Zum EuGH-Schrotturteil in Sachen Glawischnig und Facebook

Die Medien feierten es als Sensationsurteil des EuGH vom 3.Oktober 2019, das die Möglichkeit des Medienrivalen Facebook angeblich drastisch einschränkt. Die betreibende ehemalige Grünensprecherin Glawischnig nannte es einen "großen Sieg".

http://curia.europa.eu/juris/celex.jsf?celex=62018CJ0018&lang1=de&type=TXT&ancre=

Der zentrale Satz ist:

"Die Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), insbesondere ihr Art. 15 Abs. 1, ist dahin auszulegen, dass sie es einem Gericht eines Mitgliedstaats nicht verwehrt,

(a) einem Hosting-Anbieter aufzugeben, die von ihm gespeicherten Informationen, die den wortgleichen Inhalt haben wie Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt worden sind, zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, unabhängig davon, wer den Auftrag für die Speicherung der Informationen gegeben hat;

(b) einem Hosting-Anbieter aufzugeben, die von ihm gespeicherten Informationen, die einen sinngleichen Inhalt haben wie Informationen, die zuvor für rechtswidrig erklärt worden sind, zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren, sofern die Überwachung und das Nachforschen der von einer solchen Verfügung betroffenen Informationen auf solche beschränkt sind, die eine Aussage vermitteln, deren Inhalt im Vergleich zu dem Inhalt, der zur Feststellung der Rechtswidrigkeit geführt hat, im Wesentlichen unverändert geblieben ist, und die die Einzelheiten umfassen, die in der Verfügung genau bezeichnet worden sind, und sofern die Unterschiede in der Formulierung dieses sinngleichen Inhalts im Vergleich zu der Formulierung, die die zuvor für rechtswidrig erklärte Information ausmacht, nicht so geartet sind, dass sie den Hosting-Anbieter zwingen, eine autonome Beurteilung dieses Inhalts vorzunehmen;

(c) einem Hosting-Anbieter aufzugeben, im Rahmen des einschlägigen internationalen Rechts weltweit die von der Verfügung betroffenen Informationen zu entfernen oder den Zugang zu ihnen zu sperren."

(Die abc-Nummerierung ist von mir zur besseren Übersichtlichkeit)

Dieses Urteil ist also

1.) ein Rahmenurteil: es legt dem Anspruch nach fest, inwieweit die betreffende EU- bzw. EG-Richtlinie den Entscheidungsspielraum nationaler Gericht einschränkt und wie nationale Gerichte die EU-Richtlinie zu verstehen haben.

Genau genommen zählt es angeblich einige Dinge auf, die die EU-Richtlinie den nationalen Gerichten nicht verwehrt.

Punkt a) ist relativ harmlos und schon bisher bestehendes und praktiziertes Recht.

Punkt b) ist insofern interessanter, als er sich it der Sinngleichheit beschäftigt: die Möglichkeit der Verurteilung zur Entfernung von Aussagen, die im Sinn gleich sind zu Aussagen, die sonst für rechtswidrig erklärt wurden, sind aber eingeschränkt auf b1) das im Wesentlichen Gleichbleiben des Inhalts der Aussage und b2) die Nicht-So-Beschaffenheit, dass der Hosting-Betreiber, also Facebook eine autonome Beurteilung vornehmen muss.

Punkt c) betrifft die weltweite Geltung im Rahmen des derzeit geltenden internationalen Rechts.

Zu b1) wenn nicht Wortgleichheit, die algorithmisch leicht festzustellen ist, gemeint ist, wie weit soll dann eine Sinngleichheit bei im Wesentlichen gleichbleibenden Inhalt gehen ? Und wie soll die nicht absollute Gleichheit, sondern nur der im Wesentlichen gleichbleibende, also doch ein bisschen abweichende Inhalt festgestellt werden, ohne eine autonome Beurteilung des Betreibers zu erfordern ?

