indem sie sich daran hält.

Diesen Kommentar hatte ich als solchen in einem Kommentarstrang eines Blogbeitrags¹ hingeschrieben, als sei dies ein völlig einleuchtender Sachverhalt, ein Binse quasi.

Ist es aber nicht. "Blödsinn", wurde daraufhin kommentiert, "selten so einen Blödsinn gelesen" und so weiter. In meinem Blogbeitrag "Tagesschau" meinte jemand, nochmal nachtreten zu müssen und mich als minderbemittelt darzustellen, und ich wurde aufgefordert, doch einfach mal zuzugegeben, ich hätte halt Blödsinn geschrieben, das sei doch nicht so schwer.

Aber das ist gar kein Blödsinn.

Blödsinn wäre es, wenn man aus dem Satz schließen wollte, daß die Gesellschaft der Exekutive gleichzusetzen wäre und kommutativ umgekehrt. Das ist freilich nicht der Fall, in demokratisch verfaßten Gesellschaften gibt es die Gewaltenteilung, und neben der Exekutiven gibt es die Legislative und die Judikative, und dann noch die (hergestellte) Öffentlichkeit als vierte Gewalt. Alle diese Gewalten bewegen sich aber (idealerweise) innerhalb der geltenden Rechtsordnung, affirmieren und entwickeln diese Ordnung weiter. Das Personal der vier Gewalten rekrutiert sich als ein kleiner Bruchteil der - und aus der - Gesellschaft für ihre jeweiligen Apparate, Regierung, Parlament, Justiz, Polizei, Finanzamt und so weiter, mit jeweils eigenen Regeln und Verfahren: Wahlen, Verbeamtung, Ernennung etc. Sie sind der Gesellschaft eingeschrieben, sie konstituierend, und stehen nicht über ihr.

Es gab aber seit jeher auch eine 5. Gewalt, und das ist der amorphe Haufen der Dissidenten, der sich nicht ums Gesetz Scherenden, der Verbrecher, also all derer, die sich - wenn auch temporär - außerhalb des rechtlichen Rahmens bewegen oder diesen auch nur in Frage stellen, den 4 Gewalten ständig zu schaffen machen und ihnen dialektisch zuarbeiten - die "Viren und Mikroben", um mal eine heute passende Analogie zu gebrauchen.

Eine 6. Gewalt wird dieser Tage sichtbar, die den zuvor genannten fünf Gewalten nicht zuzuordnen ist, ihr Personal aber genauso erfaßt wie alle sonstigen Staatsbürger, durch alle anderen Gewalten hindurchgeht. Es ist die von allen geteilte Angst. Sie hat sich als enorm steuerbar erwiesen.

Es gibt Gesellschaften - also so oder so verfaßte Haufen von Menschen - die keine geschriebene Verfassung haben und ihre Gesetze nicht in Paragraphen gegossen haben. Gleichwohl haben deren Gesetze auch "harte Kanten", und bei Gesetzes-Übertretungen werden dort ebenfalls gesellschaftliche Organe oder Organellen aktiv, um die verletzte Rechtsordnung zu heilen.

Rechtsordnungen und Gesetze entstehen im Ringen antagonistischer Gruppierungen (in demokratisch verfaßten Gesellschaften üblich), oder durch breiten Konsens und Durchdringen der historischen gesamtgesellschaftlichen Erfahrungen (eher bei sogenannten "Naturvölkern" zu beobachten). Ein Beispiel für letztere sind die Kogi in Columbien. Überhöhung durch "göttlichen Glanz" gibt es hier wie da.

Wie auch immer die Rechtsordnung, die Gesetze entstehen: sie haben nur Gültigkeit, wenn sie von der signifikanten Majorität der gesamten Gesellschaft getragen werden. Die Hauptanwendung der Gesetze findet nicht wegen ihrer Übertretung zu Gericht statt, das ist die Ausnahme, sondern durch ihre allgemeine Befolgung. Wird die Übertretung zur Regel, sind die Gesetze hinfällig.

Die iranische Revolution war nur möglich, weil sich ein zu großer Teil der Bevölkerung der bestehenden Ordnung widersetzte. Die Organe der Exekutive sahen ein, daß man nicht alle erschießen konnte. Auch die Exekutive muß von der Gesellschaft getragen werden, sonst ist sie machtlos.

Auch in einer theokratischen Gesellschaft, in der der Kanon als von Gott gegeben und in heiligen Büchern aufgeschrieben angesehen wird, das Gesetz also über der Gesellschaft zu stehen scheint, ist es die Gesellschaft selbst, welche diese Gesetze trägt und zur Geltung verhilft. In solchen Gesellschaften deuten Änderungs-Theologen² die Überlieferung flugs um, wenn ein Gesetz zwickt.

Gesetze können also so oder so entstehen, aufgeschrieben oder nicht - es gibt ja nicht umsonst das Konzept des "ungeschriebenen Gesetzes". Sie können aber auch dadurch entstehen, daß sie einfach befolgt werden - egal wie windig sie entstanden sind, egal ob sie kanonisiert werden durch Niederschrift - und, wenn auch nur temporär (das ist im Grunde jedes Gesetz), de facto ein Gesetz darstellen, das befolgt wird.

Die Aussetzung von Grundrechten zugunsten des Infektionsschutzes ist ein solches Gesetz. Davon zeugen die vielen Anzeigen von Verstößen gegen das Kontaktverbot, das Durchgreifen der Exekutive gegen Demonstrationen und sonstiger Versammlungen und die Passivität der Bevölkerung und der anderen Gewalten gegenüber der Exekutive. Die 6. Gewalt ist nicht zu unterschätzen in ihrer legislativen Kraft, und sie macht die Gesellschaftordnung verwundbar durch die oben beschriebene 5. Gewalt.

Die Befürchtungen von Ken Jebsen sind für mich durchaus nachvollziehbar, auch wenn ich sie nicht insgesamt teile.

Abschließend: als nicht getaufter, konfessionsloser Änderungs-Theologe würde ich als Grund für die Vertreibung aus dem Paradies die Angst nennen, nicht die Schlange, nicht das Naschen vom Baum der Erkenntnis, nicht die Erkenntnis von Gut und Böse, nein: die pure, nackte Angst vor Gott.

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¹) Der Satz fiel im Blogbeitrag "wenn die bilder schief werden", in dem es um "dem ken jebsen seine corona-diktatur", also um des Jebsen Besorgnis und andere schiefe Bilder ging, es ist ein Video Jebsens darin verlinkt.

²) https://www.fischundfleisch.com/theodor-rieh/fundamentalisten-und-aenderungstheologen-25753

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pirandello

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