Sehr vielen Menschen gefällt es, sich in Wettkämpfen zu messen. Vor allem im Sport finden sich da die verschiedensten Möglichkeiten. Aber auch abseits von Stadien und Arenen gibt es unzählige Möglichkeiten, sich gegen andere durchzusetzen um seinen Namen mit einem Superlativ versehen zu können: auch mit den meisten gegessenen Hamburgern innerhalb vorgegebener Zeit oder dem schärfsten verdrückten Chili kann man den Glücksmoment der Verewigung der eigenen Person in den Büchern der Rekorde erlangen.

Spannend, dass nun Christina Wenz auf die Idee gekommen ist, sich Gedanken zu machen über die Möglichkeit, aus einem Thema, welches das gesamte Leben dominiert wie kaum ein anderes, einen Wettkampf zu machen: Konflikte. Dass die Menschen sich also in etwas, das alle in irgendeiner Form perfektioniert zu haben scheinen, messen können. Um so einen Meister zu küren – oder sogar mehrere?

Zunächst stellt sich mal die Frage nach den verschiedenen Kategorien möglicher Bewerbe und nach den potenziellen Austragungsorten. Konflikte sind ja in allen Lebensbereichen anzutreffen: es beginnt bei den Dilemmas, in welchen man des Öfteren mit sich selbst steckt. „Soll ich mir ein Packerl Chips holen und mich auf die Couch setzen, um die Übertragung des heutigen Meisterschaftsspiels anzuschauen – oder soll ich vielleicht doch wieder mal die Trainingstasche hervorholen und mich selbst aktiv sportlich betätigen?“, ist etwa ein Beispiel für eine Begegnung mit dem sehr vielseitigen inneren Schweinehund.

Aber auch im Umgang mit seinen Mitmenschen sind Konflikte scheinbar allgegenwärtig: ob das jetzt der Disput mit dem Nachbarn ist, der jeden Sonntag scheinbar darauf wartet, dass man sich mittags kurz hinlegen will, um seinen Rasenmäher zu starten; oder der Disput mit den Arbeitskolleginnen und -kollegen über die Koordinierung des Winterurlaubs. Ob das der Streit mit dem Partner über die Gestaltung des diesjährigen Weihnachtsfests ist – ja, in 4 Monaten stecken wir schon wieder voll im Adventtrubel und die ersten Einladungen zu Weihnachtsfeiern wurden mancherorts gesichtet zwecks rechtzeitiger Terminreservierung – oder auch der leidliche Kampf mit dem eigenen Nachwuchs, wann nun der richtige Zeitpunkt ist, mit dem Lernen zu beginnen für den Nachzipf. Gelegenheiten gibt es unzählige – und kaum eine wird ausgelassen, um die eigene Technik zu verbessern. Es geht ums Gewinnen.

Ja, da ist er auch schon: der sportliche Gedanke des Strebens nach einem Gewinn. Es geht darum, sich durchzusetzen. Das, was man sich in den Kopf gesetzt hat, auch zu erreichen. Notfalls sogar mit Fouls. Und wenn das Gegenüber nicht mit einem in der Mannschaft mitspielen will – gönnerhafter Weise räumt man ja meist zunächst einmal diese Möglichkeit ein, sich das Trikot der eigenen Zielsetzung umzustülpen statt als Gegner in den Ring zu steigen –, dann halt auch gerne über seine Leiche. Und wenn gar nicht mehr geht, der eigene Sieg unwahrscheinlich wird, dann wird halt mit diversen Tricks dafür gesorgt, dass auch der andere nicht gewinnt. Ist ja dann nur fair. Obwohl: was heißt Fairness – es geht ums Gewinnen.

Die Frage, die sich nun stellt: wie will man da einen Meister küren? Wie soll es gelingen, hier messbare Größen zu finden, anhand derer der oder die Beste ermittelt werden kann? Durch K.O.-Schläge? Also, dass die Person gewinnt, welche es schafft, die meisten Menschen, die sich ihr in den Weg stellen auf dem Pfad zur eigenen Zielerreichung, zu unterwerfen oder vernichtend zu schlagen? Klingt irgendwie wenig prickelnd. Das ist weder schön anzusehen, noch ist es für die Beteiligten von nachhaltiger Befriedigung. Im Gegenteil: die dabei aufstobenden Funken sind brandgefährlich auch für das Glück des Publikums – allzu leicht entwickelt sich da ein Flächenbrand, welcher nur mehr schwer in den Griff zu bekommen ist.