Eine Möglichkeit, dieses Urteil umzusetzen, wäre, Facebook bei einer Ehrverletzung einer üblen Nachrede oder Ähnlichem aufzutragen, alle Postings zu löschen und den Betrieb einzustellen. Damit ist automatisch auch gewährleistet, dass alle sinngleichen Postings gelöscht wurden, wie auch immer man diese Sinngleichheit interpretieren und feststellen soll. Und eine Alllöschung mit folgendem Facebookbetriebsende würde auch ohne autonome Beurteilung des Inhalts gehen.

Eine zweite Möglichkeit ist die Auslagerung der Beurteilung der Sinngleichheit an die Cloud oder den Schwarm, den man je nach Gusto für schwarmintelligent oder schwarmblöde halten kann.

Es wäre also in der Praxis im Wesentlichen das, was Facebook bereits praktiziert: automatisches löschen, wenn 100 oder 1000 Accounts sich beschweren, die auch 1 uniquer User und 99 bzw. 999 FakeAccounts oder Bot-Accounts desselben Users sein können.

Damit zementiert dieses Urteil aber das bereits bisher problematische Vorgehen von Facebook, gar nicht oder kaum inhaltlich zu prüfen, sondern sich nur an einer oft unbegründeten Stimmung eines oder mehrerer User zu orientieren.

Wenn Facebook irgendeine irrelevante kleine Plattform wäre mit 0.1% Marktanteil bei Social Media, dann wäre das zwar dubios, aber nicht so schlimm, aber bei einem dominanten Social Media wie Facebook kann eine derartige Auflage eine Art Schweigegebot und Äußerungsverbot durch argumentlosen Shitstorm darstellen.

In Wirklichkeit wird hier in der Absicht des Persönlichkeitsschutzes und der Vermeidung der üblen Nachrede die Meinungsäußerungsfreiheit abgeschafft, zumindest in den Fällen, in denen sich 100 oder 1000 Accounts beschweren, es sei angeblich ein sinngleiches Posting zu einem rechtswidrigen Posting erfolgt, ohne dass diese angebliche Sinngleichheit überprüft oder bewertet wird. Die Anschuldigung, ein sinngleiches Posting zu einem rechtswidrigen getätigt zu haben, reicht also für die Löschung, eine Begründung der angeblichen Sinngleichheit zu einer rechtswidrigen ist nicht nötig.

Tatsächlich könnte sich eine solche auch extrem schwierig erweisen, es kann nicht nur als Sinngleich zu "Hure" "Kurtisane", "Hetäre", etc. verwendet werden, es können auch Einzelfälle herangezogen werden z.B. "Glawischnig und Mutzenbacher haben so einiges gemeinsam". Ebenso können tausende unterschiedliche Sprachen und Dialekte verwendet werden, und zahlreiche Sprachspiele wie Buchstabenverwechslungen "Uhr Glawischnig" statt "Hur Glawischnig". Wie soll hier entscheiden werden, ob im Wesentlichen eine Sinngleichheit vorliege oder nicht ?

Durch die Cloud und den Schwarm von 100 oder 1000 Usern, von denen ein großer Teil nur deswegen auf Sinngleichheit plädiert, weil so viele Andere es auch tun, ohne inhaltliche Prüfung, einfach nach einem Motto wie "Esst Scheisse, 500 Milliarden Fliegen können n icht irren!"

Der angeblich intelligente Schwarm, wenn er eine irregeführte und eine von Massenpanik und Massenfehleinschätzung gesteuerte Masse ist, soll hier den Ausschlag geben, und das ohne Begründung, ohne Präzisierung, der Einfachheit halber mit "Daumen rauf" oder "Daumen runter". Die Cloud, der Schwarm soll Urteile fällen ohne Urteilsbegründung, und das ganze soll dann auch rechtsstaatlich sein - was für ein Unsinn!

