Der Standard – Qualitätsmedium oder Lückenpresse ?

Betrifft: „Schein und Sein einer rechtspopulistischen Partei“, Katharina Krawagna-Pfeifer (KKP), DerStandard, 4.Juli 2016

Auch wenn ich Strache in manchen Punkten kritisch gegenüberstehe, möchte ich ihn gegen den von KKP erhobenen Vorwurf verteidigen: Wahlmanipulationen nicht ausschließen zu können, steht in keinem Widerspruch zum VfGH-Erkenntnis, das Rechtswidrigkeiten feststellte, die für das Wahlergebnis von Bedeutung sein konnten. Wenn statt Wahlbeisitzern aller Parteien nur ein Wahlbeisitzer einer Partei die Wahlkartenstimmen auszählt, dann kann man das sowohl als Formfehler als auch als Manipulationsmöglichkeit betrachten.

Zur Wahl 1999 und der Regierungsbildung 2000: anders als KKP suggeriert, hielten sich die ÖVP-Verluste mit 1.4% in Grenzen, während die SPÖ-Verluste mit 4.9% dramatischer waren. Die schwarze-blaue Summe war mit 53.8% die höchste in der Zweiten Republik. Und automatischen Anspruch der stimmenstärksten Partei auf das Kanzleramt gibt es nicht, alles was es gibt, ist eine unpräzise Usance im Zusammenhang mit dem Regierungsauftrag, deren Unpräzisiertheit vielleicht eine der Mitursachen der 2000er-Krise war.

Ja, KKP hat recht, Schüssel hatte sich für die Koalition mit Haider entschlossen, aber es stellt sich die Frage, ob er sich auch dafür entschlossen hätte, wenn der Gewerkschaftsvertreter im SPÖ-Verhandlungsteam bereit gewesen wäre, den Koalitionspakt zu unterschreiben, wie das in allen vorangegangenen Fällen der Zweiten Republik der Fall gewesen war. Eine SPÖ-ÖVP-Koalition, in der nur die SPÖ-Projekte umgesetzt werden, aber kein einziges ÖVP-Projekt, weil der SPÖ-Gewerkschaftsblock nicht mitstimmt, hätte die ÖVP wahrscheinlich nur mit schweren Verlusten überlebt (was im Umkehrschluss wahrscheinlich riesige Gewinne für die FPÖ bedeutet hätte).

KKP hat recht, dass der Unterschied zwischen FPÖ und ÖVP damals nur 400 Stimmen waren, aber es war egal, weil FPÖ und ÖVP damals miteinander koalierten, und nicht gegeneinander antraten, so wie Hofer und Van der Bellen bei der Präsidentschaftswahl, bei der sich 30.000 Stimmen Unterschied ergaben. Auch wenn die FPÖ im Jahr 2000 10.000 oder 100.000 Stimmen Vorsprung vor der ÖVP gehabt hätte, hätte Haider Schüssel das Kanzleramt überlassen, auch wegen der „Ausgrenzung“, auch weil international ein Kanzler Schüssel akzeptabler gewesen wäre als ein Kanzler Haider. Die Entscheidung Haiders, trotz Stimmenvorsprung auf die Führungsrolle zu verzichten, kann man aber auch als einmalige Bescheidenheit und Demut sehen, die in einer katholischen Tradition steht (Haider war getaufter Katholik, was im früheren dritten Lager mit seiner Tendenz zum Protestantismus eher unüblich ist).

Zwischen ÖVP und FPÖ bestand Mandatsgleichstand, obwohl die ÖVP streng genommen ihr Versprechen, bei Platz 3 in Opposition zu gehen, gebrochen hatte. Als Maria Vassilakou dasselbe machte wie Schüssel 2000, nämlich 2015 trotz Rücktrittsversprechen in der Wiener Landesregierung verblieb, fand der „Standard“ das weit weniger kritikwürdig, vielleicht deswegen, weil sie im Unterschied zu Schüssel eine Frau war, was man auch als Sexismus des Standard bezeichnen kann.