Eine andere messbare Größe wäre, den zu ermitteln, der es schafft, Konflikten am effizientesten aus dem Weg zu gehen – sich also jeweils in Rekordeseile durch Flucht zu entziehen. Auch das erscheint nicht vielversprechend. Das wäre ja so, wie wenn sich Tormann und Stürmer in die Kabine zurückziehen, um dem Elfmeterschießen zu entgehen.

Den Konfliktparteien jeweils die Chance zu geben, ihre Standpunkte vorzutragen und dann das Publikum abstimmen zu lassen, wer denn der Gewinner beziehungsweise die Gewinnerin sein soll, hat zwar einen gewissen Unterhaltungswert für das Publikum, das einen Freibrief erhält, in fremden Leben herumzupfuschen ohne mit den Konsequenzen leben zu müssen – eine zu kürende Leistung wird man hier allerdings nicht so leicht finden. Auch Kompromisse – also das Nachgeben aller Seiten, sodass niemand mehr bekommt, was er eigentlich bräuchte – haben wenig sportlichen Charakter und sind obendrein wenig geeignet, Gewinner zu ermitteln.

Bleibt eigentlich nur noch der Konsens: wer schafft es, Konflikte so auszutragen, dass alle Seiten etwas davon haben? Wem gelingt es, seine Ziele so zu verfolgen, dass auch das Gegenüber ein gutes Gefühl hat beim nächsten Aufeinandertreffen? Ja, das scheint tatsächlich ein Austragungsmodus zu sein, welcher vielversprechend klingt.

Puh, wie soll denn das möglich sein wird sich jetzt so manche Leserin und mancher Leser denken. Vielleicht mit einem ganz konkreten Beispiel aus dem eigenen Leben im Hinterkopf, wo es geradezu unmöglich erscheint, dass da ein Weg möglich sein soll, auf welchem alle Beteiligten mit einem zufriedenen Gefühl wieder rausfinden aus dem Schlamassel: der Expartner, den man nur noch als das Grundübel für alles Schlimme im eigenen Leben sieht und den Moment verflucht, an welchem man ihn überhaupt kennengelernt hat – da man ihn nur noch als Hindernis sehen kann für alles, was man bräuchte für das eigene Glück. Oder der Chef, zu dem der Gedanke an dessen Namen bereits ausreicht, dass man alle möglichen Zustände bekommt. Oder der Nachbar, wo man bereits felsenfest davon überzeugt ist, dass da bereits ein ganz gewöhnlicher Gruß ausreicht, dass er einem daraus einen Strick drehen wird.

Unmöglich? Nein. Herausfordernd – ja herausfordernd ist es, da man hier in verschiedenen Disziplinen firm sein sollte, welche für gewöhnlich an keiner Pflichtschule unterrichtet werden und auch in der Erziehung viel zu oft zu kurz kommen: kenne Dich selbst, stehe zu Deinen Gefühlen als wertvolle Berater, sei achtsam jedem Moment gegenüber als einzigartige Chance für alles, schärfe Deine Empathie, entwickle Resilienz, betreibe gewaltfreie Kommunikation.

