Gestern war im Europahaus eine Veranstaltung der ÖGFE (Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik) mit dem Titel: "Eine neue Generation im EU-Parlament: junge Ideen für Europa ?" mit folgenden TeilnehmerInnen: Julia Herr (SPÖ), David Stögmüller (Grüne), Christian Zoll (ÖVP), Petra Steger (FPÖ) und Nini Tsiklauri (NEOS).

Abrufbar ist diese Veranstaltung unter

https://www.facebook.com/oegfe

Generell fand ich die Veranstaltung und auch die Teilnehmer als schlecht.

Debatten und Diskussion fanden anders als angekündigt nicht statt, es waren eher 5 Einzelvorträge oder fünf Befragungen durch den Diskussionsleiter Schmidt. Man kann das auch als Hinweis darauf sehen, dass es in Österreich an einer Debattierklub-Kultur, wie sie in angelsächsischen Ländern existiert, mangelt.

Stark war auch die Betonung des Visionären, des Neuen. So als ob man die derzeitige EU nicht "verkaufen" könnte, bzw. insbesondere der Jugend nicht "verkaufen" könnte.

"Das Beste an der EU ist die Vision, wie sie sein könnte" ??? Was soll das heissen ? Die EU, wie sie ist, ist scheisse ?

"Für ein neues Schengen-Update" ???? Wieso ? Weil das Schengen-Abkommen scheisse ist und sich sowieso niemand dran hält ? Weil es in der Flüchtlingskrise zerbröselt ist ?

"Für ein neues Rezept und tiefgehende Reformen", ohne Details zu nennen, welche Reform, welche Neuerungen und wie genau. Viel Neuheits-Blabla ohne wirkliche inhaltliche Neuheit.

Wohin solle die Vision gehen ? Und wie sollen die Details des Updates aussehen ? Keine Antwort von den Jungpolitikern.

Julia Herr kritisierte die EU, so als ob die SPE in den letzten 20 Jahren Oppositionspartei auf EU-Ebene gewesen wäre, was sie aber nicht war, die EU wird in einer Art der großen schwarz-roten Koalition regiert und die SPE stellte und stellt zahlreiche Kommissare und Kommissarinnen, was aber keiner der anderen Jungpolitiker entgegnete.

Laut Titel der Veranstaltung hätten eigentlich die "Ideen" im Vordergrund stehen sollen, aber wie das Polithickhack eben so ist, ging es auch und sehr wesentlich um Personalfragen: Steger (FPÖ) verteidigte Marine Le Pen, aber Strache interessanterweise nicht (und das war vielleicht das interessanteste und überraschendste an dieser Veranstaltung), der von Julia Herr wegen seiner Zustimmung zum Brexit kritisiert worden war.

Steger lobte auch Reinthallers angebliches proeuropäisches Engagement, das ich im Moment nicht bestätigen kann, aber ich fand es auf jeden Fall interessant, dass keiner der anderen daraufhin die SS-Mitgliedschaft Reinthallers thematisierte. Aber vielleicht ist die Politjugend so geschichtsvergessen, so geschichtsinkompetent, dass niemand mehr weiss, wer Reinthaller war. Oder vielleicht war die Linke der üblichen Methode, die FPÖ ins Nazi-Eck zu rücken, auch müde, was man auch als positiven Aspekt der Debatte betrachten könnte.

Ansonsten gab es kaum Unterschiede zwischen den Parteien, womit sich die Optik eines DDR-Einparteiensystems mit "Blockflöten" ergab: Alle waren für Umweltschutz, Alle waren für Tierschutz, Alle waren gegen Uploadfilter, etc., also ganz typische Jugendpolitik. Alle waren für direkte Demokratie. Schmidt als Diskussionsleiter warf die Brexit-Abstimmung in die Runde, die durchaus eine kritische Auseinandersetzung mit der direkten Demokratie ermöglicht hätte, aber auch hier schwiegen die Jungpolitiker unisono.

