Emojis, korrekt für alle Lebenslagen und Traumata

Schon mal darüber nachgedacht, ob Menschen je die Schrift erfunden hätten, wenn sie zuerst Handys und Kameras erfunden hätten? Wir kehren zurück in die Welt der Bildsprache, was augenscheinlich ist, wenn man über Chronikseiten in Facebook und Timelines auf Twitter scrollt: Viele Bilder und kurze Videos, und in den Texten nehmen Emojis überhand, die kleinen Symbole, die mit Hieroglyphen zu vergleichen nicht weit hergeholt ist.

Bevor wir in die Diskussion einsteigen, ob wir unseren Kindern zuerst den Gebrauch von Emojis beibringen sollen ehe wir sie im alphabetischen Schreiben und Lesen unterrichten (zu spät: Emojis haben schon vor dem Kindergarten gewonnen) ein kursorischer Blick auf jüngste Erweiterungen des Emojibets. Für introvertierte User, die gerade in der Badewanne abhängen, ihre Batterien wieder aufladen wollen oder lieber abends allein bleiben statt mit Freunden fortzugehen — und denen man nicht zumuten kann, dies durch ein paar Worte auszudrücken — hat die Designerin Rebecca Lynch „Introjis" entwickelt. Ihre intrinsische Motivation ist einfach: Introvertierte Menschen ziehen Kraft daraus, alleine zu sein oder gemeinsam allein zu sein (der Wiener geht ins Kaffeehaus, fehlt leider in der Introjis-Sammlung). Es gibt dazu eine Facebook-Seite und eine Crowdsourcing-Seite (wobei das Fundraising-Ziel bereits erreicht wurde).

Apple hat vor einigen Monaten sein Bemühen um Correctness aller Arten unter Beweis gestellt und in seine Emojis-Tastatur um Five Shades of Skin von Hellweiß bis Dunkelschokobraun für Smilies, Likes und anderes erweitert. Natürlich dürfen unterschiedlichste Darstellungen der LGBT Community nicht fehlen, mit schwulen, lesbischen, heterosexuellen Paaren und gemischten Kleinfamilien, ganz wie es euch gefällt.

Einen sehr interessanten Ansatz wählt die schwedische Kinderschutzorganisation Bris mit ihrer App „Abused Emojis"frei übersetzt: Missbrauchte Emojis. Die kleinen Pictogramme geben keinen Grund zum Lächeln, Augenzwinkern oder Schmatzen — sie deuten die Not von Kindern an, die traurig, geschlagen, traumatisiert oder missbraucht sind, die mit Alkoholikern leben oder denen andere schwer zu verdauenden Erlebnisse die Sprache verschlagen hat. Wer an die schon klischeehaften Szenen in TV-Krimis denkt, in denen traumatisierte Kinder von wohlmeinenden Psychologen oder Kommissarinnen zum Zeichnen animiert werden kann sich gut vorstellen, dass in manchen Situationen Abused Emojis eine klare Sprache spricht.

Geht uns die Schrift, gar die Sprache verloren durch den einfachen Rückgriff auf die immer ausgefeilteren Symbole? Auch Sprache ist, sobald es um Gefühle geht, oft keine große Hilfe, wie man in der erlebten Sprachlosigkeit schwieriger Lebenssituationen nur allzu schnell erfährt. Da kann ein Bildchen schon ein Anfang sein, muss ja nicht dabei bleiben, bringt vielleicht erst den berühmten Stein ins Rollen.

Für unsere virtuellen Gemeinschaften, die wir heute zwar physisch oft disloziert, mental dafür ganz eng beinander bilden, ist es wie andere kurze Äußerungen einfach sozialer Kit, die schnelle „Berührung" zwischendurch die sagt: Ich denk grad an dich. Klar, Weltuntergang ist immer und überall, und bald werden wir uns nur noch Emojis und Herzschläge via Apple Watch zuschicken und in ein paar tausend Jahren werden Archäologen einen Computer des Internetarchivs in San Francisco instand setzen können und WIkipedia-Einträge finden, die wie der Stein von Rosetta erklären, was es denn mit den komischen Hieroglyphen auf sich hat.

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Silvia Jelincic

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Herbert Erregger

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