Sich selbst zu kennen bedeutet, dass man sich einmal seiner selbst bewusstwerden sollte: welche Bedürfnisse sind besonders ausgeprägt, was will man eigentlich? Ja, da fallen den meisten Menschen auf Anhieb viele Dinge ein, die man will: vom Weltfrieden angefangen über den Lottosechser bis hin zum perfekten Partner. Nein, das ist dabei nicht gemeint. Vielmehr sollte man zunächst damit beginnen, all die Wünsche, die man seit Jahren im Rucksack herumschleppt und die einem eigentlich nur den Kopf schwer machen wegen des damit antrainierten bereits notorischen unterbewussten Gefühls, eh nicht zu erreichen, was man will, auszumisten. Die Reise nach New York zum Beispiel. Wie viele Gelegenheiten hätte man schon dazu gehabt? Wie oft hätte es da sogar erschwingliche Angebote gegeben im Reisebüro? Und dennoch hat man nicht zugegriffen. Also ist dieser Wunsch offenbar gar nicht so ausgeprägt – weg damit von der Liste der eigenen Wünsche. Oder Dinge, die man selbst gar nicht beeinflussen kann wie etwa das Verhalten eines anderen Menschen. Weg damit. Irgendwann steht dann nur noch ein wirklicher Wunsch – ein „ich will“ auf der Liste: und dafür lohnt es sich nun, diesen als Entscheidungshilfe bei jeder unschlüssigen Situation heranzuziehen. Das ist das Ziel, das man sich setzt. Und siehe da: plötzlich wird vieles klarer werden – und es werden sich automatisch andere Dinge, die glücklich machen, einfach wie von selbst einfinden. In Streitsituationen wird es nun auch wesentlich leichter fallen, klar strukturiert an die Sache ranzugehen und sich nicht durch jede Kleinigkeit sofort auf die Palme treiben zu lassen. Man wird ruhiger bleiben können, da man klare Prioritäten hat und somit auch seine Energien besser managen wird.

Zu seinen Gefühlen zu stehen ist besonders in Konflikten eine enorm hilfreiche Sache. Wer kennt es nicht: beim Streit stellen sich sofort verschiedenste Vertreter an Emotionen in ziemlicher Vehemenz ein. Da kommt etwa die Wut, welche sich zum Beispiel äußert in lauter Stimme, kraftvoll zugeschmissenen Türen, bebenden Mundwinkeln oder knallrotem Kopf. Oder Angst, welche einen erstarren lässt, einem jede Schlagfertigkeit raubt, einem jede Zuversicht auszusaugen scheint. Viel zu viele Menschen haben irgendwann einmal in ihrem Leben gelernt, dass es sich nicht gehört, Gefühle zu zeigen: weil man sich unter Kontrolle haben muss, weil man sonst Schwäche zeigt. Und Männer – ja Männer dürfen um Himmels Willen nicht weinen – so wie es sich für eine Frau nicht geziemt, in der Öffentlichkeit zu schreien. Wer lernt, seine Gefühle anzunehmen, sie zu benennen, sie als Berater zu sehen, dem wird es gelingen, ihre Kraft für die Sache einzusetzen. In Gefühlen steckt nämlich enorm viel Energie, welche entweder ein Eigenleben entwickelt und einen zum Beifahrer seiner selbst auf der Achterbahn des Lebens werden lässt – oder die man bewusst verwenden kann für seine Ziele. Angst und Wut etwa sind hervorragende Freunde, die einem zeigen, dass man gerade dabei ist, seinen Wohlfühlbereich zu verlassen und somit neue Erfahrungen zu machen: welche eine Gelegenheit sind zu Wachstum – wenn man sie annimmt.

Achtsamkeit ist ebenfalls eine Disziplin, zu welcher man gelernt hat, dass für sie eigentlich kein Platz ist im Alltag: es hat alles schnell zu funktionieren, Entscheidungen sind sofort zu treffen. Da bleibt nicht viel Zeit. Effizienz ist Gebot der Stunde. Dabei helfen viele Vorurteile: alles wird in Schubladen feinsäuberlich kategorisiert, sodass man mit wenig Aufwand rasch vorankommt. Denkt man zumindest. Wurde einem so vorgelebt. Und es ist „normal“. Dass allerdings dieses Leben einen rasch auf Irrwege führen kann, ja sogar in fürchterliche und schmerzhafte Sackgassen, das wird gar nicht einmal realisiert. Konfuzius meinte nicht zu Unrecht: „Hast Du es eilig, so verlangsame Deinen Schritt“. Denn in der Tat erhöht sich damit die Achtsamkeit für den Moment mit all seinen Chancen – die man übersehen hätte, hätte man seinen Vorurteilen und Mustern blind folgend einfach hastig agiert.