Schmidt warf auch das Thema der niedrigen Jugendwahlbeteiligung in die Runde, das aber nicht wirklich behandelt wurde. Dass Jungwähler und -innen vielfach wegen Unerfahrenheit nicht wählen, dass hohe Wahlbeteiligung, die durch Panikmache verursacht ist, ach schädlich sein kann, dass die Jugend oft auf falsche Versprechen hereinfällt, wie bei Gusenbauers Studiengebührenabschaffungsversprechen 2006, von dem für Erfahrene vorher absehbar war, dass es keine Parlamentsmehrheit bekommen würde, blieb unerwähnt. Das ständige Beharren, die Jugendwahlbeteiligung bei EU-Wahlen müsste höher sein, wirft in Wirklichkeit vielleicht zu Unrecht ein schlechtes Licht auf die EU; man sollte bedenken, dass bei allen Wahlen Jungwähler sich geringer beteiligen als Ältere, auch bei Nationalratswahlen, und man sollte bedenken, dass bei ÖH-Wahlen die Wahlbeteiligung sehr gering ist (ca. 25%).

Steger bezeichnete auch die französische Umweltgesetzgebung als kontraproduktiv, weil sie die Gelbwestenbewegung hervorgerufen hätte. Dies blieb von SPÖ und Grünen unwidersprochen, obwohl man sehr wohl widersprechen hätte können, mit dem Hinweis, die Gelbwesten seien eher Landbewegung, eher gegen den abgehobenen Regierungsstil Macrons gerichtet, eher gegen die hohen Strafen bei Geschwindigkeitsüberschreitung, eher eine Art Landrevolte gegen den Pariser Zentralismus.

Nun kann man sagen, unerfahrene Jungpolitiker seien genau das richtige für unerfahrene Jungwähler, und Jungpolitikern werden alle Mängel verzeihen, eben, weil sie so jung sind (der sogenannte "Welpeneffekt" ).

Die Frage der EU-Abstimmungsmechanismen (Einstimmigkeitsprinzip oder Mehrheitsprinzip?) wurde kurz angesprochen, aber nicht diskutiert, auch deswegen nicht, weil niemand eine Gegenposition zur Mehrheitsprinzip äußerte. und in welchen Bereichen das gelten solle und in welchen nicht, wurde schon gar nicht diskutiert. Auch "Koalitionen der Willigen" als Alternative zu einheitlichem europäischen Handeln, das immer die Gefahr von Austritten mit sich bringt, wurde nicht diskutiert.

Die Frage, ob hohe Mindestlöhne die Arbeitslosigkeit erhöhen oder ob Gewerkschafter Arbeitsplätze schaffen oder nicht, die zwischen Zoll und Herr das war, was man am ehesten als Debatte bezeichnen kann, war weder jung noch europäisch: zwei Fünfzigjährige, die nie aus Österreich herausgekommen sind, hätten das genauso diskutieren können.

Aber es stellt sich die Frage, ob derartige Jungpolitiker die Politikverdrossenheit und das Nichtwählertum insbesondere bei den Älteren, erhöhen.

Vom Publikum gab es teilweise scharfe Kritik: die Jungpolitiker würden zuwenig vernetzt denken, und zuwenig international / global, zuwenig über Österreich/EU hinaus; die Jungpolitiker würden zuviel parteipolitisches Hickhack betreiben. Darauf, dass Herr (SPÖ) österreichische Waffenexporte skandalisiert hatte, konterte keiner der anderen Jungpolitiker, sondern ein Publikumsdiskutant faktisch richtig, der darauf hinwies, dass andere EU-Länder viel mehr Waffen exportieren als Österreich.

Eine tiefergehende Debatte über Waffenexporte in Problemstaaten (Herr konzentrierte sich auf Saudi-Arabien, vielleicht weil das dortige Königshaus einen besonders abgehobenen Lebensstil hat, was aber nicht das alleinige Kriterium zur Beurteilung sein sollte) fand nicht statt, und auch, dass das, was Julia Herr forderte, nämlich Waffenexporte in menschenrechtsverletzende Staaten zu verbieten, in abgewandelter Form längst Gesetz ist (wenn die Waffen für Menschenrechtsverletzungen verwendet werden können), erwähnte keiner der anderen Gesprächsteilnehmer. Von Russland/Putin-Kritikerin Tsiklauri mit Georgien-Hintergrund hätte man erwarten können, dass sie einwendet, dass ein derartiges Waffenexportverbot Russland stärkt und die russische Waffenindustrie. Man hätte auch erwarten können, dass irgendjemand sagt, dass eine Schwächung Saudi-Arabiens den Iran stärkt, der in Syrien und Irak ohnehin expandiert, aber niemand entgegnete irgendwas. Irgendjemand hätte auch sagen können, dass ein Waffenembargo besser über die UNO laufen sollte und allgemein, statt im Alleingang des bedeutungslosen Kleinstaats Österreich oder der auch kleinen EU. Und die Frage der Finanzierung von Waffenlieferungen wurde nicht thematisiert: wenn Österreich Erdöl importiert, dann ermöglicht es damit jedem Lieferanten, mit den Erlösen Waffen zu kaufen und Kriege zu finanzieren.

