Jetzt, wo die Osterfeiertage vorbei sind, ist es vielleicht die richtige Zeit, einige kontroversielle Themen der Geschichte, der Religionengeschichte zu diskutieren, die ansonsten zu sehr unter den Teppich gekehrt und verschwiegen werden:

Es gibt die Theorie, Jesus sei Luther-ähnlich eine Art Kirchenspalter bzw. Kirchenerneuerer gewesen (was meistens dasselbe ist).

Die konkreten Bibelstellen, auf die ich mich dabei stütze, sind z.B. Evangelium Johannes, 10. Kapitel, Verse 1-39:

1 Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer nicht zur Tür eingeht in den Schafstall, sondern steigt anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder.

2 Der aber zur Tür hineingeht, der ist ein Hirte der Schafe.

3 Dem tut der Türhüter auf, und die Schafe hören seine Stimme; und er ruft seine Schafe mit Namen und führt sie aus.

4 Und wenn er seine Schafe hat ausgelassen, geht er vor ihnen hin, und die Schafe folgen ihm nach; denn sie kennen seine Stimme.

5 Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen von ihm; denn sie kennen der Fremden Stimme nicht.

6 Diesen Spruch sagte Jesus zu ihnen; sie verstanden aber nicht, was es war, das er zu ihnen sagte.

7 Da sprach Jesus wieder zu ihnen: Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen.

8 Alle, die vor mir gekommen sind, die sind Diebe und Mörder; aber die Schafe haben ihnen nicht gehorcht.

9 Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden und wird ein und aus gehen und Weide finden.

10 Ein Dieb kommt nur, daß er stehle, würge und umbringe.

11 Ich bin gekommen, daß sie das Leben und volle Genüge haben sollen.

12 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für seine Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht; und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe.

13 Der Mietling aber flieht; denn er ist ein Mietling und achtet der Schafe nicht.

14 Ich bin der gute Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen,

15 wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.

16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle; und dieselben muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird eine Herde und ein Hirte werden.

17 Darum liebt mich mein Vater, daß ich mein Leben lasse, auf daß ich’s wiedernehme.

18 Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. Solch Gebot habe ich empfangen von meinem Vater.

19 Da ward abermals eine Zwietracht unter den Juden über diese Worte.

20 Viele unter ihnen sprachen: Er hat den Teufel und ist unsinnig; was höret ihr ihm zu?

21 Die andern sprachen: Das sind nicht Worte eines Besessenen; kann der Teufel auch der Blinden Augen auftun?

22 Es ward aber Kirchweihe zu Jerusalem und war Winter.

23 Und Jesus wandelte im Tempel in der Halle Salomos.

24 Da umringten ihn die Juden und sprachen zu ihm: Wie lange hältst du unsere Seele auf? Bist du Christus, so sage es uns frei heraus.

25 Jesus antwortete ihnen: Ich habe es euch gesagt, und ihr glaubet nicht. Die Werke, die ich tue in meines Vaters Namen, die zeugen von mir.

26 Aber ihr glaubet nicht; denn ihr seid von meinen Schafen nicht, wie ich euch gesagt habe.

27 Denn meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie; und sie folgen mir,

28 und ich gebe ihnen das ewige Leben; und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen.

29 Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn alles; und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen.

30 Ich und der Vater sind eins.

31 Da hoben die Juden abermals Steine auf, daß sie ihn steinigten.

32 Jesus antwortete ihnen: Viel gute Werke habe ich euch erzeigt von meinem Vater; um welches Werk unter ihnen steinigt ihr mich?

33 Die Juden antworteten ihm und sprachen: Um des guten Werks willen steinigen wir dich nicht, sondern um der Gotteslästerung willen und daß du ein Mensch bist und machst dich selbst zu Gott.

34 Jesus antwortete ihnen: Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz: „Ich habe gesagt: Ihr seid Götter“?

35 So er die Götter nennt, zu welchen das Wort geschah, und die Schrift kann doch nicht gebrochen werden,

36 sprecht ihr denn zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt gesandt hat: „Du lästerst Gott“, darum daß ich sage: Ich bin Gottes Sohn?

37 Tue ich nicht die Werke meines Vaters, so glaubet mir nicht;

38 tue ich sie aber, glaubet doch den Werken, wollt ihr mir nicht glauben, auf daß ihr erkennet und glaubet, daß der Vater in mir ist und ich in ihm.

39 Sie suchten abermals ihn zu greifen; aber er entging ihnen aus ihren Händen

(Zitat Ende)

An diesem Text fallen einige Dinge auf:

1.) Jesus scheint in diesem Text sich selbst als den guten Hirten und die Rabbis des alten jüdisch-orthodoxen Glaubens als "Diebe", "Mörder", "Schlächter", "Mietlinge" (Söldner, denen e nur um das Gehalt geht, nicht aber um die Seele und das Wohl ihrer Schafe) zu vergleichen.

