Feinfühligkeit und ein bisschen mitdenken - zu viel verlangt?

In den letzten Jahren merkte ich besonders, dass ich auf nicht vorhandene Feinfühligkeit fast schon allergisch reagiere. Normalerweise hört man von mir sehr wenige bis gar keine Vorurteile. Dh. ich mache dementsprechend selten Meldungen wie "der ist doch sicher einfach nur ein A****loch", wenn ich die betroffene Person nur virtuell kenne (also z.B. nur über Facebook). Wenn ich aber doch einmal solche Statements von mir geben sollte, dann hat das schon seine Gründe. Natürlich wird hinter dem Rücken viel getuschelt (darunter bestimmt auch das eine oder andere Vorurteil), aber in gewisser Weise muss einem das egal sein. Wäre doch Schade, für solche Dinge seine Nerven "wegzuwerfen"...

Doch was ist jetzt mit der Feinfühligkeit? Auf diese lege ich besonders viel Wert. Es gab zu Hause vor einigen Jahren eine Situation, die ich immer wieder als Beispiel anführe, wenn sie gerade in den Kontext passt.

Meine Eltern hatten zu dem Zeitpunkt eine Art Haushälterin (neben Vollzeitjob auch noch den ganzen Haushalt machen zu müssen - das ist auf Dauer nicht so "lustig"...). Die kümmerte sich eben um die Wäsche bzw. die Zimmerreinigung. Da mein Vater und ich bereits zu diesem Zeitpunkt gewandtechnisch fast die gleichen Größen hatten (perverse Phantasie ausschalten - es geht nur im Kleidungsgrößen ;) ), musste sie da manchmal nachfragen, ob jetzt ein bestimmtes Hemd etc. eben mir oder dem Papa gehört. Ist ja grundsätzlich kein Problem - hätte ja auch nicht von ihr verlangt, meine Klamotten "auswendig zu lernen". ;) Doch die oben angesprochene Situation brachte mich innerlich dermaßen zur Weißglut: Ich war gerade zu Hause und hatte ein eher wichtiges Telefonat. Es war so, dass ich mich voll und ganz darauf konzentrieren musste und demnach nur "passiv" beim Fenster hinausblickte. Außer dem Telefonat habe ich so gut wie nichts wahrgenommen (weder optisch noch akustisch). Wenn vom benachbarten Bücherregal ein Buch heruntergefallen wäre, hätte ich das in diesem Moment vermutlich nicht mitbekommen (außer es hätte mich getroffen ;) ).

Das Telefongespräch lief dahin, doch auf einmal tupfte mich jemand von hinten an. Ich erschrak heftigst - als wäre in dieser Sekunde der Sensenmann vor meinem Fenster "vorbeigeflogen". Das Handy fiel mir immerhin nicht aus der Hand (wundert mich heute immer noch, wenn ich an diese Situation zurückdenke). Ich drehte mich mit finsterem Blick um und die Haushälterin stand vor mir und hielt eine gebügelte Hose in der Hand. Sie fragte nur "deine oder vom Papa?". War meine und als ich ihr das sagte, verließ sie immerhin den Raum (konnte also wieder telefonieren). So und jetzt frage ich euch: Hätte sie nicht warten können, bis ich mit dem Telefonat fertig gewesen wäre (taub ist sie nicht - also sie hat mich bestimmt reden gehört)? Die Hose löst sich doch nicht in Luft auf! Ich frage mich heute noch, ob sie an jenem Tag ihr Hirn zu Hause vergessen hatte. Wenn ich jemandem eine Frage stellen möchte und die Person gerade telefoniert, dann habe ich meinen Schnabel zu halten. Das ist meiner Meinung nach eine der primitivsten Formen der Höflichkeit und schlichtweg eine Sache des Respekts! Umgekehrt würde man ja auch nicht wollen, dass man während eines Telefonats ständig gestört wird...

Für sie war Nachdenken wohl zu viel verlangt. Wobei: In obiger Situation gibt es meiner Meinung nach aus ihrer Sicht genau gar nichts zu überlegen. Es ist doch bitteschön sonnenklar, dass man in so einer Situation wartet, bis der andere "ansprechbar" ist (wenn z.B. die Polizei vor der Türe steht und mit einem reden will, ist das natürlich etwas Anderes). Wenn man halbwegs gut erzogen ist, dann sagt einem das der Hausverstand (im Notfall zum Billa gehen...). Aber offenbar ist das bei ihr so Brauch, dass man die anderen stets stört. Egal, ob sie gerade telefonieren oder sonst irgendwie konzentriert sind.