Was können die Gründe sein, warum die Jungpolitiker so wenig attraktiv sind ?

Mangelnde Bekanntheit zwingt dazu, sich thematisch zurückzuhalten; keiner der Jungpolitiker bzw. -innen vertrat auch nur im Ansatz eine Position, die ein bisschen gegen die Linie der eigenen Partei war, so gesehen junge Clubzwangsklaven und junge rückgratlose Lemuren, um es polemisch zu sagen.

Das mag auch mit dem österreichischen Wahlsystem zusammenhängen, das ein Listenwahlrecht vorsieht, und keine Einerwahlkreise, die man selbst erobern kann/muss, und deren Rückhalt einem ermöglicht, auch gegen die Parteizentrale in der Hauptstadt zu rebellieren.

So gesehen ist - polemisch gesagt - die Farblosigkeit der Jungpolitiker und ihr Apparatschik-Charakter mehr oder weniger typisch für die gesamte österreichische Politlandschaft.

Verschiedenste Politiker und Experten denken seit langem z.B. eine Stärkung der Einerwahlkreise an (z.B. die Hälfte der Parlamentssitze in Einerwahlkreisen zu vergeben), um die Abhängigkeit der Listenmitglieder von den Parteioberen, die die Macht haben, auf die Liste zu setzen oder auch nicht, zu verringern.

Die Vorzugsstimmenfrage wurde angesprochen, ist aber kein wirklich gleichwertiges Instrument, weil man Bundesmedien braucht, um in einem Bundesvorzugsstimmenwahlkampf erfolgreich zu sein, und diese Bundesmedien (meist Wiener Medien) können nur die Parteimächtigen zur Verfügung stellen.

DK

Von links nach rechts: Zoll (VP), Steger (FP), Schmidt (Disk.Leiter), Tsiklauri (NEOS), Stögmüller (Grüne), Herr (SP)

Was denken die Jungpolitiker wirklich ? Diese Frage stellt sich, weil sie wenig authentisch und wenig glaubwürdig wirkten mit Texten, die wie auswendiggelernt und heruntergesagt wirkten. Oder dürfen sie überhaupt selbst denken ? Wären sie überhaupt nominiert worden, wenn sie eigene Gedanken vertreten würden, oder sind sie (vielfach Juristen und Juristinnen) einfach Leute, die das sagen, was der, der sie bezahlt und aufs Podest gehoben hat, will ?

Oder soll man umgekehrt darauf hoffen, dass aus diesen Jungpolitikern im Laufe der nächsten 30 Jahre duch Learning-by-Doing gute Politiker werden ?

Generell war ein Problem dieser "Diskussion", dass soviele Themen so kurz angesprochen wurden, dass man sie nicht auch nur annähernd diskutieren konnte, dass man von einem Thema zum nächsten sprang, sodass jede Behandlung oberflächlich werden musste.

Auch auffallend war, dass niemand Großbritannien verteidigte, dass niemand der Schmidt-Behauptung, an der Brexit-Verschiebung sei einzig und alleine das britische Parlament schuld (und nicht die EU-Brexit-Verhandler, z.B. Barnier), widersprach. Die Debatte hatte allgemein einen anti-britischen und pro-französischen Unterton, von dem sehr zweifelhaft ist, ob er als europäisch bezeichnet werden kann.

Die "Debatte" war vielleicht auch ein Echo eines verfehlten Schulsystems, in dem - polemisch gesagt - die Schüler mit weltfremden Visionen zugemüllt werden, aber der Pragmatismus und die Verantwortungsethik nicht gelehrt werden.

Nach der Diskussionsveranstaltung wurde Wein abgeboten, sowohl Rot als auch Weiss. Man konnte diesen Wein dazu verwenden, sich anzutrinken und diese Veranstaltung so schnell wie möglich zu vergessen ....

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