So gesehen ist das eine Legitimierung der massenmedialen Lynchjustiz, erst wird abgestimmt und aufgehängt, und dann wird der Inhalt beurteilt oder auch nicht, und dann wird das Urteil begründet oder auch nicht - der Wilde Westen läßt grüßen - und kurioserweise oder logischerweise sind es gerade die Antiamerikaner, die dieses Urteil in Richtung medialer Lynchjustiz dann auch noch als großen Erfolg feiern.

zu c) weltweite Geltung im Rahmen des internationalen Rechts: erstens einmal fällt mir kein internationales Recht ein, das derartige IT-Rechts-Fragen regelt, sodass die Bedeutung ziemlich hohl ist.

Der Regelungsmangel bei neuen Technologien ist auf globaler Ebene noch wesentlich größer als er auf nationaler Ebene oder auf globaler Ebene ist, auch so gesehen stellt die Welt das dar, was der Professor für internationale Politik an der Universität Chicago, John Mearsheimer "globale Anarchie" nannte.

Das dieses Urteil ziemlicher Schrott ist, möchte ich mich mit dem beschäftigen, was es nicht enthält, was darin fehlt, damit man daraus doch noch etwas machen könnte und was fehlt, und was aber von Bedeutung sein könnte.

Da wären erst einmal die Vereinbarkeit mit der bestehenden Judikatur und der bestehenden Rechtspraxis von z.B. Staatsanwaltschaften.

Laut bereits bestehender Judikatur müssen sich Politiker und Politikerinnen (und Glawischnig war zum Zeitpunkt der Entstehung der strittigen Postings eine solche) extreme Kritik gefallen lassen, und dürfen sich nicht auf den für normale Menschen (also Menschen, die keine Politiker sind) bestehenden Persönlichkeitsschutz berufen. Und die im Vergleich zu Durchschnittbürgern hohe Politikerentlohnung kann man ja als Schmerzensgeld oder Entschädigung für diese extreme Ausgesetzheit gegenüber Kritik betrachten.

https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/UrteilsanmerkungFDStrafR201920

Weiters laufen die Entscheidungen zahlreicher österreichischer Staatsanwaltschaften in ähnlich gelagerten Fällen darauf hinaus, derartige Aussagen als "mileubedingte Unmutsäußerungen" einzustufen, die Einstellungen zur Folge haben.

Einen Unterschied kann hier die potenzielle Hörerzahl machen - bei manchen Delikten sind hier zahlenmäßige Grenzen vorgesehen - die Delikte beginnen erst bei 30 bzw. 100 Zuhörern, oder Ähnlichem. Wie man diese Grenzen nun im Internet bewertet, ist insofern eine schwierige Frage, als man bei einer Rede oder einem Zwischenruf dazu in der Regel davon ausgehen kann, dass alle Erwachsenen Anwesenden zuhören.

Was bei Internetforen, insbeondere bei Kommentaren, nicht der Fall ist.

Auf der Suche nach irgendeinem irgendwie gearteten Sinn, den dieses Urteil doch machen müsse, kam ich auf die Idee, das das darin potenziell enthaltete Overblocking, also die Löschung von zu vielen als den rechtswidrigen und sinngleichen oder sinnähnlichen Inhalten umzuinstrumentalisieren zu einer Art Anti-Trust-Judikatur, einer Art Judikatur, die sich nur gegen marktbeherrschende Firmen oder Medien richtet, wie z.B. Facebook auf dem Gebiet der Social Media, Google auf dem Gebiet der Suchmaschinen, Amazon auf dem Gebiet des Internethandels und Windows/Microsoft auf dem Gebiet der Betriebssysteme.

Aber dazu fehlt gleich mehreres: erstens eine Begrenzung eben auf das Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung wie eben Facebook in der Sphäre der Social Media. Und weiters eine Schnittstellenvorschrift, bzw. eine Austauscherlaubnisliste.

Denn ohne eine Schnittstellenvorschrift können durch Overblocking negativ betroffene User eben nicht zu anderen Social Media wechseln, ohne ihre Kontakte zu verlieren. Und ohne die Info-Austauscherlaubnisliste könnten sich zahlreiche juristische Probleme ergeben.

