Der Film verstört. Beim ersten Sehen ("Der offiziell aufliegende Flyer – den ich erst nach meinem Text nun vornehme – lautet: „In seinem ersten französischsprachigen Film wagt der Niederländer VERHOEVEN ein kühne Mischung aus Thriller, Komödie und Vergewaltigungsdrama. Isabelle HUPPERT gibt die unnahbare Chefin eines Videospielunternehmens, die in ihrer Villa von einem Unbekannten attackiert wird, aber auf raffinierte Weise die Opferrolle umdreht. ELLE schockiert mit Direktheit und Humor. Doppelbödig, unmoralisch und an keiner Stelle vorhersehbar.“)

geht man raus und will davon nichts mehr wissen. Es wirkte – zumindest auf mich – wie eine perverse Farce über Bürgerlichkeit mit sexueller Gewalt. Allerdings beim 2. Mal Ansehen bekam ich erst die eigenartige zweimalige Wendung der Handlungsrichtung mit…

Es geht um eine Geschichte – mitten in Paris spielend –, wo eine von einem Eindringling mit Kopfmaske verübte Vergewaltigung an einer erfolgreichen Frau mittleren Alters für beide von einem Kampf (1.Mal) zu einer Amour fou (4.Mal) wird. … Um dann unvermittelt in die Ankündigung dieser Erfolgsfrau zu münden, sie werde nun die gesamte Geschichte doch der Polizei erzählen, was natürlich das Leben dieses Eindringlings für viele Jahre hinter Gittern bringen muss, also gleichsam sein bisher erfolgreiches Leben (Banker) in toto beenden wird; da wird dann doch Ernst daraus. (Zwischendurch läuft als Rückblende die Psychopathen-Geschichte ihres Vater, der – unerklärlicherweise – zum Massenmörder an seiner gesamten Nachbarschaft wurde.)

Man hätte erwartet, dass diese Amour fou sich eher auf eine Normalität hin entwickelt, evtl. mit weiterhin aber eben consensual ausgeführten sexuellen Praktiken – nämlich dem sogenannten „Crushing“. (Dies könnte vordergründig als die französische Antwort auf die lauen britischen „Fifty shades of grey“ gedeutet werden. Crushing kann – bei einem maskiert in die Wohnung einer allein-lebenden Frau Eindringenden – als eine massiv gewalttätige sexuelle Handlung gedeutet werden, die anfangs natürlich als Vergewaltigung mit Schlägen daherkommt, aber nach den n-ten Mal, wo dies schon mehr oder weniger consensual geschieht, als brutale Perversion (Kleid aufreissen, Unterwäsche wegreissen, und natürlich dazwischen immer wieder Schläge ins Gesicht, die aber doch so geführt werden, dass keine Verletzung mit Folgen entstehen). – Im gegebenen Fall kam nach einer Woche der Täter wieder, das Spiel wiederholte sich, die betroffene Frau erzählt davon – erstaunlicherweise - nonchallent ihren Freunden, weigert sich aber es „polizeilich“ zu machen. Beide – Täter und Opfer - erleben dabei besonders heftige Orgasmen. … Als die Handlung dazu führt, dass er – der Eindringling – die Frau bei einem Autounfall aus dem Auto holt, versorgt und betreut, spürt man die Amour fou bei beiden deutlich aufkommen. Sie alle in dem Milieu – so errät man bald – führen in gastlicher Freundesrunde gehobenen Mittelstandes eine Art Doppelleben: Er – der Crusher – kommt mit seiner angeheirateten Frau, sie – das Opfer – mit ihrem Ex und ihrem dzt. offiziellen Liebhaber, der zudem der Mann ihrer besten Freundin ist. Daneben spielt sich noch die Geschichte ihres großen feschen Sohnes ab, der eine leicht verrücktes „fesches Luder“ heiratet, ein Kind erwartet, das allerdings von seinem dunkelhäutigen Arbeitskumpel stammt, was der Sohn aber einfach überspielt (er ist der gute Kerl, der das Luder „und“ seinen Kumpel mag, die alle ihn auch irgendwie sehr mögen) … Szenen da, Szenen dort…

