Der ÖVP-EU-Abgeordnete Othmar Karas hat wieder einmal die Realität beklagt. So unterstützte er in einem Interview den UNO-Migrationspakt und Van der Bellen und Heinz Fischer mit ihrer ebenfalls den Migrationspakt unterstützenden Aussagen.

Auch verteidigte Karas die gemeinsame EU-Aussenpolitik und forderte, dass kein Staat aus der Aussenpolitiklinie der EU ausscheren dürfe.

Allerdings übersah er dabei zwei ganz wesentliche Sachen:

erstens: die Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik hat in wichtigen Fragen nie funktioniert: im Irakkrieg des Jahres 2002 und der folgenden war die EU gespalten, und zwar extrem gespalten, mit Ablehnung von mehr als 70% in Deutschland und Frankreich und Zustimmung von mehr als 90% in Großbritannien, Spanien und Polen.

Auch in der Frage des UNO-Migrationspakts zeichnet sich eine ähnliche Spaltung der EU ab.

zweitens: je mehr man an sogenannter "gemeinsamer Aussen- und Sicherheitspolitik" forciert, umso mehr forciert man Brexit und Brexit-ähnliche Phänomene, d. h. Austritte aus der EU von jetzigen EU-Mitglieder, bzw. Nichteintritte bzw. Nichtrückgängigmachung des Brexit.

So gesehen wäre es eher höchst an der Zeit, die ohnehin nie funktionierende gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik auf den Müllhaufen der Geschichte zu schmeissen und durch das zu ersetzen, was funktioniert: nämlich Koalitionen der Willigen.

Ach ja: der Versuch, mit Hilfe von Gemeinsamer Aussen- und Sicherheitspolitik der EU und Wirtschaftssanktionen gegen Russland den russischen Präsidenten Putin auf die Schnelle zu stürzen, hat sich nicht erfüllt: die Sanktionen sind schon seit fast fünf Jahren in Kraft und haben nichts erreicht, außer vielleicht, dass Putin bei Wahlen noch dazugewonnen hat, was genau das Gegenteil dessen war, was so manche in der EU mithilfe der Sanktionen erreichen wollten. Die Russland-Sanktionen waren übrigens sehr wesentlich auf Betreiben Großbritanniens (und entgegen den Meinungen Anderer EU-Mitglieder) verhängt worden, weil Großbritannien (gemeinsam mit Russland und den USA) im völkerrechtlich nicht bindenden Budapester Memorandum, das kein Vertrag ist, vage Sicherheitszusagen an die Ukraine gemacht hatte.

Und weil der frühere britische Premier Cameron möglicherweise vorhersah, das er bzw. Großbritannien den "schwarzen Peter" für die scheiternden Russland-Sanktionen zugeschoben bekommen werden würde, falls es in der EU bleibt, entschied er sich möglicherweise zu einem inszenierten Streit mit seinem Finanzminister Osborne rund um die Frage, ob der Brexit Steuererhöhungen erfordere oder nicht, was so kurz vor der Abstimmung möglicherweise der ausschlaggebende Punkt war, um die Meinung zu einer knappen Anti-Brexit-Mehrheit zu drehen.

Mit anderen Worten: wenn nicht wegen der GASP unwillige EU-Mitglieder gezwungen worden wären, gegen eigene Überzeugung die Russland-Sanktionen mitzutragen, wäre der Brexit wahrscheinlich gar nicht erfolgt.

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20030327_OTS0175/karas-existierende-gasp-regeln-haetten-eu-krise-verhindern-koennen

Es stimmt genau das Gegenteil dessen, was Karas behauptet: die GASP hätte die EU-Krise nicht gelöst, sondern die GASP hat die EU-Krise verursacht. Und eben deswegen sollte die EU-Gemeinsamkeitsdiktatur ersetzt werden durch flexiblere und dem EU-Prinzip der Subsidiarität besser entsprechende Koalitionen der Willigen.

CC / zug.gem. Foto-AG Gym. Melle https://de.wikipedia.org/wiki/Othmar_Karas#/media/File:Karas,_Othmar-2508.jpg

ÖVP-EU-Spitzenkandidat Othmar Karas: Festhalten an gescheiterter EU-Politik trotz massiver Evidenz, die dagegen spricht ? Und Festhalten an EU-Vertiefungs-und-Integrations-Dogmatismus, der zu Brexit und Austritten führt ? Und gleichzeitig Verweigern des Subsidiaritätsprinzips, das auch zu den Regeln der EU gehört und zahlreiche Gemeinsamkeitsdiktatur-Probleme vermeiden könnte ?

