Diese Woche fand in Salzburg das ZUKUNFT.MITTEL.STADT-FORUM statt, JOACHIM FASCHING berichtet über die aktuellen Entwicklungstendenzen: welche Innovationsprozesse muss die Kreativwirtschaft durchlaufen, welche Faktoren sind identitätsstiftend und persönlichkeitsfördernd? Aus den vielen Beiträgen und Impulsvorträgen werden nun die key facts der urbanen Zukunftsforschung analysiert.

Der grüne Europapolitiker Johannes Voggenhuber sprach angesichts zunehmender Politikverdrossenheit unter Jugendlichen von einer klareren Definition, was denn das europäische Demokratie-Modell können soll: wünschen wir uns eine Repräsentativdarstellung unserer persönlichen Interessen (alle fünf Jahre wählen gehen und dazwischen das Beste – also auf tragfähige Kompromisse – hoffen) oder möchten wir eine Politik, die eine aktive Mitbestimmung aller Interessensgruppen im Sinne einer stetigen Partizipation am Diskurs ermöglicht? Wollen wir für die Gestaltung unserer Umgebung Verantwortung übernehmen, unsere eigenen Wünsche und Ideen einbringen?

Eine Vortragende sprach den Konflikt zwischen dem SEIN und SEHNSÜCHTEN an: es gibt viele Ideen, einige Wissensträger, begrenzten Raum, kaum Zeit und keine finanziellen Mittel zur Umsetzung visionärer Raumplanung und Stadtgestaltung. Der politischen Elite ist es derzeit kein Bedürfnis, beispielsweise eine Moschee zu errichten, um eine wachsende – aber bislang im Gegensatz zu 45 Kirchen im Salzburger Stadtzentrum unterrepräsentierte – religiöse Gemeinschaft im Stadtbild zu integrieren. Ist es bloß der fehlende politische Wille oder spielt da möglicherweise auch der Faktor der Xenophobie (also Angst vor Fremden) eine Rolle? Fürchtet sich in der aktuellen „Sicherheit vs. Freiheit“-Debatte tatsächlich das Volk, oder vielmehr der konservative Politiker vor kritischen und andersdenkenden Mitmenschen?

Mir fehlt im aktuellen Diskurs um kreative Gestaltungsspielräume der Begriff der Persönlichkeitsförderung. Bereits in der Volksschule werden die meisten Kinder (also jene, die beispielsweise nicht Montessori oder Waldorf kennenlernen dürfen) einem ständigen Leistungsdruck ausgesetzt, monotone Verhaltensweisen (stillsitzen, Abschreiben, auswendig lernen) werden eintrainiert. Wer von Kindesbeinen an auf Konformität getrimmt wird, tut sich später sicher schwer damit, dem Begriff der Zukunft optimistisch gegenüberzustehen und ihn als Chance wahrzunehmen. Oder anders formuliert: auch wenn alle Anlagen zum kreativen Querdenken im Menschen gegeben sind (in unterschiedlichem Ausmaß), tut er sich nach zwanzig Jahren monotoner und konformistischer Verhaltensweisen schwer damit, „auf Knopfdruck“ kreative Optionen zu bewerten.

Speziell junge Menschen brauchen Impulse zur Eigenverantwortung und Selbstverwaltung in einer Gemeinschaft, wenn man das konsequent fortdenkt, können sich Jugendliche nach meinem Modell rasch untereinander als Arbeitgeber von morgen vernetzen: kreative, clevere und unternehmungslustige Leute trifft man beispielsweise im Salzburger coworkingspace oder in der Linzer Tabakfabrik (nun als Ideenfabrik genutzt) an. Wer mit den bestehenden Möglichkeiten unzufrieden ist und sich denkt: „Ja, da müsste man doch mal …“ ist herzlich aufgerufen, aktiv zur Umgestaltung beizutragen. „Irgendjemand“ war der Auslöser für alles, sei es nun im positiven oder im negativen Sinne. Ohne diesen ominösen „Jemand“ stehen selbst die flexibelsten Strukturen still.

