Wehmütig blickt er sich um, der Esel, den ich am Strick führe, zum ersten Mal, wehmütig zurück auf seine Weide und seine Kameraden. Die durften dort bleiben und weiter grasen und hingehen wo sie wollten, zumindest innerhalb der Umzäunung, ohne Halfter und Strick. Und die, die auf der Weide zurückblieben schauen denen nach, die weggeführt werden. Da muss er doch noch mal schnell ein Maul voll Gras vom Wegrand abzupfen. Dann erst trabt er mit, denn sein Freund trabt nun auch. Vielleicht ist da auch schon ein wenig Neugierde wo es hingehen soll. Doch noch überwiegt die Abwehr, möglicherweise auch, weil er sich nun so bewegen muss wie es ein anderer von ihm will. Den Weg entlang. Noch ist die heimatliche Weide zu sehen, wenn er den Kopf wendet. Vielleicht doch noch ein Maul voll Gras? Aber da spürt er den Zug am Strick, zunächst sanft, doch nachdem er es weiterhin probiert, energischer. Nicht einmal zum Gras abzupfen darf man stehenbleiben. Das scheint ihm immer unsympathischer zu werden, zumal jetzt eine Biegung kommt. Nein, da wollen beide Esel nicht mehr weitergehen. Ein paar Schritte noch, und sie haben sich endgültig von der Sicht auf den Hof verabschiedet, betreten einen Wald. Außerdem ist jetzt schon genug gegangen. Es wäre doch an der Zeit wieder umzudrehen, doch die, die den Strick in der Hand haben, die lassen nicht locker, wollen unbedingt weitergehen. Es sind die ersten zehn Minuten, da versuchen sie es immer wieder, stehenbleiben und umdrehen, zurück in heimatliche Gefilde.

Doch nach diesen ersten zehn Minuten, die wohl auch jeder kennt, der sich entschließt endlich einmal wieder laufen zu gehen, wo man gegen den Unwillen und der Versuchung sich wieder in die Bequemlichkeit zurückzuziehen, ankämpft, traben sie nun ganz brav neben uns her, lassen sich führen und scheinen auch Gefallen daran zu finden.Sie vertrauen sich an, ganz gleich wohin es geht, wie weit sich der Weg zieht, sie gehen mit. immer brav einen Hof vor den anderen setzend, ruhig und gelassen. Diese Gelassenheit greift über. Die Anspannung fällt ab, und auch wenn man mit diesem tierischen Gefährten nicht reden kann, so ist es doch etwas anderes als alleine zu gehen. Ein ruhiger, einsichtiger Begleiter, der weder auf Zeit noch auf irgendwelche Rekorde erpicht ist. Von selbst findet sich ein Tempo, das beiden angenehm ist, so dass die Landschaft nicht einfach an einem vorbeizieht, sondern aufgenommen und besehen werden kann. Gelassenheit dem Leben gegenüber für diese zwei Stunden, die wir nichts tun als miteinander zu gehen, zwischen Wäldern und Feldern, während die Sonne ihre Stahlen durch das dichte Laubwerk fallen lässt. Es gibt gerade nichts zu tun, außer hier zu gehen und hier zu sein. Warum also nicht gelassen sein und seine Gedanken fliegen lassen? Zunächst verharren sie in dem, was wir hinter uns gelassen haben, doch bald schon lösen sie sich. Man kommt früh genug zurück. Setzen sich nieder auf die Äste und Ähren, um sich noch ein wenig auszuruhen, bevor sie hinauffliegen, frei und ungezügelt. Sonst passiert es doch so oft, dass die Gedanken reglementiert werden, dass sie auf erprobte Wege gezwungen werden um Lösungen zu finden, für Probleme, die mit Althergebrachten nicht lösbar sind. Dennoch versuchen wir es immer wieder, ohne einen Schritt weiter zu kommen, doch wenn die Gedanken fliegen dürfen, dann finden sich plötzlich neue Wege, weil die Sicht weiter wird, und neue Zugänge entdeckt werden.

Und der Strick in der Hand hängt lose herab. Wir gehen gemeinsam, der Esel und ich, bis wir wieder einbiegen auf den wohlvertrauten Weg, die Weide und die Gefährten in Hörweite kommen. Bald schon werden sie zu Hause sein, befreit von Halfter und Strick, machen sie als erst ein paar Freudensprünge auf der Weide, testen ob das Gras noch so schmeckt wie zuvor und begrüßen die Zurückgebliebenen. In ihrem kleinen Universum haben sie Abschied, Verlassen und Wiederkehren erlebt – und ich habe bei diesem gemeinsamen Gehen zu einer Ruhe und Gelassenheit gefunden, wie sie mir sonst selten möglich ist.

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Veronika Fischer

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fischundfleisch

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Paradeisa

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