Empathie ist eine Kardinaldisziplin. Es ist dies die Fähigkeit, sich auch in das Gegenüber hineinzuversetzen. Zu ergründen, wie es dem Gegenüber gerade geht. Da muss man gar kein großer Hokuspokusmeister sein, um das zu können, keine Angst. Es reicht, einfach zuzuhören, wenn der andere spricht – und auch mal nachzufragen, wenn man etwas nicht ganz versteht oder nicht sicher ist, es richtig verstanden zu haben unter mehreren Möglichkeiten der Interpretation. Wichtig ist, dass man, selbst dann, wenn es besonders herausfordernd ist, weil man den anderen am liebsten verwurschten würde, dem Gegenüber zugesteht, ebenfalls Bedürfnisse zu haben. Ebenfalls Sehnsüchte in sich zu tragen. Für die er oder sie gerade verzweifelt auf der Suche ist nach einem Weg, sich zu verwirklichen. Wer das kann, der hat bereits die halbe Miete auf dem Weg zum Konfliktmeister geschafft. Augustinus hat bereits gesagt: „Liebe – und dann ist es egal, was Du machst.“ Und eine ganz zentrale Bedeutung von Liebe ist es, den Menschen als solchen zu sehen – mit all seinen Bedürfnissen und Sehnsüchten; und sich nicht blenden zu lassen von der Fassade, die mal abstoßend, mal gar lieblich sein kann.

Unter Resilienz versteht man im Wesentlichen die Fähigkeit, auch mit scheinbaren Niederlagen umzugehen. Hier kann man sich an Kleinstkindern, welche gerade das Gehen erlernen, ein gutes Beispiel nehmen: immer wieder fallen sie hin – und manchmal ist dieses Scheitern trotz der Windeln, welche als Airbag fungieren, eine schmerzhafte Geschichte. Und dennoch geben sie nicht auf. Dennoch versuchen sie es wieder und wieder und stecken alle Misserfolge weg: sind getrieben in ihrem Handeln und Streben nicht von der Verzweiflung der Erfahrung aus misslungenen Anläufen, sondern von der Gewissheit, es werde schon einmal funktionieren. Wäre das nicht gelacht, könnte man diese Fähigkeit als Erwachsener nicht wieder in sich wecken bei Konflikten, in denen es einem wichtig ist, sein Ziel zu erreichen und zugleich ein Klima zu bewahren, in welchem man sich auch bei der nächsten Begegnung wohl fühlen kann?

Gewaltfreie Kommunikation schließlich ist die Ausdrucksform dessen, wie man nun mit dem Gegenüber in direkte Verbindung tritt. Max Frisch hat mal geschrieben: „halte dem Anderen die Wahrheit wie einen Mantel hin, auf dass er hineinschlüpfen kann, und schlage sie ihm nicht wie einen nassen Fetzen um den Kopf“. Weise Worte, welche nicht nur für die Wahrheit zutreffen. Kommunikation sollte generell von Wertschätzung getragen sein. Schafft man es, echte Wertschätzung aufzubauen und zu empfinden auch nur für eine einzige Eigenschaft am Gegenüber – und eine solche wird sich sogar am schlimmsten Feind finden – dann wird die Kommunikation einen wesentlich erfreulicheren Verlauf nehmen können, wenn man diese auch zum Berater für die verwendeten Worte nimmt.

Probieren Sie es aus: trainieren Sie Ihre Fähigkeiten in den beispielhaft genannten Disziplinen. Vielleicht sogar mal mit einem Trainer wie etwa einem Mediator oder einem Konfliktcoach. Und verabsäumen Sie keine Chance, vielleicht sogar in bereits lange währenden Konflikten wie etwa der mit dem Nachbarn, dem Chef oder dem eigenen Schwiegersohn auszuprobieren, wie weit Sie bereits sind auf dem Weg zum Meistertitel der gelungenen Konfliktbereinigung durch Konsens. Sie haben das Zeug zum mehrfachen Meister, ich weiß es.

Hans-Jürgen Gaugl (www.lassunsreden.at) ist Mediator, Fachbuchautor und Konfliktcoach. Dieser Artikel ist sein Beitrag zur Blogparade seiner Kollegin Christina Wenz. Wer hier ebenfalls einen Beitrag schreiben möchte - aus Sicht eines Betroffenen oder auch eines Mediators - ist herzlich dazu eingeladen; aber auch "nur" mitzulesen ist selbstverständlich möglich: http://www.mediation-wenz.de/blog/2016/07/29/einladung-zur-blogparade:-wie-wirst-du-zum-konfliktmeister/

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