Wer am „Haben“ statt „Sein“ orientiert ist, will auf Kosten der anderen immer mehr (Erich Fromm)

In den 70er-Jahren, in denen Erich Fromm starb, erschien auch nach „Der Kunst des Liebens“ das bedeutendste Werk: „Haben oder Sein“, worin Gedankengänge früherer Werke bewusst anschaulich und prägnant resümiert wurden.

Darin geht es um das „Haben“ als Übel der gegenwärtigen Zivilisation und er stellt das „Sein“ als Möglichkeit eines erfüllten, nicht entfremdeten Lebens gegenüber. Der Mensch, der nicht mehr vom Haben, sondern vom Sein bestimmt wird, kommt zu sich selbst, entfaltet eine innere Aktivität, die nicht mit purer Geschäftigkeit zu verwechseln ist, und kann seine menschlichen Fähigkeiten produktiv einsetzen.

„Haben oder Sein“ ist eines der meist gelesenen Werke Fromms. Der Begriff "Haben" wird darin in einer sehr allgemeinen Form aufgefaßt und bezieht sich nicht nur auf materielle Gegenstände. Haben kann man einfach alles, eine Affäre mit einer Frau, einen attraktiven Körper, einen Geländewagen, einen Ruf als Partylöwe, eine Machtposition in der Politik. Das "Haben" ist eine bestimmte teilweise narzisstische Einstellung zur Außenwelt und zu anderen Menschen und zu sich selber. Egoismus ist dabei weitgehend akzeptiert und wird ganz allgemein vorausgesetzt. Hinzu kommen Haben, Besitzstandsdenken und Gier.

Und das "Sein" ?

Wenn man genug hat von Besitz und Statussymbolen und der Wohlstandsgesellschaft. Es ging Fromm darum, dass man sein Leben nicht mehr von Gegenständen des Habens her bestimmt. „Sein“ ist innere Unabhängigkeit, die Freude am Leben, an einer Tätigkeit, auch der Erwerbsarbeit. Humanistische und ökologische Werte, das, was vom Konsumismus erdrückt wird. Doch wie viele Menschen haben Freude an ihrer Arbeit ? Die meisten haben die innere Kündigung doch längst vollzogen. Jeden Werktag acht leere, sinnlose Stunden, ein Gefühl der inneren Leere kommt auf, die gefüllt werden muß. Fromm zählte zur Speerspitze einer "postmaterialistischen" Bewegung.

Seit Erfindung der Landwirtschaft und dem damit verbundenen enormen materiellen Fortschritt und Bevölkerungswachstum, war der Mensch zu einer materiellen Lebensweise gezwungen, die sein Inneres verkümmern ließ. Fromm beschreibt eindringlich wie immer wieder Menschen dagegen aufbegehrten und immer wieder scheiterten. Einer mußte, um zu überleben den anderen vernichten oder unterwerfen. Die Hochkulturen wären ohne die Ausbeutung unzähliger Leibeigener und Sklaven nicht möglich gewesen. Gewalt war Bestandteil des Lebens, ein Menschenleben zählte nichts.

Aber die moderne Zivilisation kommt ohne Sklaverei und Krieg aus. Keiner muß mehr dem anderen Hab und Gut oder gar das Leben rauben, um selber zu überleben. Alle Güter sind im Überfluß vorhanden. Und doch hindert die Gesellschaft die Menschen am inneren Wachstum. Erich Fromm wagt nun, am Ende seines Buches die Utopie einer menschlichen Gesellschaft zu skizzieren.

Diese postmaterialistische Aufbruchsstimmung gegen Ende der 70er-Jahre wurde in den 80er-Jahren von einem von der Ökonomie herkommenden, neuen Werteethos des Neoliberalismus überholt, für die die Maximierung des Habens und ein neuer Konsumrausch im Vordergrund steht. Dieser ungezähmte, neue Kapitalismus hat die Ungleichheit und die Spreizung zwischen Arm und Reich stark vergrößert, dazu gehört auch das Nord/Süd - Gefälle. Die Ohnmacht gegenüber den kapitalistischen Märkten ist heute größer denn je.

Es beginnt sich jedoch langsam wieder eine Generation Jugendlicher zu etablieren, für die „Teilen“ und „Teamwork“ und „shared space“ im Vordergrund steht, die auf ein Auto verzichten und WG’s bevorzugen. „Teilen“ ("shared economy“) orientiert sich am Sein und nicht am Haben. Haben kannte kein Teilen und war Ich-konzentriert.

Auch das Internet eröffnet uns neue „Seins“-Welten des Wissens und sozialer Netzwerke der Kommunikation. Man konstruiert sich eine neue Persönlichkeit und ein neues „Sein“ in interaktiven, reaktiven virtuellen Netzwerken. Man kann neue Erlebniswelten auch ohne Besitz (ohne "Haben";) nutzen, ein iPhone oder iPad genügt. Mit anderen verbunden sein, dabei zu sein, das ist die Welt des „Seins“. Wir müssen uns als Person neu erfinden, kooperativ, wertschätzend freundlich, ohne Aggressionen und Minderwertigkeitsgefühle in der Welt des „Seins“.

Es muss uns gelingen, unsere "Haben"-Gewohnheiten zu deaktivieren und die Fähigkeiten des eigenen Denkens und Seins wiederzuentdecken, auch die Welt der Fantasie. Es geht um das menschliche und nicht gemachte, materielle Vermögen.

Erich Fromm in einem Radiointerview "Überfluss und Überdruss":

"Ich glaube, der Mensch ist nur er selbst, wenn er sich äußert, wenn er die ihm innewohnenden eigenen Kräfte, auch kreativen Kräft ausdrückt. Wenn das nicht geschieht, wenn er nur "hat" und benützt, statt zu "sein", dann verfällt er, dann wird er zum Ding, dann wird sein Leben sinnlos. Es wird zum Leiden. Die echte Freude liegt in der echten Aktivität und echte Aktivität ist der Ausdruck, ist das Wachstum der menschlichen Kräfte"

Ich persönlich finde dieses "immer mehr Haben wollen" und alles muss optimiert werden zum Kotzen. Deswegen bin ich ein überzeugter Gegner des Neoliberalismus und werde jede Partei, die sich dieses neoliberale Wertheethos (NEOS, etc..) auf die Fahnen heftet und glorifiziert, bekämpfen.

Wie lange wird die Rückkehr von der Werlt des "Habens" in die Welt des "Seins" im Sinne Fromms noch dauern?

Erich Fromm(1900 bis 1980) , Jude, in USA geflüchtet – Columbia Universität :

deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph – er trat für einen humanistischen, demokratischen Sozialismus ein. Beeinflusst von Freud, Marx u. Horkheimer (Frankfurter Schule).Seine Themen waren „Prägung des Individuums“, „kulturell vorgeprägte Defekte“, „innerfamiliäre Prägung“, „seelische Grundbedürfnisse des Menschen“, „Identität/Individualität/Konformität“,„Narzissmus“, „Destruktivität“ , „Mutterablösung“, „Massenkonsum“,„narzisstische Selbstspiegelung des Menschen“, „empirische Sozialpsychologie“ und vieles mehr……https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Fromm

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

sisterect

sisterect bewertete diesen Eintrag 26.04.2016 22:04:44

7 Kommentare

Mehr von EBgraz