Eine weitere Vortragende hat für „Kulturbroker“ geworben, also für formelle und informelle Partner und Institutionen, die sich für interdisziplinäre Vernetzung zwischen Kulturschaffenden, Sponsoren, Interessierten und freiwilligen Helfern einsetzen. Wir sind uns wohl insofern einig, als dass Mozart, Georg Danzer, Michael Glawogger, Oskar Kokoschka, Max Frisch und viele andere Künstler für ihre jeweiligen Epochen prägend und wichtig waren. Ohne entsprechende Angebote werden kaum neue Initiativen entstehen – und wenn uns der Schritt zur Jugendförderung nicht zeitnah gelingt, geht wertvolles Kulturgut verloren, denn Kunst und Kultur sind wichtige Bestandteile des Zusammenlebens. Ein weiterer Aufgabenbereich des Kulturbrokers ist, Kunst aktiv in den Stadtplanungsprozess einzubinden, wie es etwa am Beispiel Judenburg geschieht (Initiative Direkter Urbanismus).

Es wurde kritisiert, dass ländliche Regionen manchmal der Gefahr gegenüberstehen, eine homogene Gemeinschaft zu fördern (Menschen mit ähnlichen Interessen, Lebensgeschichten und Aufgabengebieten). Das Stadtleben hingegen besteht aus vielfältigen Facetten: Konsum, Freizeit/Erholung, Bildung, Mobilität, Wohnen und Arbeitsplatz sind wohl die wichtigsten Bereiche, die ein Stadtbewohner nutzen möchte. Für jeden Einzelnen von uns setzt sich der Reiz des Stadtlebens aus einer unterschiedlichen Gewichtung von Faktoren zusammen – das ist auch gut so, ergibt sich genau daraus eine heterogene Gemeinschaft. Zu den Aufgaben eines Zukunftsforschers zählt auch, festgefahrenen Strukturen einen Perspektivenwechsel anzubieten. Eine Betonwüste mit Stacheldrahtzäunen (oder neuösterreichisch: baulich-technische Sicherungsmaßnahmen) kann sich mit entsprechendem Investitionswillen rasch in einen familienfreundlichen Naherholungsraum verwandeln, der zum Verweilen einlädt. Zuziehende fassen rot-weiß-rote Markierungen entlang eines Wanderwegs als nationalistische Symbole auf und wissen oftmals nicht, dass Klang und Anzahl der unmittelbar aufeinanderfolgenden Glockenschläge etwas mit der Uhrzeit zu tun haben.

Aus der mehrstündigen Debatte mit Architekten, Gründern, kreativen Entwicklern, Professoren und vielen anderen Fachleuten ergab sich nüchtern betrachtet das Resultat: wir wissen, dass sich etwas verändern soll. Eine Möglichkeit: man orientiert sich an Vorbildern (sei das nun Linz, Innsbruck, Wien oder München), analysiert und kopiert deren Erfolgsfaktoren. Oder man wagt den Schritt auf unbekannte Pfade, probiert Maßnahmen, die noch keiner zuvor probiert hat (unter Einbeziehung von Stadtmarketing, Stadtviertel-Sprechern/Bürgerinitiativen, Politikern, Raumordnungs-Experten) und entwickelt im Idealfall eine zukunftsfähige Vision. Die vielzitierte Mozartkugel unter der Käseglocke (stellvertretend für ein denkmalgeschütztes Stadtzentrum) ist nur ein winziger Aspekt dieser Stadt. Egal, ob Kleinstadt (im Vergleich zu London, Paris und Rom), Mittelstadt (im Vergleich zu Wels oder Hildesheim), Großstadt (im Vergleich zu Hallein, Vöcklabruck oder Braunau) – jeder Einzelne kann und soll an der Entwicklung seiner Umgebung mitwirken.

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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