Der Kampf mit dem inneren Kritiker

Die meisten Menschen kennen ihn: den fast schon einzigartig treuen, inneren Begleiter, der immer akribisch genau weiß, was das Richtige für einen ist, was zu tun ist, getan werden MUSS, SOLL, NICHT SEIN DARF, was man mal lieber hätte bleiben lassen sollen und was stattdessen gut gewesen wäre. Hinzu kommen die gänzlich frustrierenden Zukunftsprognosen, die fast jeden Handschritt ausbremsen und alle Wünsche bereits im Keim ersticken. Kreative Vorhaben liebt er am meisten, dann, wenn der Mensch still wird, in sich hineinhört und kurz davor ist, jenen zarten Impulsen, Ideen, Versen, Formen und Melodien zu folgen. Dann ist sein großer Moment gekommen. Der Moment, in dem er alles Entstehende, Hinauswollende verletzt oder gar vernichtet. Übrig bleiben Fragmente von Liedern, Texten, Zeichnungen. Fragmente, die sich nie wieder verbinden lassen. Tote Fragmente, deren einmal gefühlter, fehlender Ganzheit wir nachtrauern, an denen wir festhalten, an Bruchstücken einer geliebten, sich niemals manifestierenden, für immer schwindenden Idee.

Ich hatte meinem Kritiker schon vor Jahren den Kampf angesagt. Es hatte ihn amüsiert. Er meinte, dass er sich auf meine lächerliche Performance freuen würde und dass ich „leider“ zu dumm wäre für einen Einfall, mit dem ich ihn für immer loswürde. Damals hatte ich wirklich noch geglaubt, dass es darum ginge, ihn loszuwerden. Ich hatte alles versucht. Es erinnerte mich an die Tom-und Jerry-Filme oder die mit dem Roadrunner und dem Koyoten, bei denen ich mir als Kind schon immer sehnlichst gewünscht hatte, es würde endlich Jerry mit seinem blöden Stammhirngrinsen oder den Roadrunner mit seinem triumphierenden, lästigen Gehupe erwischen.

Doch jede Mühe, jede noch so aufwendig ausgetüftelte, lang vorbereitete Strategie war vergeblich…

Phase I: Die Flucht

Dass ich ihn nicht einfach in ein Flugzeug setzen und weit über die Ozeane für immer aus meinem Leben schicken konnte, war klar. Immerhin wohnte der ungewollte Freund ja in mir. Die einzige Möglichkeit war demnach, dass ich es war, der sich aus dem Staub machte. Ich schrieb zu dieser Zeit an einem Roman, „Ben“, den mein Kritiker bereits auf alle möglichen Arten verrissen hatte.

Meine erste Taktik der Flucht bestand nun darin, sehr früh und leise, also vor ihm, aufzustehen. Ich wusste, dass der vorhergehende Schlaf, meine Träume, mein Inneres angeregt hatten und dass ich, wenn ich mich des Morgens mit den Zeilen beeilen würde, mich meinem Ideenstrom ungestört hingeben konnte. Die Krux lag jedoch gerade in der Eile, die den Raum meiner Ideen immer mehr verengte, gefolgt von der Angst, dass der innere Kritiker jeden Moment erwachen könnte. Und in diesem ersten Anflug der Angst wünschte mir niemand anderes einen, in seinen Augen ziemlich unschönen und unproduktiven Morgen als er.

Die zweite Taktik bestand in der spät abendlichen Arbeit an meinem Roman, die von mehreren Gläsern Wein begleitet wurde. Das Gute am Wein war, dass die Kritik meines ungeliebten Freundes mit jedem Schluck milder ausfiel. Ich hatte des Öfteren sogar den Eindruck, dass er plötzlich nostalgisch wurde und mit vielem, das ich schrieb, einverstanden war, was aber letztlich nur daran lag, dass er immer mehr verstummte, während der Wein unbemerkt Finger, Stimme und Einbildungskraft zu einer immensen Einsilbigkeit hin lähmte, welche mir erst am nächsten Morgen beim erneuten Lesen geradezu gnadenlos entgegenschlug. An diesen Morgen war der Kritiker so unverzeihlich und Abgrund tief böse, dass ich die weitere Arbeit am Roman am selbigen Tag meist ganz vergessen konnte.

Die dritte und letzte Taktik der Flucht bestand darin, das Schreiben für eine gewisse Zeit einzustellen und mir selbst gegenüber vorzugeben, dass es wichtigere Dinge im Leben gab, als eine Romanautorin werden zu wollen. Ich widmete mich dem äußeren, lauten, geschäftigen Leben, in dem es der Kritiker bei Weitem schwerer hatte, so glaubte ich, da ich weniger in mich hineinhörte und mich an den Bildern und Leben anderer orientierte. Da konnte man ja nicht so viel falsch machen, dachte ich. Das jedoch sah der Kritiker anders, und seine enorme Hartnäckigkeit und Ausdauer zahlten sich aus. Jetzt ging es nicht mehr um schlecht ausgebaute Figuren, die fehlende Poesie und eine brüchige Dramaturgie, sondern um die zu kantig abgeschnittene Scheibe Pfisterbrot und alles andere, was in meinem Umfeld besser klappte: Beruf, Liebe, Familie, Geld, Freunde, Freizeit, Reisen; die gesamte Optimierung der alltäglichen Verrichtungen mithilfe der Life-Work-Latte Macchiato-Flow-Yoga-Balance und das, ohne an der versuchten Entkrampfung zu verkrampfen. Zu meinem Überdruss schimpfte er mich letztlich eine Mitläuferin, die nicht die Eier dazu hätte, an ihren Träumen festzuhalten und IHREN eigenen Weg zu gehen.

Ja, mein Weg. Es gab nur einen. Und diesen musste ich wieder einschlagen, in stetiger Verfolgung oder wie er es sagen würde: liebevoll gemeinter Begleitung, Hand in Hand, eins werdend mit meinem inneren Kritiker. (Fortsetzung folgt…)

(# Der innere Kritiker)

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Susanne Bohrn

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fischundfleisch

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