Um Missverständnissen vorzubeugen: als jemand mit Tirol-Bezug hatte ich von den mehrsprachigen Ortstafeln in Südtirol einen guten Eindruck, und mit dem Ende des Ostblock-Kommunismus 1989/1991, insbesondere in Jugoslawien, dürfte auch die Ortstafelfrage in Kärnten an Bedeutung verloren haben. Dennoch konnte Haider den Eindruck haben, dass es sich hier um ein politisches Urteil handle, weil der Grenzwert für Mehrsprachig-Betafelung vom VfGH mit 10% an der unteren Grenze dessen angesiedelt wurde, während in internationalen Vergleichsfällen (5-30 bzw. 10-30%) üblich ist. Die Aufgabe des VfGH ist eigentlich Normenkontrolle, aber nicht Gesetzgebung. Die VfGH-Position „Wir heben alles auf, was keine 10%-Regelung ist“ konnte man sehen als seltene drastische Einschränkung des Handlungsspielraums eines Gesetzgebers, oder vielleicht als rechtliches Nullum, weil der VfGH eben nicht Gesetzgeber ist. Der Sinn einer Urteilsbegründung sollte Urteilsbegründung sein, nicht Entfachung politischen Wirbels. Haiders Filibustering dagegen, die Ortstafelverrückung, war problematisch, aber Filibustering kommt in der Politik öfter vor. Auch die Marathonreden der Grünen, um beschlussfähige Gesetze zu verhindern, kann man als ähnliches Filibustering betrachten. In beiden Fällen war die Vorgehensweise transparent.

Böhmdorfer ist FPÖ-nah und finanziell unabhängig. Er dürfte Haiders Vorschlag der Sanktionen gegen oppositionelle Mandatsinhaber, die sich befürwortend zu den EU-14-Sanktionen äußern (nicht gegen alle Oppositionelle !), als „verfolgenswert“ bezeichnet haben, was in Anbetracht des Begriffs der „strafrechtlichen Verfolgung“ eindeutig zweideutig ist, ähnlich wie auch der Begriff „überlegenswert“, der sich vom Begriff „begrüßenswert“ unterscheidet, den verwendet zu haben, SPÖ-PolitikerInnen Böhmdorfer unterstellt zu haben scheinen. Das Verhältnis zwischen rechtspopulistischen Parteien und etablierten Parteien ist oft asymmetrisch, weil die etablierten Parteien über Medien verfügen, die rechtspopulistischen aber kaum oder gar nicht. Dass Böhmdorfer zum Lieblingsfeindbild antihaideristischer Journalisten und –innen wurde, dürfte damit zusammenhängen, dass er Expertise in Medienrecht hat und vor 2000 zahlreiche Prozesse, viele davon erfolgreich, gegen antihaideristische Journalisten bzw. –innen gewann. Und man muss auch die Vorgeschichte betrachten: eigentlich war ja Michael Krüger FPÖ-Justizminister, aber SPÖ-nahe Journalisten fanden es eine hervorragende Idee, Krüger mit Hilfe von Meuchelinterviews abzuschießen. Mein Mitleid mit SPÖ-nahen Journalisten dafür, dass sie durch den Abschuss von Krüger Böhmdorfer zum Justizminister gemacht haben, hält sich in Grenzen. Die Skandalisierung des zweideutigen Böhmdorfer-Sagers „überlegenswert“ bzw. „verfolgenswert“ durch SPÖ-nahe Journalisten und –innen dient wohl auch dazu, davon abzulenken, dass ohne den Abschuss von Krüger Böhmdorfer nicht Justizminister geworden wäre. Auf die Frage, ob sie Krüger auch abgeschossen hätten, wenn sie gewusst hätten, dass Böhmdorfer nachfolgt, sind SPÖ-nahe Journalisten nie eingegangen. So gesehen sind sie wie kleine Kinder oder Zauberlehrlinge im Goethe-Stil, die die Folgen ihres Handelns nicht abschätzen können bzw. wollen.

Die EU-14-Sanktionen waren insofern problematisch, als erstmals in der Geschichte eine Regierung nicht für irgendeine Handlung oder Entscheidung, sondern für die reine Bildung sanktioniert wurde (KKP hat das vor langer, langer Zeit selbst einmal kritisiert, wenn ich mich recht erinnere, was für eine SPÖ-Funktionärin ein unübliches Verhalten war, nur Helmut Zilk ging damals ähnlich weit auf Distanz zur eigenen Partei).