Ein EU-Zerstörer, der sich für den EU-Retter hält, frei nach dem Karl-Kraus-Sager, die Psychoanalyse sei die Krankheit, für deren Heilung sie sich hält ?

Oder frei nach dem erweiterten Motto von Matthias Strolz (früherer NEOS-Sprecher): "Wir NEOS lieben Europa, aber Liebe macht blind" ?

Karas´ Argumentation in diesem Interview ist unlogisch: denn sowohl EU-gemeinsame Befürwortung des UNO-Migrationspaktes als auch EU-gemeinsame Ablehnung des UNO-Migrationspaktes wären gemeinsame Politiken. Weil es unterschiedliche Wege gibt, innerhalb der EU eine gemeinsame Sprache zu sprechen, kann man auch gar nicht wie Karas für den Migrationspakt sein, damit die EU "mit einer Stimme spricht".

Auch was etwaige Mehrheitsentscheidungen betrifft, denen sich die Minderheitsfraktion unterordnen muss, so hat Karas möglicherweise zu kurz gedacht: erstens wegen der Austritte, die eine solche Politik oder auch nur ihre Ankündigung verursachen kann. Und zweitens, weil Großmächte es leichter haben Mehrheitspositionen zu erreichen und Kleinstaaten schwerer, und weil Österreich ein Kleinstaat ist, würde ein Übergang zum Mehrheitsprinzip dem Kleinstaat Österreich schaden. Und zwar viel mehr als das subsidiäre Alternativkonzept der Koalitionen der Willigen.

Auch Karas´ Argumentation, Kurz und seine Ablehnung des Paktes seien super, hingegen die parteilose Aussenministerin Kneissl schuld, wenn Österreich Schaden aus der Ablehnung erwachse, mag aus Sicht eines ÖVP-Apparatischiks verständlich sein, mit Logik hat das aber schon sowas von nix zu tun. Wenn der Migrationpakt nur ein "Zusammenarbeits-Versuch" wäre, wie Karas behauptet, wieso enthält der Pakt dann so oft die Formulierung "Wir verpflichten uns ..." ??? Keine Antwort auf diese Frage von Karas, was nicht verwunderlich ist, weil es wohl keine gibt ....

Auch die Position von Karas, ein österreichischer Bundeskanzler oder eine österreichische Bundesregierung müssten sklavisch alles befolgen, was das EU-Parlament beschliesse, ist insbesondere im Falle eines angeblich unverbindlichen Paktes originell.

Aber vielleicht geht es Karas mit seinen weitgehend logikfreien Aussagen gar nicht um Wahrheit oder Sinn, sondern nur darum, in SPÖ-nahe Medien wie "Österreich" zu kommen, wofür sein Lob für Heinz Fischer (Ex-Bundespräsident, SPÖ) wohl die Vorbedingung war. Und da beschwert sich die bürgerliche Presse über angebliche Deals zwischen SPÖ-Politikern und dem Boulevard, obwohl ÖVP-Politiker offensichtlich genau dasselbe machen ...

https://www.oe24.at/oesterreich/politik/Karas-Bedaure-Nein-zu-UN-Pakt/355017903

Dem Vernehmen nach soll Karas interessiert sein, als Nachfolger von Johannes Hahn EU-Kommissär zu werden. Dazu wäre die Unterstützung der SPE oder der SPÖ günstig, vielleicht sogar notwendig. Karas´ Interview ist vielleicht in Anbetracht der weitgehenden Faktenfreiheit daher rein beförderungstaktisch, aber nicht inhaltlich gemeint.

Aber auch Johannes Hahn (ÖVP) hat etwas ganz unkonsensuelles getan, was Karas seiner eigenen Logik zufolge eigentlich bekämpfen und kritisieren müsste: Hahn schlug nämlich entgegen der derzeitigen EU-Aussenpolitik einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei vor (siehe Euronews-Video oben).

Und es gibt noch mehr Fehler von Karas in diesem ohnehin kurzen Interview: das EU-Parlament hat 751 Mitglieder, und die 516 Pro-Migrationspakt-Stimmen, die Karas erwähnt, sind 68.7%, nicht 90%, wie Karas behauptet.

Selbst wenn man Enthaltungen wegläßt, dann sind 516 von 653 immer noch nur 79%, und damit nicht die 90%, die Karas behauptete.

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