Die NEOS haben eine Kampagne gestartet, um die GIS-Gebühren auf Steuerleistung umzuschichten und den ORF zu erneuern.

http://ichtuwas.neos.eu/gis-abdrehen

Allerdings hat die Sache möglicherweise ein paar Haken, die in der bisherigen Debatte untergegangen zu sein scheinen:

1.) Diejenigen Niedrigeinkommensbezieher, denen bisher die GIS-Gebühr zu hoch war, bzw. denen die Fernsehgebühr zu hoch war und die wegen prekären Lebens- und/oder Mietumständen keine Gebührenbefreiung zugänglich war, konnten bisher auf das Fernsehen und auf die Gebühr verzichten, während sie beim NEOS-Vorschlag sowieso über (indirekte) Steuern und Gebühren und Ähnliches Fernsehgebühr zahlen, selbst, wenn sie gar nicht fernsehen. Die von den NEOS geplante Zwangssteuer hat offensichtlich viel mehr einen Zwangscharakter als das, was sie "Zwangsgebühr" nennen, weil man die angebliche "Zwangsgebühr" durch Nichtkonsum vermeiden kann, während man dasselbe bei einer automatischen Steuer nicht kann.

2.) Dies widerspricht dem Verursacherprinzip: wenn nicht mehr ausschliesslich diejenigen die Fernsehproduktionskosten bezahlen, die tatsächlich fernsehen, sondern auch diejenigen an der Bezahlung der Fernsehproduktionskosten beteiligt sind, die nicht fernsehen, dann werden durch die Verletzung des Verursacherprinzips falsche Anreize gesetzt. Ob eine solche Regelung überhaupt vor dem Verfassungsgerichtshof halten würde, ist äußerst fraglich. Die Produktion eines Fernsehprogramms kostet nun einmal Geld: und diese Kosten verschwinden nicht, indem man das abschafft, was die NEOS eine "Zwangsgebühr" nennen.

3.) Die umgekehrte Argumentation ist: indem die Fernsehgebühren auf die Steuern umgeschichtet werden, werden alle gleichsam zum Fernsehen gezwungen: die Kosten muss man sowieso tragen, und wenn man die Kosten sowieso tragen muss, dann ist es vernünftiger, zu konsumieren, statt nicht zu konsumieren.

4.) Es bleibt das Problem mit den Fernsehgegnern, die es in der aktuellen Debatte gar nicht gibt: der Medientheoretiker Neill Postman meinte einmal ("Wir amüsieren uns zu Tode" ), das Fernsehen sei mit seiner Bildhaftigkeit eine Art emotionalisierendes und verdummendes Medium, das nüchterne und distanzierte Analaysen, wie sie mit der Schriftlichkeit einhergehen würden, verhindere. Daher praktizieren manche einen weitgehenden Fernsehverzicht. Rundfunkempfang / Fernsehempfang außerhalb der Wohnung ist gebührenfrei.

5.) Die NEOS behaupten, für Freiheit, d.h. für Wahlfreiheit zu stehen. Aber wenn man sowieso über die Steuern die Fernsehkosten bezahlen muss, dann hat man gar keine Wahlfreiheit mehr.

6.) Möglicherweise liegt der Fehler bei den NEOS darin, dass sie sich (als Oberschichtpartei?) gar nicht vorstellen können, dass es prekäre Lebensverhältnisse gibt, an denen die Gebührenbefreiung trotz Bedürftigkeit scheitert. Laut NEOS-Ideologie scheint der österreichische Sozialstaat ohnehin immer überausgebaut zu sein, dass es Mangelstellen geben könnte, kommt in der Vorstellungswelt der NEOS offensichtlich nicht vor. Was kein Spezifikum der NEOS ist: insbesondere Linksparteien (SPÖ, aber auch Grüne) werden wahrscheinlich kaum zugeben, bzw. kaum zugeben können, dass es in der angeblich "Perfekt verwalteten Stadt Wien" (so eine SPÖ-Kampagne vor ca. 6 Jahren, die die Wiener mit einem resignativen Achselzucken, aber z.B. deutsche Urlauber mit einem lauten Lachen quitterten) Probleme und soziale Mängel geben könnte, eben weil prekäre Zustände schwer zu regeln sind.

7.) Die NEOS fordern ein Ende des parteipolitischen Einflusses auf den ORF. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ohne parteipolitischen Einfluss scheint mMn gar nicht zu gehen. Und wenn eine Partei wie die NEOS den ORF dahingehend beeinflusst, keinen den NEOS mißfallenden Einfluss haben zu sollen, dann ist das ja auch wieder parteipolitischer Einfluss. Hier widerspiegelt sich eine Anti-Parteien-Stimmung, die sich dann doch wieder in den Parteien kristallisiert, oder pardon, in den Bewegungen. Den Parteieneinfluss auf den ORF zu beenden und zu ersetzen durch den Einfluss politischer Bewegungen, ist eine rein sprachliche Veränderung, die am Inhalt aber so was von gar nichts verändert.

