Der angebliche Kanzler von Österreich, Sebastian Kurz, meinte im ORF-Sommergespräch: "Religion ist Privatsache".

Ausgerechnet der Sebastian Kurz, der federführend beim Islamgesetz (das Auslandsfinanzierung verbot und hauptsächlich gegen die Türkei gerichtet war) und beim Verbot des islamischen Kopftuchs im Kindergarten war, der somit Religionsfragen sehr politisch (nämlich durch Gesetze) und ganz und gar nicht privat abhandelte, hält Religion für Privatsache ?????

Vielleicht muss man diese Antwort wie so viele von Kurz als rein situationistisch betrachten: er - der mit seinem Katholizismus Wahlwerbung betreibt - wurde gefragt, wie oft er in die Kirche gehe. Den klassischen "praktizierenden Katholizismus" (d.h. jeden Sonntag in die Kirche gehen, auch, wenn man gedanklich abschweift oder die Predigten des Pfarrers für Schwachsinn hält), praktiziert er nicht, sondern geht eher selten in die Kirche, was ja irgendwie verständlich erscheint.

Kurz' Koalitionspartner, die FPÖ, ist einer der radikalsten Islamkritiker; so gesehen dient Kurz' Aussage, Religion sei Privatsache vielleicht dazu, das Wesen seines Koalitionspartners zu vertuschen oder seinen Koalitionspartner kaputtzukoalieren, ähnlich wie Wolfgang Schüssel (ÖVP-Ex-Kanzler) das in den Jahren zwischen 2000 und 2006 mit der FPÖ machte.

Außerdem will Kurz die "neue ÖVP" etablieren als frauenfreundliche Partei, die zahlreiche Frauen in Ministerposten bringt, wie z.B. Schramböck oder Bogner-Strauss, und da passt das katholische Patriarchat, in dem nur Männer Pfarrer, Bischof, Kardinal und Papst werden können, gar nicht. Als Katholik tut Kurz sich schwer, das katholische Patriarchat zu verteidigen und gleichzeitig das islamische Patriarchat zu kritisieren, daher entkommt er dieser Problematik bevorzugt durch "Privatsachen"-Sager.

Irgendwie genial, wie Kinder-Kanzler "Basti" Kurz mit seinem Kindchenschema es immer wieder schafft, einander widersprechende Positionen zu vertreten, ohne dass irgendjemand das kritisiert, ähnlich wie man jungen Welpen jede Tolpatschigkeit und jeden Fehler verzeiht, eben, weil sie so jung sind und tolpatschig und unerfahren sind.

So gesehen ist Kurz die absurdest-mögliche Bestätigung von Grönemeyers "Kinder an die Macht", weil erstens zweifelhaft ist, ob tatsächlich Kurz die Macht hat oder seine Berater, von denen Kurz zugab, dass er auf sie hört, als er noch Aussenminister war, im Dunkeln bleiben.

Und unerfahrene Jungwähler und -innen lieben ihn in großer Zahl, nicht so sehr wegen seiner Kompetenz oder Altersweisheit, die er jugendbedingt gar nicht haben kann, sondern, weil Kurz beweist, dass junge Leute "vollwertig" sind, und alles werden können.

... oder fast alles: wenn ich mich recht erinnere, dann müssen Bundespräsidenten mindestens 36 Jahre alt sein.

Außerdem: Kinderkanzlertum bei einem Land, das so bedeutungslos ist wie Österreich, macht ja nix und kann keinen Schaden anrichten, noch dazu, wo Österreich durch EU-Regeln gebunden ist und die Großmächte die EU-Politik bestimmen.

Andererseits kann man bei Kurz das entdecken, was man bei allen Spitzenpolitikern und -innen entdecken kann: je mehr Wählende sie haben, umso inhaltsleerer werden ihre Aussagen, und das müssen sie auch, weil man verschiedene Wählendengruppen mit einander oft widersprchenden Interessen eben nur so unter einen Hut bringen kann: indem man vage und diffus bleibt, indem man "Change" oder "Veränderung" verspricht, ohne zu sagen, wie und wohin, indem man möglichst eindrucksvoll, vielleicht gespickt mit Fremdworten, möglichst gar nichts sagt.

So funktioniert moderne Politik und moderne Demokratie: statt Diskurs und Ehrlichkeit Herumgerede, nichtssagende Floskeln und vielleicht Feindbilder.

Oder man propagiert im Gegensatz zum Feindbild den "neuen Stil", auch um von den eigenen politischen Inhalten und Zielen abzulenken.

"Politisch Lied, ein garstig Lied", sang Wolf Biermann einmal.

Wie die überwältigende Mehrheit der Künstler politisch links stehend, würde Herbert Grönemeyer heute vielleicht in Scham versinken beim Gedanken, mit seinem Song Kurz zur Kanzlerschaft verholfen zu haben.

Kindchenschema: jugendliche Gesichtszüge verursachen Bemutterungsinstinkte und Bevaterungsinstinkte. Der Grund, warum Kurz trotz Fehlern und Angreifbarkeiten mit Abstand in den Umfragen führt ?

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