Der Pariser Mittelstand wird als tragik-komische Kammeroper thrillerartig durchgespielt. Die Hauptdarstellerin (Isabelle HUPPERT), schauspielerisch brillant wie sie die Züge der selbstbestimmten, ja autoritären Unternehmerin mit psychopathogenen Zügen im zunehmendem Durcheinander „hinauf“spielt; etwas das man aber in diesem Puzzle nur langsam mit-entdecken kann. Zudem wird immer deutlicher, dass sie auch in der Firma eine undurchsichtig autoritäre und ihr Team (von IT-Spezialisten, Programmierern, Hackern) gegeneinander ausspielende Chefin ist. (Dieses Unternehmen produziert Video-Games, mit Monstern, die aalglatte junge Schönheiten vergewaltigen, – angeblich ein erlaubtes sogenanntes „Gaming“ (so wie die Shooter-Spiele auch nach wie vor legal verkauft werden).

Es ist gut gemacht, spannend bis zum erstaunlich (künstlich harmonischen) Ende, wo sich die Überlebenden der Perversitäten (der Täter wird dann doch erschlagen) friedlich geben und einfach zusammenziehen. – Frauen haben überall das Kommando… das junge Luder ebenso wie die „Autoritäre“.

Aber was bedeutet das alles? Wo sind wir da? Französisches Kino auf hohem Niveau macht noch mehr Abgründe auf, als hätten sie in Frankreich nicht schon genug Horror...? Nach dem 2.Weltkrieg gab es nur Heimat- und Liebesfilme, die Menschen hatten eben genug von Horror-Reizen. Aber offenbar ist der Mensch ein „REIZ-Wesen“, ohne kann er nicht leben… Nach den Heimatfilmen kam die Aufklärungswelle, Sexualität wurde offener, dann kamen die 68er, als kulturmarxistische Welle von Neo-Sozialismus (was bis heute als Political-Correctness fortwirkt, und nun erstmals mit der TRUMP-Welle (Neokonservativismus) kulturell ("in der Wirtschaft aber war die Marktwirtschaft kontinuierlicher – wenn auch in verschiedenen Kleidern – freie und soziale Marktwirtschaft in Europa, Liberty und Laissez-faire-Markt in den USA, dann Regonomics, schließlich Neoliberalismus (der von den USA auch als Globalprogramm gesehen werden will") – immer parallel zur Kultur laufend; und eine europäische Akkordierung, die nun am Scheideweg angekommen scheint: sich zentralistisch oder dezentralistisch zu reformieren, also neu zu „verfassen“.) gekontert wird...

Um das Milieu des obigen Filmes verstehen zu können, muss man aber wohl noch weiter ausholen: Er spielt in Paris und zwar alles auf „pariserisch“ (Oui, nous sommes fort; Ja, wir sind gut in allem, also haben wir auch ein Recht darauf uns zu amüsieren, wie „wir“(!) wollen). Im Zentrum Europas also, schöne alte Häuser aus dem 19. und 20. Jh. mit modernster Innenausstattung, alles digitalisiert, raffinierte Heizungen, französische Mittelklassewagen, die salopp gefahren, und nicht biederlich geputzt und geschont werden (man parkt ein, wenn es eng wird, indem man den anderen mit Gasgebengewalt wegschiebt, Stoßstangen-schaden hin oder her...usw.).

Ist es also eine nur für die „östlich des Rheins Lebenden“ befremdliche Milieustudie? – Gezeigt wird, wie selbstverständlich diese Menschen mit nichts mehr „normal-bürgerlich“ umgehen, Männer und Frauen demonstrieren das extensiv… Oder darf man dazu noch „gelebte Freiheit“ sagen, – sind sie doch alle in existentiellen Fragen immer wieder füreinander da (die Autoritäre unterstützt Sohn, Sohn liebt Luder, Luder liebt Baby, Crusher hilft gekonnt bei Autounfall, Team hackt sich gegenseitig, aber mag sich als Bierrunde, Ex kommt mit neuer Freundin, und diese befreundet sich mit dem „Crushing-Opfer“… in der großen Restaurant-Runde). Alles Pathogene kommt dabei ans Licht, und – offenbar – jeder steht dazu; aber sie verbinden sich auch gegenseitig ihre Wunden mit Sorgfalt; – kurz, ich wette, niemand wollte aus „diesem Paris“ wegziehen (– ein exemplifiziertes Gegenteil zu „muslimischer Enge“)? #

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