nutzen, ohne das alte Gerät gleich wegwerfen zu müssen - und das Problem mit der geplanten Obsoleszenz macht aus Herstellersicht dann auch keinen Sinn mehr, da das Produkt ja möglichst lange halten sollte (das Kaputt-geh-und-reparier-Risiko trägt dann endlich wieder der Produzent), um einen hohen Profit für den Hersteller abzuwerfen (an dieser Stelle ist die Trägheit des Kunden sogar wünschenswert, dieser will sich eher selten um neue Verträge für seine Haushaltseinrichtung, sein Fahrzeug usw. kümmern). Es sollte auf der anderen Seite aber auch einen veritablen Anreiz für Kunden geben, die ihre Produkte pfleglich behandeln - etwa in Form von dauerhaft niedrigeren Leasingraten oder mit Kauffunktion nach einer gewissen Mindestnutzungsdauer. Dieses Gedankenspiel funktioniert vor allem deswegen, weil der Hersteller nicht von vornherein weiß, ob der Konsument lieber kaufen oder leasen möchte - und daher ALLE Produkte haltbarer produzieren muss. Hoppla, das würde ja plötzlich das Markenimage wieder aufpolieren und zu langen Produktlebenszyklen führen …

Ziel muss sein, den Konsumenten wieder als Individualkäufer schätzen zu lernen, durch transparente und verbraucherfreundliche Maßnahmen den Weg zurück zur nachhaltigen und ressourcenschonenden Umgangsweise mit einer ohnehin bereits in Mitleidenschaft gezogenen Umwelt zu finden.

Zum Glück entstehen nach und nach Reparatur- und Wissensbörsen wiehelpster(wo man verständliche Anleitungen zum Wiederbefüllen von Kaffeekapseln, Einstellen der Fahrradbremse/Reifenwechseln, Verlängerung Haltbarkeit bei Lebensmitteln uvm. findet) und das aus den Niederlanden kommende Konzept derRepairCafés(in Österreich machen schon einige Städte fleißig mit, ehrenamtliche Helfer reparieren kaputte Alltagsgegenstände). Dort teilen erfahrene Nutzer (meist kostenlos) ihr Fachwissen und tragen so dazu bei, das Bewusstsein für die Wegwerf-Problematik in der Bevölkerung zu schaffen und das Konsumverhalten zu verändern.

Ich bin der Auffassung, dass jeder einzelne Konsument sich auf die irreführenden Vorgehensweisen des Herstellers berufen sollte, wenn der einem Schrott in die Hand drückt. Und zwar so lange und so hartnäckig, bis der Hersteller es wieder schafft (wie früher auch üblich), eine angemessene Produktlebensdauer auf den Markt zu bringen. Boykott & Streik funktioniert ja auch in anderen Bereichen, man denke etwa an ver.di (Logistikzentren von Amazon), autofreier Tag, und fragwürdigen Äußerungen der obersten Unternehmensebene (ua. Barilla möchte auch 2014 noch die Mutti hinter dem Herd sehen).

Ziel muss sein, den Konsumenten wieder als Individualkäufer schätzen zu lernen, durch transparente und verbraucherfreundliche Maßnahmen den Weg zurück zur nachhaltigen und ressourcenschonenden Umgangsweise mit einer ohnehin bereits in Mitleidenschaft gezogenen Umwelt zu finden.

Ein wesentlicher Informationspool für diesen Artikel war die Dokumentation von Cosima Dannoritzer „Kaufen für die Müllhalde“ (im Original: „prêt à jeter“). Harald Welzer veröffentlichte „Selbst Denken“ – dieses Buch stellt aus meiner Sicht ein Standardwerk dar und vermittelt unzählige Ansätze zur Verbesserung der Gesellschaft.

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