„Ich bin schwanger“ schreibt eine Freundin und postet ein Ultraschallbild auf Facebook. Eine Interviewplattform informiert „in eigener Sache“ darüber, dass Meinungen privater Personen in Zukunft versteuert werden sollen. Wenn heute am 1. April so mancher auf die Schaufel genommen wird, darf dabei auch herzhaft gelacht werden.

Ein Ausnahmetag.

Für den „großen Humor“ gibt es heutzutage immer weniger Platz und Sinn. „Dabei bräuchten wir gerade heute ganz dringend mehr befreiendes Lachen“, weiß der österreichische Psychotherapeut Alfred Kirchmayr, „bei uns in Mitteleuropa wurde vor 60 Jahren noch dreimal so häufig gelacht wie heute. Eine Studie an der Stanford Universität hat vor zehn Jahren herausgefunden, dass Kinder ungefähr 400mal am Tag lachen, Erwachsene hingegen nur 15 bis 20mal. Das heißt jetzt nicht, dass Kinder unbedingt mehr zum Lachen hätten – aber sie haben mehr vitale Lebensfreude. Und genau diese wird heute im hohen Leistungsdruck erstickt.“ Ein Phänomen, dem der selbst ernannte Witzlandschaftspfleger in seiner therapeutischen Praxis bewusst entgegen steuert. Ich habe ihn in seiner „heiteren Werkstatt der Lebenskunst“ besucht – und dabei nicht nur über Witze gesprochen, sondern auch viele solche gehört:

Herr Kirchmayr, Humor kann vieles meinen… Wie würden Sie das Wesen von Humor beschreiben?

Alfred Kirchmayr: Ich unterscheide vier komische Gesellen: Witz, Spaß, Spott, Humor. Jeder hat den Schwerpunkt auf einem anderen menschlichen Potenzial: Witz hat mit Intellekt und Verstand zu tun, mit Wort- und Bedeutungsspiel. Spaß geht auf die Vitalsphäre und kann schon mal derb werden. Spott zeigt unsere Aggression im positiven Sinn, er grenzt uns ab und enttarnt Scheinheiligkeit. Humor wiederum – und das ist das Großartige – ist eng mit unserer Liebesfähigkeit und mit Lebensfreude verbunden. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Wenn man das Leben liebt, trotz Kränkungen, Schmerzen und anderer Probleme. Viktor Frankl, der selber die Grauen des Holocaust überlebt hat, nannte den Humor eine „Trotzmacht des Geistes“, weil er uns eine heilsame Distanz ermöglicht. Dieser „große Humor“ wird meistens aus Not geboren, aus kleinen oder großen Katastrophen des Lebens. Das können kleine Alltagsprobleme und Widrigkeiten sein, aber auch tiefe Kränkungen oder existenzielle Bedrohungen. Echter Humor ist demnach eine Edelmischung aus widersprüchlichen Gefühlen. Hugo Rahner nannte diese Prachtmischung aus einer humorvollen Grundeinstellung und dem Ernst des Lebens „Ernstheiterkeit“.

Sie nennen sich selbst einen „Witzlandschaftspfleger“. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ein Landschaftspfleger ist einer, der nichts selber produziert, sondern sich einer bestehenden Landschaft annimmt. In meinem Fall ist das eben die Witzlandschaft. Nachdem ich als Psychotherapeut durchaus schräg sein darf, habe ich mir den Luxus geleistet, über 40.000 Witze – von Mitteleuropa bis Japan, China oder Südamerika – zu sammeln und mir durch den Kopf gehen zu lassen. Mich hat interessiert, wie die verschiedenen Witzlandschaften aussehen und wieviel Humor, wieviel Witz es auf der Welt gibt. Dabei ist mir bewusst geworden, dass die Witzlandschaft heute witzlos geworden ist und sich niemand um sie kümmert. Eine lebendige Witz-Kultur, sowas gibt’s leider nicht mehr. Für mich hat das mit dem Schwinden einer erotischen Kultur zu tun – damit meine ich alles, was man mit Lust, Liebe und Hirn macht. Ich habe schon länger das Gefühl, dass unsere Zeit immer neurotischer statt erotischer wird.

Wie könnte man dem entgegen wirken?

Indem man den Sinn für Witz und Humor wieder mehr fördert. Das müsste schon in der Schule passieren. Erich Kästner forderte bereits in den 1950er-Jahren, dass in der Schule mehr gelacht werden soll. Er wollte das Fach „Lachkunde“ einführen und meinte, das wäre genauso wichtig wie Erd- oder Naturkunde… Recht hatte er! Warum finden Sie Witze so wichtig für unser Leben? Weil das ganze Leben ein Spiel ist, und der Witz mit dem Leben spielt. Er spielt mit Worten, mit Bedeutungen, mit Sichtweisen, mit Mehrschichtigkeit, und auch mit Weisheit… Nicht umsonst hat das Wort „Witz“ die gleiche Wortwurzel wie „Wissen“ und „Weisheit“. Ich glaube, jeder von uns braucht den Witz, damit das Leben lebendiger wird und einen Witz hat.

Und was macht nun aus Ihrer Sicht einen guten Witz aus?