Wenn die Absicht bestanden hätte, eine Art Antimarktbeherrschungsjudikatur durch die Hintertür des Persönlichkeitsschutzes zu implementieren, dann hätte man eben Begleitmaßnahmen dazuerwähnen müssen oder sollen.

Ansonsten scheint der Sinn dieses Urteils im Wesentlichen darin zu bestehen, keinen Sinn zu machen, eine Art von juristischem Dadaismus.

Dieses Urteil erweitert den Mangel der österreichischen Geschworenen- und Schöffengerichtsbarkeit, keine Urteilbegründung zu erfordern und damit die krassesten Schrotturteile zu verursachen, auf globale Ebene und Großkonzernebene. Ganz große Gratulation zu dieser Schildbürgerjudikatur;) (Achtung, Satire!); Blöderes wurde schon lange nicht judiziert.

Im Gegensatz zum dadaistischen Charakter dieses Urteils steht die mediale Berichterstattung bzw. die Politikeraussagen:

https://www.oe24.at/oesterreich/politik/Das-sagt-Eva-Glawischnig-ueber-ihren-Sieg-gegen-Facebook/400247554

www.facebook.com/ZeitimBild/videos/903615873357281/

https://www.puls4.com/cafepuls/Videos/beitraege/Eva-Glawischnig-zum-Sensations-Urteil

(Eine Sensation bei diesem laut Puls4 "Sensationsurteils" besteht darin, dass es ein Urteil frei von Rechtsstaatlichkeit ist; eine weitere Sensation besteht darin, dass dieses Urteil vielleicht absichtlich, vielleicht auch nicht die Vertrotteltheit der Medien entlarvt, die offensichtlich nur von einander abschreiben bzw. versuchen, sich bei Berichterstattung über den EuGH in Superlativen zu übertreffen, und zwar völlig unabhängig davon, ob der EuGH Vernünftiges oder Schrott judiziert;

und indem dieses Urteil die Medien als völlig vertrottelt aussehen läßt und die Trump-These von den FakeNews bestätigt, trägt es auch sehr wesentlich zur Versöhnung zwischen USA und EU bei; und auch das ist vielleicht der eigentliche Sinn dieses Urteils bei allem offensichtlichen Unsinn)

https://orf.at/stories/3139619/

https://www.kleinezeitung.at/wirtschaft/5214061/Gruene-vs-Facebook_HasspostingUrteil_Facebook-muss-weltweit-loeschen

Die Grünen scheinen soviele verstandslose Jubelschreiber und Jubelschreiberinnen in den Medien zu haben, dass man dies eigentlich schon als Demokratiebedrohung betrachten muss - aber das erklärt wenigstens ihren Wahlsieg. Tatsäch scheint aufgrund der extremen Nähe möglicherweise ein Zusammenhang zu bestehen zwischen Nationalratswahl am 29.September und Urteilsveröffentlichung am 3.Oktober.

So gesehen wird Österreich als mangelhafte Demokratie oder als autoritäre Republik gelten müssen, in denen keine Medienvielfalt existiert, sondern eine gleichgeschaltete Medienstruktur bzw. Medienunkultur - von Erfüllung der Kopenhagen-Kriterien der EU kann dann keine Rede sein, und auch eine Kritik an der mangelhaften Demokratie Russlands kann sich das mangelhafte Österreich dann nicht mehr erlauben.

https://www.sn.at/panorama/medien/eugh-urteil-facebook-kann-verpflichtet-werden-postings-zu-loeschen-77132329

"Zwei mal drei macht vier, widiwidiwitt und drei macht neune, ich mache mir die Welt, wiediwidiwie sie mir gefällt."

Pippi-Langstrumpf-Judikatur für Pippi-Langstrump-Medien und Pippi-Langstrumpf-Leser

Der einzige Zweck dieses Urteils scheint tatsächlich darin zu bestehen, die Donald-Trump-These von den FakeNews zu bestätigen.

Siehe auch:

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/eva-glawischnig-normalhure-oder-polithure-oder-nicht-hure-37663

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