Die damalige Cohabitation in Frankreich (konservativer Chirac als Präsident, sozialdemokratischer Jospin als Premier), kann man nicht als „konservativ regiert“ bezeichnen, so wie KKP das tut. Einer Theorie zufolge hat Chirac die EU-14-Sanktionen nur unterstützt, weil Klestil ihm zugesagt habe, dass sie 100%-ig sicher zielführend sein würden, und Chirac scheint hinterher ziemlich böse auf Klestil gewesen zu sein, weil Klestil ihn völlig falsch über die Erfolgsaussichten der Sanktionen informiert zu haben schien.

Klestil wiederum, der 1992 durch eine schwarz-blaue Mehrheit zum Bundespräsidenten gewählt worden war, weil er die FPÖ als „regierungsfähig“ bezeichnete hatte, hat vielleicht in Zusammenhang mit der Trennung von seiner damaligen Frau und seiner Zuwendung zu einer neuen Frau, mit der er mit Trauzeugen Häupl verheiratet wurde, seine Position in Sachen FPÖ um 180 Grad gedreht, was von so manchem FPÖ-Politiker als „lumpenhaft“ bezeichnet wurde, der wegen möglicher Ministeramtsambitionen in dieser Frage einen Rückzieher machte (was ihm allerdings das ersehnte Ministeramt nicht einbrachte), obwohl ein Prozess in dieser Frage (amtswegige Verfolgung der Verletzung der Ehre des Bundespräsidenten) für die Republik vielleicht heilsamer gewesen wäre.

Was KKP auch verschweigt, ist der mutmaßliche Deal zwischen der SPÖ (insbesondere der Wiener SPÖ, also Häupl) und Bundespräsident Klestil: „Wir als SPÖ verzichten bei der Präsidentenwahl auf einen Gegenkandidaten, dafür verpflichtest Du, Klestil, Dich dazu, niemanden anderen als einen SPÖ-Kandidaten zum Kanzler zu machen, unabhängig davon, wie die Wahlen ausgehen.“ Auch dieser mutmaßliche Deal zwischen Häupl und Klestil dürfte dazu beigetragen haben, dass die SPÖ bei den Koalitionsverhandlungen im Jahr 2000 viel zu hoch pokerte und alles verlor. Aus demokratiepolitischer Sicht ist das natürlich Wählerentmündigung (sie glauben, über Regierung und Kanzleramt zu entscheiden, während in Wirklichkeit alles schon vorausgepackelt war). Die Frage, wer die treibende Kraft hinter dem absolut seltsamen und einmaligen SPÖ-Verhandlungsstil war, beschäftigt mich seit Längerem, es sprechen sehr viele Indizien dafür, dass es Häupl war.

Jospin übrigens befürwortete nicht nur die EU-14-Sanktionen, die später als „kontraproduktiv“ zurückgenommen wurden, sondern er agierte ungeschickt, indem er einerseits die „gauche plurielle“ (die pluralistische Linke) befürwortete, andererseits aber genau das Reihungswahlrecht nicht forderte, das in diesem Fall nötig gewesen wäre. Mit Hilfe der Zweit- und Drittreihungen von anderen Linksparteien hätte Jospin Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2002 weit überflügeln können, oder er hätte, falls seine Forderung nicht umgesetzt würde, sich zum Opfer von Chirac und Le Pen (zum „Ausgegrenzten“) stilisieren und so punkten können. Ironischerweise waren die beiden Erfinder von Reihungwahlrechtssystemen, die Jospin offensichtlich nicht kannte, Franzosen, nämlich Condorcet und Borda.