Das ist alles andere als eine ökumenische Sprache, die versucht, einen Konsens zwischen den Religionen zu schaffen, sondern eben eine kirchenspalterische, quasi-lutheranische Sprache, die einen Konflikt schafft, bzw. vertieft, zwischen Christen und (an der Tradition orientierten) Juden.

2.) es scheint in dieser Passage (und in anderen auch) der gewaltsame Tod von Jesus Christus bereits angesprochen, bzw. angekündigt, bzw. angedroht zu sein, allerdings in Form der Steinigung, nicht der Kreuzigung. Dennoch änderte Jesus Christus seinen Kurs trotz der scheinbaren Morddrohungen nicht, was die Frage aufwirft, ob sein Tun, das in einem massiven Konflikt zur jüdischen Orthodoxie stand, juristisch gesehen als eine "billigende Inkaufnahme" der eigenen Tötung zu betrachten ist, und so gesehen rein rechtlich als Mitschuld.

3.) Kirchenspaltungen sind oft irgendwie wie Scheidungskriege: alles Trennende wird überbetont, und die jeweils andere Seite mit den übelsten Begrifflichkeiten gebrandmarkt. Die Nähe von Kirchenspaltungen zu Kriegen zwischen den Religionen ist manifast, auch wenn Jesus in diesem Fall der einzige Tote (wenn man einmal von Judas Ischariot absieht) in diesem Religionenkrieg ist.

4.) Es stellt sich natürlich die Frage, ob es das wert war, sehenden Auges in die eigene Kreuzigung zu rennen, wie Jesus das tat. Ich tendiere hier zu einem "Eher ja", auch wenn wir die genauen Umstände, die das vielleicht relativieren könnten, wegen der großen zeitlichen Entfernung von 2000 Jahren und wegen der schlechten Quellenlage damals nicht kennen und daher ein obejektives Urteil schwer möglich ist.

5.) Die radikale Wortwahl von Jesus hier ähnelt sehr der von Martin Luther, dem Gründer des Protestantismus ca. 1450 Jahre später. Allerdings bezeichnete Luther die Päpste als Antichrist, nicht die Juden. Wegen seines Buchs "Die Juden und ihre Lügen" hat sich Luther den Vorwurf des Antisemitismus eingehandelt, obwohl sich seine darin enthaltenen Thesen auf die Juden als Religion, nicht auf die Juden als Volk beziehen. Und Luthers Art und Weise, die Bibel zu zitieren, inklusive des Alten Testaments, bzw. Thora/Talmud, ist nicht unoriginell, bzw. stimmig. So gesehen stimmt der Vorwurf an Luther, ein Wegbereiter Hitlers zu sein, natürlich nicht, weil es sich um Kritik an der jüdischen Religion, nicht um Rassismus, der sich gegen die Juden als Ethnie richtet, handelt. Und die Art und Weise, wie Jesus Christus gegen Rabbis polemisiert, müsste man dann gleichermaßen als antisemitisch einstufen.

6.) Jesus verwendet hier die Formulierung "das Leben lassen für die eigene Herde" als "Nachweis" des "guten Hirten". So gesehen hätten Teile des jüdisch-orthodoxen Klerus dadurch, dass sie seine Hinrichtung betrieben, dazu beigetragen, dass er heute von vielen gemäß seinen eigenen Worten als "guter Hirte" gesehen wird. Sozusagen nicht "suicide by cop" (Selbstmord, indem man einen Polizisten zum Todesschuss provoziert), sondern "suicide by rabbis".

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Kreuzigung von Jesus Christus (hier in Form einer Kirchenfenster-Abbildung): trägt Jesus mitschuld daran, durch konflikterschärfende Wortwahl und Polemik, dadurch, dass er seinen Kurs fortsetzte, trotz Morddrohungen ?

Der Erzbischof und Kardinal von Wien, Schönborn, erwähnt zwar diese Passage in seinem Sonntagsevangelium heute in der "Krone bunt"-Beilage, allerdings ohne auf die Problematik und die entsprechenden Theorien einzugehen.

Der "gute Hirte" ist immer das Gegenbild des "schlechten Hirten"; und die Aussagen von Jesus, alle Hirten (Geistlichen) vor ihm seien "Diebe", "Mörder", "Schlächter", "Mietlinge" (die nur um des Geldes von der etablierten Religion willen eine falsche Ideologie und Quelleninterpretation betreiben würden), können als Konfliktverschärfung in einem Religionenkrieg gesehen werden.

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