Üblicherweise heisst es ja, die österreichische Politik sei nachvollziehend, provinziell und hinterwälderisch und alles, was in Deutschland passiere, passiere zehn oder zwanzig Jahre später auch in Österreich.

Gerade auf dem Gebiet des sogenannten "Rechtspopulismus" könnte es genau umgekehrt sein:

Frauke Petry (die frühere Bundesprecherin der AfD) erklärte, sich von der AfD-Fraktion abzuspalten und das sein zu wollen, was man in Österreich "wilde" oder "freie" Abgeordnete nennt, je nach dem, ob man das positiv oder negativ darstellen will.

Ich musste bei der Abspaltung Frauke Petry´s vom AfD-Club irgendwie an die Abspaltung des von Jörg Haider geführten BZÖ von der FPÖ im Jahr 2006 denken.

Michael Lucan, Lizenz: CC-BY-SA 3.0 de https://de.wikipedia.org/wiki/Frauke_Petry#/media/File:2016-05-13_Frauke_Petry_5378.JPG

Das Bild entstand ausgerechnet bei einer Veranstaltung im Münchner Hofbräukeller, wo ca. 90 Jahre vorher auch Adolf Hitler aufgetreten war und gesprochen hatte, was quasi natürlich im Zuge von antifaschistischer Hysterie und Wahlkampfunsinn zu Analogien AfD-NSDAP führen muss.

Diese Abspaltungsproblematik hat auch eine Anfechtungsrelevanz.

Wenn vor der Wahl bekannt gewesen wäre, dass Frauke Petry sich unmittelbar nach der Wahl vom AfD-Club abspalten würde, hätte die Gauland-Weidel-AfD wahrscheinlich weniger Stimmen und Mandate erhalten, dafür wäre eine Petry-AfD vielleicht als siebente Partei in den deutschen Bundestag eingezogen.

Auf der anderen Seite verhindert gerade die in Deutschland hohe 5%-Hürde derartige Abspaltungen vor der Wahl und ist so gesehen - polemisch formuliert - eine Gewährleistung der innerparteilichen Diktatur bei allen Parteien, während eine niedrigere Einzugshürde oder überhaupt eine Hürdenlosigkeit Abspaltungen begünstigen und wahrscheinlicher und häufiger machen würde. Diese Abspaltungsdrohung, die aufgrund niedrigerer Hürden ein höheres Drohpotenzial hätte, wäre auch eine Garantie der innerparteilichen Demokratie, um die es in Deutschland sehr zum Schlechten steht, auch aufgrund der hohen Einzugshürde.

Die deutschen Wahlen müssen daher möglicherweise wiederholt werden.

Was auch die vor der Wahl ziemlich verrückten Ausgrenzungspositionen in Hinblick auf die Bundestagswahl vom 25. September 2017 als ziemlich verrückt und falsch erschienen lässt.

Angela Merkel kann jetzt beispielsweise sagen, sie könne trotz Absage einer Koalition mit der AfD mit den Petristen zusammenarbeiten, also quasi dem Realo-Flügel der AfD.

Die clausula-rebus-sic-stantibus in der Juristerei bedeutet, dass Versprechen und Verträge hinfällig sind, wenn die Grundlagen sich ändern.

D.h. wenn die AfD sich spaltet, dann wird auch die Koalitionsabsage Angela Merkels an die AfD hinfällig und obsolet.

Und Angela Merkel könnte sagen, dass ihre Absage an eine Koalition mit der AfD nur für eine von Gauland, bzw. Weidel geführte AfD gelte, weil diese beiden eben besonders problematisch seien, dass sie hingegen für ein vor der Wahl unvoraussehbares Abspaltungsprodukt der Petristen nicht gelte.

Damit eröffnen sich viele neue Koalitionsmöglichkeiten, die vor der Wahl niemand vorhergesehen hat, weder Politiker und -innen, noch Journalisten und -innen.

Auf der anderen Seite hiesse das, dass die CDU möglicherweise nur 28% oder 24% erhalten hätte, wenn vor der Wahl bekannt gewesen wäre, dass Petry sich abspaltet, wodurch die Koalitionsabsage Merkels an die AfD hinfällig und obsolet wurde.

All das zeigt wohl irgendwie, dass Wahlen reine Zufallsprodukte sind, aus denen man keinerlei Lizenz zum Regieren ableiten könne. Man kann das auch sehen als ein Indiz dafür, dass dieses Wahlsystem als gescheitert zu betrachten ist, und eine Konsensdemokratie, die sich zum Beispiel in einer verfassungsmäßig vorgeschriebenen Allparteienregierung äußert, wie in manchen österreichischen Bundesländern, das bessere Politikmodell ist, auch deswegen, weil es Ausgrenzungpolitiken und kindische "Mit denen will ich nicht spielen"-Strategien, die sich nach der Wahl und Abspaltungen ohnehin oft als hinfällig erweisen, weder sinnvoll noch möglich sind. Diese Ähnlichkeit mit Sandkastenkindern und ihren "Mit denen will ich nicht spielen"-Emotionen ist auch ein Hinweis für das, was der ehemalige ORF-Generaldirektor Gerd Bacher die "Infantilisierung der Demokratie" nannte, in Österreich begünstigt durch die europaweit einzig artige Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Der österreichische Rechtstheoretiker Hans Kelsen sprach in einem ähnlichen Zusammenhang einmal vom "aleatorischen Aspekt" von Wahlen, abgeleitet von "alea", dem lateinischen Begriff für den Würfel, und war somit eine Anspielung an die altrömische Vorliebe für das Würfelspiel.

Kelsen meinte damit eher den Zufallsaspekt von Mehrheitrechtswahlen, aber viele Aspekte von Verhältniswahlrechtswahlen (die Kelsen allerdings damals noch nicht kannte), sind ähnlich problematisch und zufällig wie Mehrheitswahlrechtswahl, zum Beispiel vor der Wahl unabsehbare Koalitionen bzw. Koalitionsvarianten, Positions- oder Personalwechsel der Parteien, etc.

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