Die Ausführungen einer Van der Bellen unterstützenden Schauspielerin in diesem Präsidentschaftswahlkampf, bei der Stimmerlangung seien der Kreativität keine Grenzen gesetzt, aber man solle dabei nicht sehr kriminell werden, und die Nichtdistanzierung Van der Bellens davon, werfen gerade in Zusammenhang mit den Fragwürdigkeiten und Manipulationsanfälligkeiten ein schlechtes Licht auf diese Präsidentenwahl. Die erwähnte Schauspielerinnenäußerung dürfte eher Anstiftung zur Urkundenfälschung sein als Verhetzung, wie die FPÖ behauptete. Allerdings ist das Klima tatsächlich gespannt: dem Mord an Pim Fortuyn 2002, neun Tage vor der Parlamentswahl, ging eine „Stoppt den holländischen Haider !“-Kampagne von Teilen der holländischen Linken voraus. Man kann das – im Unterschied zur FP-skandalwitternden KKP - als Bestätigung der Staatskünstler-Vorwürfe betrachten, die Jörg Haider vor langem erhob, weil van der Bellen Staatsbeamter ist und viele Unterstützer aus Beamtenkreisen hat.

Das „Dauergesudere“, das KKP der FPÖ zuordnet, wurde durch einen sehr ähnlichen Ausspruch von Ex-Kanzler Gusenbauer bekannt, und dürfte vielleicht allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung sein (die einem ja immerhin die Steuerlast auferlegt), wie sie auch international zu finden ist.

KKPs Position, Hofer hätte sein Amt als dritter Nationalratspräsident zumindest ruhend stellen sollen, ist vertretbar, aber in Anbetracht der Tatsache, dass aufgrund der Verfassung ohnehin nur der erste Präsident (in rein männlicher Formulierung übrigens, sodass sich theoretisch die Frage stellt, ob er auf Bures anwendbar ist) vertretungsbefugt ist, von geringer Bedeutung.

KKP´s Position, alle rechtspopulistischen Parteien Europas seien ident, kann ich nicht zustimmen: auch wenn sie in Sachen Islamkritik im Großen und Ganzen übereinstimmen, so gibt es unter den als „rechtspopulistisch“ bezeichneten Parteien gravierende Unterschiede, z.B. in Sachen Abgrenzung zum Nationalsozialismus oder in Sachen Homosexualität. Dass weite Teile der gegenwärtigen Politikwissenschaft islam- bzw. islamismuskritische Parteien prinzipiell als „rechtspopulistisch“ bzw. „rechtsextremistisch“ einstuft, auch wenn sie z.B. Vermögenssteuern befürworten, kann als Kuriosum betrachtet werden. Rechtspopulistische Parteien bzw. teilsrechtspopulistische Parteien (Parteien, die nur teilweise Züge aufweisen, die von der Politikwissenschaft als „rechtspopulistisch“ eingestuft werden) unterscheiden sich auch oft in vielen Fällen in der Frage Neutralität-Bündnisfreiheit-NATO. Während die heutige FPÖ ansatzweise homophob, neutralistisch mit geringer Abgrenzung vom Nationalsozialismus ist, ist/war das BZÖ homophil (Haiders mutmaßliche Bisexualität, Gross´ geoutete und Petzners mutmaßliche Homosexualität), teilwiese NATO-freundlich und mit größerer Distanz zum Nationalsozialismus.

Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass das jetzige Bundespräsidentenwahlgesetz zerstört (und durch Reihungswahlrecht ersetzt) werden muss, weil es Irrtumsbewirkung („Täuschung bei einer Wahl“, StGB §263) durch Medien und Meinungsumfrageinstitute ermöglicht, und das in großem Ausmaß und schon im ersten Wahlgang.

P.S.: die „Lückenpresse“ ist eine abgeschwächte Form der „Lügenpresse“. Während eine Lüge eine absichtliche und wissentliche Behauptung einer Unwahrheit ist, ist eine Lücke das Verschweigen bzw. Vertuschen eines Umstands, der die ganz Sache in einem völlig anderen Licht erscheinen ließe. Während Lügen vielfach strafrechtliche Konsequenzen folgen bzw. folgen könnten, sind Lücken, also das Verschweigen und Vertuschen wichtiger Umstände völlig erlaubt und in den Medien extrem weit verbreitet. Journalisten und -innen verstehen es sehr gut, durch Weglassen von Details einen völlig falschen Eindruck zu erwecken. Gruppierungen wie Pegida haben daher unrecht, wenn sie die „Lügenpresse“ zum Skandal erklären, während in Wirklichkeit die „Lückenpresse“ das viel größere Problem ist.

http://derstandard.at/2000040391385/Schein-und-Sein-einer-rechtspopulistischen-Partei

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