Ich hätte ihr an jenem Tag so viel sagen können, aber das habe ich natürlich nicht gemacht. Meine Eltern hätten das vermutlich sofort erfahren und ich hätte mir wohl etwas anhören dürfen. Erstere loben sie immer wieder in den Himmel, doch ich sehe das komplett anders. Mich regte es immer wieder auf, wenn ich bemerkte, wie sie meinen Eltern ihre halbe Lebengeschichte erzählte... Wir haben sie zum Arbeiten herbestellt - nicht zum Tratschen. Sie soll ihre Arbeit machen und dann verschwinden - ganz einfach. Oder habe ich etwas verpasst und es ist heutzutage üblich, dem Chef sein ganzes Privatleben zu "beichten"?

Als letzten Abschnitt dieses Beitrags möchte ich euch noch eine Situation schildern, die genau zeigt, wie ich mich puncto Feinfühligkeit gegenüber anderen verhalte. Am Ende meiner Schulzeit - also kurz vor der Matura - habe ich mit ein paar Klassenkollegen so eine Art Lerngruppe gebildet. Wir waren keine offiziellen Schüler mehr und hatten nur zu den Vorbereitungsstunden für die mündliche Matura in die Schule zu kommen (streng genommen bestand bei diesen keine Anwesenheitspflicht - letztendlich nahm es aber jeder sehr ernst, da es ja immerhin um die Matura ging). Je nachdem, welche Fächer man mündlich gewählt hatte, sah man nur mehr bestimmte Mitschüler. Ich hatte unter anderem Mathematik genommen (nicht zur "Absicherung", sondern einfach "normal" gewählt ;) ). Mit ein paar Kollegen traf ich mich zum Besprechen so mancher Maturaaufgaben. Jedenfalls war es so, dass sich jeder das jeweilige Beispiel vorab kurz selbst überlegte, ehe wir gemeinsam darüber diskutierten. Ich hatte bei einem Beispiel bereits nach wenigen Sekunden eine erhebliche Frage, doch was habe ich gemacht? Gewartet, bis die anderen "ansprechbar" waren - also nicht sofort ungehalten in die Runde gerufen: "Frage: ......".

Seht ihr nun den Unterschied? Ich dachte in der Situation mit der Lerngruppe sehr wohl mit (nicht nur in Bezug auf die mathematischen Probleme ;) ), da es für die anderen wohl unangenehm gewesen wäre, wenn ich sie beim Überlegen gestört hätte. Selbst hasse ich das nämlich, aber ich denke, es geht dem Großteil ähnlich. Denn wenn man einmal konzentriert ist und die Türe schließt, sollte jeder andere kapieren, dass man da jetzt nicht hineinzugehen hat (wenn es unbedingt sein muss, dann anklopfen: Aber wehe, es geht dann wieder nur um ein verdammtes Kleidungsstück ;) ). Die Haushälterin hat sich in der obigen Situation einfach an mich "herangeschlichen" (oh Gott, bitte nicht pervers denken - ich will heute noch etwas essen können...), ohne vorher zu überlegen, ob das jetzt erstens überhaupt angebracht ist und sie mich damit zweitens nur unnötig erschrecken würde.

Seit diesem "Vorfall" ist meine Sympathie (die genau genommen gar nie vorhanden war) gegenüber ihr in "Lichtgeschwindigkeit" verschwunden und ich fühle mich in meiner anfänglichen Meinung immer mehr bestätigt. In diesem Blog könnte ich noch etliche andere Situationen anführen, die wieder auf ihr nicht vorhandenes Feingefühl zurückzuführen sind. Das würde allerdings den Rahmen dieses Textes sprengen, weshalb ich es bei dem einen Beispiel belassen werde. Ihr sollt ja heute immerhin auch noch andere Beiträge lesen können. ;)

Es sei noch angemerkt, dass meine Kinderfrau genau das Gegenteil war. In der obigen Sache ist sie total meiner Meinung und ich bin mir inzwischen sicher: Unter anderem hat sie mir das "feinfühlige Denken" von klein auf beigebracht, weshalb ich das eben dementsprechend früh erlernte.

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