Um die Person Christian Kerns ist an der sogenannten SPÖ-Basis ein Streit ausgebrochen. Verschiedene Wut-Videos von SPÖ-Mitgliedern kursieren, die Kern scharf kritisieren und ihm die Eignung für die Spitzenkandidatur bei der EU-Wahl absprechen:

ich möchte in diesem Blog einiges erwähnen, was aus meiner Sicht für Christian Kern spricht bzw. sprach. Dabei geht es nicht um die EU-Spitzenkandidatur, sondern um eine historische Einschätzung.

1.) Christian Kern war seit ca. 30 Jahren der Erste, der ohne Unterstützung des Wiener Bürgermeisters (Häupl) bzw. sogar gegen den Widerstand desselben SPÖ-Kanzler bzw. SPÖ-Vorsitzender werden konnte. Aus Sicht der Machtverteilung auf verschiedene Personen, und weil ein Kanzler etwas anderes sein sollte als ein Laufbube des Wiener Bürgermeisters, ist das sehr positiv zu bewerten.

2.) Kern akzeptierte den Verlust des Kanzleramts und der Regierungsbeteiligung auf eine demokratisch-lupenreine Art und Weise. Gerade der Unterschied zur SPÖ des Jahres 2000, die mit "Haider=Hitler"-Vergleichen arbeitete, "Putsch-Krapfen"-Romantik duldete, und in Publikationen der schwarz-blauen Koalition (mit 54%-Mehrheit!) die "Legitimität" absprach, wirft ein positives Licht auf Kern.

3.) Kern thematisierte Ungereimtheiten innerhalb der SPÖ und versuchte, sie auszuräumen, wie beispielsweise den Widerspruch zwischen SPÖ-Bundesparteitagsbeschluss, auf keine Ebene mit der FPÖ zu koalieren, aufrecht zu erhalten und gleichzeitig im Burgenland eine SPÖ-FPÖ-Koalition zu haben. Dabei scheiterte Kern mutmaßlich an der Wiener SPÖ, bzw. am Michael Häupl.

4.) Kern war rhetorisch besser als als manche seiner Vorgänger im Kanzleramt.

5.) manche seiner Punkte im "Plan A" hatten einen der SPÖ vielfach fehlenden Aspekt von Realismus in Wirtschaftsfragen.

Und nun zu einigen Argumenten, warum so manche SPÖ-interne Kritik an Kern überzogen oder falsch ist:

a) an Kern wird kritisiert, dass er sich nicht zu vorgezogenen Neuwahlen entschieden hat, zu einer Zeit, als Umfragen eine "Platz eins"-Position für Kern bzw. die SPÖ auswiesen.

Ich halte diese Kritik für in mehrerlei Hinsicht falsch:

aa) vorgezogene Neuwahlen, die sogenannten Überrumpelungswahlen, mit denen die Regierung die Opposition überraschen und "auf dem falschen Fuss erwischen kann", erhöhen die Politikverdrossenheit. Die Vorzugs-Wahl-Taktiken und -Spekulationen binden viel Energie und Medienpräsenz, die man viel besser verwenden könnte.

In den USA sind vorgezogene Wahlen prinzipiell verboten. Die Hälfte des Kongresses wird absolut regelmässig mit den Präsidentschaftswahlen alle vier Jahre und die andere Hälfte genauso regelmässig alle vier Jahre bei den Midterm-elections gewählt.

ab) Man muss die Erfahrung von 2006 mitbedenken: damals erzielte die SPÖ "Platz eins", aber durch einen Prozess, der die Zusammenarbeitsbasis mit der ÖVP zerstörte und zu einer nichtfunktionierenden SPÖ-ÖVP-Koalition führte; Kanzler Gusenbauer ging beschädigt durch Wahlversprechensbruch in eine Koalition, die er kurz danach als kürzest-amtierender Kanzler wieder verlassen musste. Wenn Kern Neuwahlen ausgerufen hätte, hätte ein ähnliches Szenario gedroht, auch und insbesondere deshalb, weil er durch die SPÖ-Vorgeschichte nur eine einzige Koalitionsoption hatte, die mit der ÖVP.

Gemeinfrei / zug.gem. SPÖ Presse und Kommunikation https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Kern#/media/File:Kern_Portrait.jpg

Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ), von Teilen der Parteibasis zu Unrecht geshitstormed, frei nach dem Motto "A Schas is, was kommt von der Basis" (Übersetzung aus dem Wienerischen für Bundesdeutsche: "Es ist ein Furz, was von der Basis kommt" der Reim ist leider unübersetzbar)

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