Ein guter Witz ist zum Beispiel einer, in dem man sich selbst auf die Schaufel nimmt und mit seinen eigenen Schwächen humorvoll umgeht. Wie dieser:

Die junge Kellnerin stolpert und spritzt einem Gast ein wenig heiße Soße auf die Glatze. Der Mann nimmt seine Serviette, wischt sich damit den Kopf ab und fragt die Kellnerin mit treuherzigem Blick: „Glauben Sie wirklich, dass das noch helfen könnte?“

Geistreiche Witze sind aber leider selten geworden. In unseren Breiten liegen sie im Promillebereich. Wenn man etwa 200 Witze liest, ist vielleicht ein humorvoller dabei. Die meisten Witze werden heute aus Schadenfreude, aus aggressiver Ablehnung und aus dem Bedürfnis geboren, jemanden dumm hinzustellen oder zu entwerten. Man lacht viel lieber über die Schwächen anderer als über sich selbst:

Die Chefsekretärin klagt einer Kollegin ihr Leid und jammert über ihren Chef: „Ich sag dir, der ist so geizig – selbst lachen kann er nur auf Kosten der Anderen!“

Bei aller Verschiedenheit der Witzkulturen auf der Welt, fällt eine Gemeinsamkeit auf: nirgends kommt man ohne „die Blöden“ aus! Österreich hat die Burgenländer, Deutsche die Ostfriesen, in Kairo witzelt man über Oberägypter… offenbar braucht man überall die „Dummköpfe“, um sich selbst aufzuwerten. Einzig die Juden können über ihre eigenen Macken und Schwächen lachen. Ausgerechnet ein Volk, das so grauenhaft verfolgt wurde, hat den besten Witz entwickelt, einen humorvollen und geistreichen…

Was macht eine Frau, die den Mann ihrer Träume geheiratet hat? Nu, was schon: Aufwachen!

Ein guter Witz ist nämlich keine blöde Bemerkung, sondern ein Lebenskunstwerk. Er zeigt unter anderem Situationen und Ent-Täuschungen auf, die vielleicht wehtun, aber zum Leben dazugehören.

Ein Grund, warum Sie auch in Ihrer therapeutischen Praxis mit Witzen arbeiten?

Karl Valentin hat einmal so treffend gesagt: „Jedes Ding hat drei Seiten: eine positive, eine negative und eine komische.“

Diese Weisheit kann man in der Psychotherapie hervorragend nutzen, denn Humor ist eine der besten Bewältigungsstrategien. Wenn ich einen guten Witz über ein Problem machen kann, wird das Problem sofort kleiner. Der deutsche Schriftsteller Jean Paul hat sich bereits vor 200 Jahren mit Komik, Witz und Lachen beschäftigt und ein schönes Bild geprägt: „In humorvoller Einstellung schaut man Probleme an wie durch ein umgedrehtes Fernrohr.“ Das heißt, das Problem wird nicht angestarrt und fixiert, sondern in eine heilsame Distanz geschoben – und aus diesem Abstand können neue, positive Seiten entdeckt werden, die man zuvor übersehen hat.

Die kleine Lisa kommt mit ihrem ersten Zeugnis nach Hause, das denkbar schlecht ist. Als sie es ihrer Mama zeigt, ruft die entsetzt: „Was soll ich jetzt dazu sagen?!“ … Darauf die Tochter: „Sag einfach das, was du sonst immer sagst: Hauptsache, wir sind gesund!“

Dieser Familienwitz bringt es gut auf den Punkt: Letztendlich ist es meistens gar nicht so schlimm!

Der Witz als Mittel zur Problembewältigung?

Genau. Ein herzhaftes Lachen lockert jede Spannung. Drum arbeite ich auch in den Therapiesitzungen mit Witzen – vorausgesetzt natürlich, sie passen zur Situation. Witze können ein Thema auf den Punkt bringen und gleichzeitig Abstand erzeugen. Sie lenken einerseits ab, sie relativieren und ermöglichen gleichzeitig einen anderen Blickwinkel.

Eine starke Raucherin liegt abends neben ihrem Mann im Bett und sagt: „Du, ich hab schon so viel Schlechtes über das Rauchen gelesen. Drum habe ich heute beschlossen, das Lesen aufzugeben.“

Humorvolle Witze wirken wie Wundsalben und Heilkräuter. Sie machen Mut, selbstschädigendes Verhalten wahrzunehmen und zu überwinden. Sie verändern die Welt-Anschauung, befreien von vorgefertigten, engen Selbst-, Partner-, Gesellschafts- und Gottesbildern und relativieren jeglichen Perfektionismus. Sie können uns einerseits mit den eigenen Schwächen und den Widrigkeiten des Lebens versöhnen – und andererseits zu neuen Entdeckungen, Einsichten und Verhaltensweisen ermuntern und beitragen.

Und Sie haben zu jedem Thema die passenden Witze parat?

So wie andere aus der Literatur oder aus Opern zitieren können, fallen mir eben Witze ein, die Menschen dabei helfen, ein Lebensproblem weniger verbissen anzuschauen. „Ernst ist das Leben, heiter sei die Kunst“, sagten schon Goethe und Schiller. Gerade weil es im Leben ernste Probleme gibt, braucht man Humor, um alles ein bisserl lockerer zu nehmen.

Es gibt aber sicher auch Situationen, in denen Witze fehl am Platz sind…

Natürlich. Witz-Kultur hat sehr viel mit Fingerspitzengefühl und Empathie zu tun. Sicherlich kennen auch Sie einen Vertreter dieser Spezies, die ständig einen neuen Schmäh auf Lager haben und einen zwingen, über ihre Witze zu lachen. Solche Menschen können wirklich nerven. Man kann Witze auch missbrauchen, etwa um sich in den Mittelpunkt zu stellen oder jemanden durch den Dreck zu ziehen.

Jetzt haben wir so viel über Witze gesprochen. Haben Sie auch einen Lieblingswitz?

Das ist wirklich schwer, wenn man ‘zigtausende Witze kennt. Es gibt aber eine jüdische Weisheit, die ich sehr mag:

Moses gab uns das Gesetz. Jesus von Nazareth gab uns die Liebe. Karl Marx gab uns soziale Verantwortung. Siegmund Freud schenkte uns die Selbsterkenntnis. Und Albert Einstein sagte: Alles ist relativ.

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