8.) Eine Lösung könnte sein, den parteipolitischen Einfluss zu proportionalisieren: jede Partei bekommt soviel Sendezeitanteil, wie ihr Stimmenanteil bei Nationalratswahlen beträgt. Welche Journalisten bzw. -innen sie dafür geeignet hält, ist ihre eigene Sache.

9.) Eine weitere Forderung der NEOS lautet "Öffentlich-rechtlicher Auftrag statt Sinnlosprogramm". Aber der springende Punkt ist, dass die verschiedenen Parteien verschiedene Vorstellungen davon haben, was öffentlich-rechtlicher Auftrag ist und was Sinnlosprogramm.

10.) Die NEOS-Argumentation klingt irgendwie nach: die privaten Rundfunkanstalten seien objektiv und ihre Medienberichterstattung sei nicht durch parteipolitische Interessen beeinflusst, aber der ORF sei unobjektiv und durch Parteipolitik geprägt. Ich würde da eher die "Alles ist politisch!"-Position vertreten. Jede Partei (oder Bewegung) hat eine politische, eine parteipolitische Position diesbezüglich, wie der ORF funktionieren soll.

11.) Die Behauptung, der ORF "schleiche nur mit" beim Veränderungsprozess der Medien, scheint von der Voraussetzung auszugehen, dass der Veränderungsprozess bei anderen (privaten) Medien automatisch gut sei. Die Forderung, Struktur und Finanzierung des ORF würden erneuert gehören, lässt vieles offen.

12.) Die NEOS behaupten auch, durch Zurückdrängung der Schwarzseher würden sich automatisch die Gebühreneinnahmen erhöhen. Wenn Schwarzseher zu Nichtsehern werden, dann erhöhen sich die Gebühreneinnahmen gar nicht.

13.) Die NEOS fordern: "Das heißt, der ORF kann bei einer neu zu schaffenden, politisch unabhängigen Stelle um Förderung für das, was er produziert, ansuchen." Als gelernter Österreicher habe ich da so meine Zweifel. Bisher war so ziemlich jede Entpolitisierung eine Umpolitisierung, Repolitisierung oder Anderspolitisierung. Außerdem unterliegt der Formulierung so eine Tendenz, Politik sei etwas Böses, hingegen nur Privates, Politisch Unabhängiges etwas Gutes. Wie diese neue Stelle besetzt werden soll, bleibt offen. Vielleicht kommen dann ja wieder genau die Stiftungsräte raus, die die NEOS ablehnen.

14.) Laut NEOS sollen die Steuern nicht erhöht werden, obwohl die GIS-Gebühren aus dem Steuertopf bezahlt werden sollen. Die NEOS behaupten auch, bei Bildung, Kunst und Kultur wären Budgetfinanzierung und politische Unabhängigkeit vereinbar. Da habe ich so meine Zweifel.

Abschliessend: ja, da läuft manches falsch im ORF, aber nein, die Reformvorschläge der NEOS überzeugen mich irgendwie nicht. Zahlreiche der Kritikpunkte treffen auch auf die geplante Kulturabgabe, die "Medienförderung neu" zu.

Und ja: irgendwie hat auch das Positionspaier der NEOS was von Postdemokratie. Sehr viel Schlagworte "Neu", wenig konkrete Konzepte, viel Kritik am ORF, wenig wirklich gangbares und handhabbares Konzept, was man anders und neu machen wolle. Immer nur zu sagen, dass der ORF nicht zeitgemäß sei, ohne zu sagen, wie man sich einen zeitgemäßen ORF vorstelle, ist ziemlich hohl. Auch zu sagen, öffentlich-rechtliche Finanzierung nur dort, wo es nötig sei, ohne dazuzusagen, wo es laut NEOS nötig sei, ist eher ein Nicht-Positionspapier als ein Positionspapier.

Es steht zu befürchten, dass derartige Luftblasen nur die Politikverdrossenheit erhöhen. Aber wie gesagt: der Erfolg gibt den NEOS quasi recht: in einer Zeit des Parteienverdrusses kann man offensichtlich auch mit Nicht-Positionen Wahlen gewinnen.

Postdemokratie: Wahlen gewinnen ohne Inhalt.

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Rüd

Rüd bewertete diesen Eintrag 24.03.2018 07:37:46

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