Alle haben wir schon mal von der Babylonischen Sprachverwirrung gehört: die Bibel berichtet im 1. Buch Mose von der Vereitelung des Turmbaus im Lande Schinar, indem Gott die Sprache der Menschen verwirrte und sie in alle Länder zerstreute. Auf den ersten Blick klingt das nach einer biblischen Begründung für die vielen Sprachen, welche auf der Erde gesprochen werden. Geht man allerdings ein wenig tiefer, so fällt einem auf, dass da vielleicht etwas anderes gemeint sein könnte: eine Hürde zwischen uns, welche einerseits auch bei gleicher Sprachkenntnis zwischen uns bestehen kann, zu der wir es aber andererseits auch ganz ohne Fremdsprachenunterricht selbst in der Hand haben, sie zu beseitigen.

Wenn wir kleine Kinder beobachten, welche noch alles andere als sattelfest sind in der Artikulation ihrer Wünsche mittels des noch zu erlernenden Wortschatzes, so fällt rasch auf, dass sie sich verständigen können. Kinder unterschiedlichster Herkunft schaffen in der Sandkiste auf dem öffentlichen Spielplatz das, was ihren Eltern schwer zu fallen scheint bei unterschiedlicher Muttersprache: sie verhandeln gemeinsame Bauprojekte und finden auch ohne großartige protokollfähige Verhandlungen einen Konsens. Sie schauen einander in die Augen, argumentieren mit Händen und Füßen sowie diversen lautmalerischen Aufforderungen und Bestätigungen und schon ist klar, wer Wasser holt für einen Burggraben, wer für den Turmbau mit dem Sandküberl zuständig ist und welche Form und Höhe das Kunstwerk haben soll. Selbst Meinungsverschiedenheiten werden auf diese Weise meist rasch ohne Einschreiten der Eltern in der Regel beigelegt - selbst wenn es manchmal für kurze Momente gar nicht danach aussieht.

Auch Erwachsene kennen diese Kommunikationsformen. Nicht nur in Urlaubsdestinationen, wo sich manche mit Händen und Füßen durch den Alltag jonglieren weil sie wieder mal viel zu spät begonnen haben, sich einen Grundwortschaft in der dort gepflegten Sprache anzueignen. Auch in ganz gewöhnlichen Situationen zu Hause gehen uns manchmal die Worte aus und dennoch können wir, wenn wir dazu bereit sind, einander verstehen. "Ein Blick sagt mehr als tausend Worte" finden wir dazu rasch die Begründung - ohne meiste jedoch auch wirklich zu erahnen, wie viel Weisheit in diesem Spruch steckt.

Sprache als hörbare Abfolge von Lauten, welcher wir in erlernbarer Kombination solche Bedeutung beimessen, wird also oft überschätzt. Denn verlässt man sich zu sehr auf sie, so kann dies rasch zu babylonischer Verwirrung führen. Nicht verwunderlich also, dass Missverständnisse so auch meist ihre Wurzel in einzelnen Wörtern haben und nicht etwa in einem Blickkontakt. Wie oft schon haben wir, trotz gemeinsamer Muttersprache, jemanden falsch verstanden - den gehörten Worten eine andere Bedeutung beigemessen als diese hineingelegt wurde von der Person, welche sie ausgesprochen hat. Thomas Mann, einer der bedeutendsten deutschsprachigen Literaten, hat dafür eine wunderbare Erklärung beschrieben: die Welt unserer Gedanken und Emotionen ist unbegrenzt und der Versuch, sie in das enge Korsett denotativer Sprache zu stecjken, kann eigentlich nur scheitern.

Sprache verwirrt daher nur, wenn wir uns alleinig auf sie verlassen. Die Konzentration auf den reinen Wortinhalt und die Bedeutung, welche wir dieser Abfolge von Lauten geschenkt haben, ist es, die uns ablenkt von den anderen Transportschienen der Kommunikation: Gestik, Mimik, Klangmelodie und Verbundenheit in Gedanken. Sprache als solche ist somit das, was Verwirrung stiftet. Die in der Bibel beschriebene Störraktion Gottes, wonach Sprachverwirrung die Menschen auseinandergerissen habe in ihrem gemeinsamen Vorgehen, ist daher wohl weniger als der Start von Englisch, Französisch, Deutsch und den unzähligen anderen Sprachen und Dialekten zu sehen sondern als der Moment, an welchem wir in der Kommunikation begonnen haben, uns auf Oberflächlichkeiten zu verlassen. Wir haben es alle in der Hand, diesen Prozess wieder umzukehren und damit als Gesellschaft zusammenzurücken: schärfen wir unsere Achtsamkeit für das, was nicht in Worten beschreibbar ist - trainieren wir wieder die Fähigkeiten in uns, die uns Lebewesen alle verbindet. Wir haben es in der Hand, die babylonische Sprachverwirrung abzulegen. Wann beginnen Sie damit?

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Bernhard Juranek

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Herbert Erregger

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Hansjuergen Gaugl

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