Neurotische "ICH-Kultur" und "politische Korrektheit" sind neue Feinde der Demokratie

Tugenden wie Fleiss, Mäßigung oder Eigenverantwortung sind out. Ein penetranter "Ich-Kult" und die "scheinheilige politische Korrektheit" lähmen unserer liberale Gesellschaft. Das narzisstische Selbstgefühl und unsere dauernde Selbstbespiegelung verhindert ein Sensorium für die anderen (Empathie).

In den 60er/70er-Jahren gingen die Leute aus Protest gegen den Vietnamkrieg noch auf die Straße; für Frieden in einem fernen Land, das die meisten gar nicht richtig kannten und dessen Sprache sie kein bisschen verstanden. Oder sie demonstrierten für Frauenrechte , kämpften für eine bessere Welt, für mehr Demokratie, Gleichheit und Freiheit und auch Solidarität. Umarmten die Bäume in der Heimburger Au und verhinderten so den Kahlschlag zugunsten eines Kraftwerkes. Das war einmal!.

Heute leben wir im Zeitalter des nervösen Individualismus, der staatlichen Überregulierungen. Der Altruismus, der selbstlose Blick für die anderen hat dagegen heutzutage einen schweren Stand. Statt die "grosse Welt" retten zu wollen, denkt man viel lieber an sein eigenes gutes Recht und seine eigenen Probleme.

Man verurteilt zwar den Klimawandel und verabscheut zB. die Tatsache, dass China die Menschenrechte missachtet. Das gehört zum guten Ton. Aber aufs neuste Spielzeug «made in China», das Wegwerf-T-Shirt, etc.. will man trotzdem nicht verzichten. Wozu auch, es tun doch die anderen auch.

Die Besänftigung des schlechten Gewissens delegiert man an den regulierenden Staat. Er soll alles mit neuen Regeln richten, wie "Green-Economy" , Alergenverordnung, Registriekassenpflicht, et... Appellen, die Politiker sollen den Chinesen wegen der Menschenrechte die Leviten lesen, eine Arbeitsteilung, die nicht weh tut.

Im Zentrum der Erörterungen steht nur mehr das eigene Bedürfnis. Und so kämpft der Ich-Mensch unserer Zeit nicht mehr für den Weltfrieden, sondern für das Recht auf vegane Militäruniformen, «geschlechtslose» Toiletten in den USA, Gebetsräume an Schulen und Universitäten, etc..... Man fordert den obligatorischen Gemüsetag in den Kantinen, die Veganer wollen ihr Recht.

Die eigenen Weltanschauungen, Lebensweisen und Frustrationen sind die neue Leitwährung der Gesellschaft und jede neue Kollektivneurose der gesättigten Konsumgesellschaft wird politisch bewirtschaftet. Dieses Politikverständnis ist das Resultat einer andauernden narzisstischen Selbstbespiegelung.

Der Staat wird nicht mehr im Sinne der Aufklärung als subsidiärer Rahmen für ein eigenverantwortliches Zusammenleben in grösstmöglicher Freiheit für alle gesehen, sondern als Kundendienstzentrale, die sich um sämtliche Bedürfnisse kümmern soll. Niemand darf unglücklich sein oder sich in seinen Befindlichkeiten zurückgesetzt fühlen. Alle müssen gleichgestellt und gleich gefördert werden. In den Schulen soll jeder möglichst durchgeschubbst werden, wenn nötig mit Anwalt.

Übersehen wird, dass es eine vollendete Gerechtigkeit nur in paradiesischen nicht realen Wunschwelten gibt, die uns von den Religionen vorgegaukelt werden. Die Realität der menschlichen Gesellschaft bleibt in ihrem Grundwesen immer ungerecht.

Kombiniert mit einer überzogenen Anspruchshaltung an den Staat führt die vermeintliche Gerechtigkeit in die Tretmühle der Diskriminierungen, man sieht sich andauernd benachteiligt. Obwohl der Rechtsstaat noch nie so untadelig war, die persönlichen Freiheiten noch nie so weit reichten und die Entfaltungsmöglichkeiten noch nie so vielfältig waren wie heute, nimmt die gefühlte Diskriminierung laufend zu - das Gefühl der Diskriminierung ist zu einem Lifestyle-Accessoire geworden.

Irgendwann im Leben kommt jeder einmal zum Zug. Die pubertierenden Buben gerieten gegenüber den Mädchen in der Schule oft ins Hintertreffen, dann wurden die Mädchen oft wieder bei der Berufswahl benachteiligt. Alleinerziehende Mütter sind überhaupt die Verlierer unserer Gesellschaft. Die Väter fühlen sich nach Scheidungen wiederum beim Besuchtsrecht benachteiligt.

Kritisches Hinterfragen verbietet das neue Denken der "politischen Korrektheit" - ein Übelwort für mich. Auch die Bereitschaft, die Konsequenzen das eigenen Tun selber zu tragen, ist verlorengegangen. Freiheit heisst jedoch immer auch Verantwortung, eine Tugend, welche die «Generation Selfie» verlernt zu haben scheint. Die politische Korrektheit ist nur vordergründig eine Wohltat. Tatsächlich schwächt sie die in einer Sinnkrise steckende liberale Gesellschaft, mit der Moralkeule wird man von einer Schuldigkeit in die nächste getrieben.

Solche Imperative und die wachsende Zahl einklagbarer Rechte gegenüber dem Staat überfordern ihn und die liberale Demokratie. Migrationspolitik, Religionsfragen, Banalitäten des Alltags. In der politisch korrekten Welt wird auch ein schlechter Schüleraufsatz eine gute Note bekommen, wenn die Eltern nur mit dem richtigen Anwalt kommen, denn hier ist ja das Kindeswohl gefährdet.

Solche Entwicklungen müssten jeden aufgeklärten Demokraten erschauern, Wahlmöglichkeiten als Lebenselixier einer Demokratie sind verloren gegangen. Und die politische Korrektheit mit ihren Denkverboten ist eine der grössten Feinde der Demokratie. In einer aufgeklärten Gesellschaft darf nichts über Kritik erhaben sein. Auch das eigene Selbst nicht. Wenn aber die narzisstische Selbstbespiegelung zum Massstab wird, ist der Weg frei für eine neurotische, im Grunde zutiefst unsolidarische Gesellschaft. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Weil Narziss kein Sensorium für andere hatte, sondern sich in sein eigenes Antlitz verliebte und sein Spiegelbild beim Blick in einen Teich küsste, fiel er hinein und ertrank. Nach der grischischen Sage musste er deswegen sterben.

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Margaretha G

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