Amelia, vermutlich eine Mischung der beiden Vornamen Emilia und Amalie, bedeutet „die Tüchtige“, „die Tapfere“ und gehört seit 2013 zu den 200 häufigsten Mädchennamen. Immerhin.

Amelia ... ? Welche Amelia ist gemeint?

Die Eisprinzessin

Wer in den sozialen Medien unterwegs ist, der ist vielleicht in den vergangenen Wochen auf ein siebenjähriges ukrainisches Mädchen namens Amelia gestoßen. Amelia Anisovych, Zuflucht genommen vor Putins Soldaten in einem Luftschutzbunker in Kiew, ließ es sich dort in diesem Keller nicht nehmen, ihr Lieblingslied, den Hit „Let it go“ aus dem Disney-Film „Die Eiskönigin“, mit zuversichtlicher Stimme zu singen. Das Mädchen wurde dabei gefilmt und so fanden die unerschrockene kleine Sängerin und das Lied den Weg in die Welt.

Nach ihrer Flucht mit Bruder und Großmutter nach Polen, durfte sie sogar bei einer Benefizveranstaltung in Lodz die ukrainische Nationalhymne singen, ebenfalls auf YT zu finden.

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst. Doch hoffen wir mal, dass diese rührende Geschichte wahr ist und keine Erfindung ehrgeiziger Eltern, die ihr Kind zu einer Berühmtheit machen wollen.

Aber diese Amelia ist in der Überschrift nicht gemeint. Denn bei ihrem Aufenthalt im Bunker handelt es sich keinesfalls um einen Fehlalarm, vielmehr um blutigen Ernst, dem das kleine Mädchen gerade eben entkommen ist, während ihre Eltern sich noch in der Ukraine aufhalten.

Die Flugpionierin und Frauenrechtlerin

Cineasten kennen vielleicht eher den Film „Amelia“ aus dem Jahr 2009. Er schildert das Leben der Flugpionierin Amelia Earhart, die 1932 – fünf Jahre nach Charles Lindbergh – im Alleinflug als erste Frau der Welt den Atlantik überquerte. Bereits 1928 war sie als Passagierin bei einer Atlantiküberquerung dabei („Ich war nur Gepäck, wie ein Sack Kartoffeln“). Durch diesen Flug wurde sie bekannter als der Pilot, schließlich war es zu der Zeit nicht selbstverständlich, als Frau ein Cockpit zu besteigen.

In den kommenden Jahren setzte sie alles daran, ihren Kindheitstraum vom Fliegen zu verwirklichen und als berufstätige Frau finanziell unabhängig zu sein. Dadurch galt sie in den USA als Vorbild für viele Frauen, die nicht dem Frauenbild der 1930er Jahre entsprechen wollten. So heiratete sie ihren langjährigen Verehrer und Gönner (im Film gespielt vom unwiderstehlichen Richard Gere) auch erst nach seinem sechsten Heiratsantrag, „widerstrebend“ und mit der Option einer „offenen Ehe“. Eine Frauenrechtlerin durch und durch, die nicht am heimischen Herd ihr Dasein fristen wollte.

Schon als Kind entsprach sie so gar nicht dem typischen weiblichen Rollenbild. Angeblich jagte sie Ratten mit dem Gewehr und sammelte Zeitungsartikel über Frauen in Männerberufen. Und das alles zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

https://de.wikipedia.org/wiki/Amelia_Earhart

1935 flog sie im Alleingang über den Pazifischen Ozean. Sie machte Karriere als Pilotin, wurde überall gefeiert und bewundert.

Aber Earhart wollte mehr. 1937 nahm sie sich vor, als erster Mensch die Erde zu umrunden, am Äquator wohlgemerkt. Nach vier Zwischenlandungen startete sie am 29. Juni 1937 wenige Tage vor ihrem 40. Geburtstag von Neuguinea aus, um den Pazifik zu überqueren. Doch der letzte Zwischenstopp auf einer recht kleinen Insel gelang nicht, sie kam dort nie an. Drei Wochen nach intensivster Suche, an der 64 Flugzeuge und 8 Kriegsschiffe beteiligt waren, galt Earhart offiziell als verschollen. Über die Ursachen des Unglücks gab es mehrere Vermutungen, auch entwickelten sich später verschiedenste Hypothesen zum Verschwinden von Earhart.

All das ist äußerst spannend bei wikipedia nachzulesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Amelia_Earhart

Der Trailer zur Filmbiografie „Amelia“:

Damit ist Amelia Earhart sicherlich eine der bekanntesten Amelias. Aber als Fehlalarm kann man letztendlich das tragische Ende ihrer erfolgreichen Fliegerkarriere nicht bezeichnen. Am Schluss wurde es bitterernst – es war leider kein falscher Alarm.

Die Musikerin und Seelenverwandte

Im Jahr 1975 unternimmt die kanadische Sängerin, Komponistin und Malerin Joni Mitchell einen Roadtrip quer durch die USA. Grund ist die Trennung von ihrem Freund, dem Schlagzeuger John Guerin, den sie zwei Jahre zuvor kennengelernt hatte und der mit seiner Band L.A. Express bei zwei Plattenaufnahmen mitgewirkt hatte. Wieder einmal das Scheitern einer Beziehung, wie so viele vorher.

Mitchell, geboren 1943, beginnt 1965 nach einem abgebrochenen Kunststudium mit dem Komponieren von Songs, gemeinsam mit ihrem ersten Ehemann Chuck Mitchell. Die Ehe hält nur ein Jahr. Zwei Jahre später schreibt sie ihren ersten Hit: „Both Sides Now“, inzwischen hundertfach gecovert. David Crosby produziert ihre erste Platte, die 1968 erscheint. Nach einer kurzen Romanze zwischen den beiden lässt sich Mitchell, inzwischen eine bekannte Musikerin, in den kommenden Jahren mit zahlreichen Musikern der Szene ein. Mehrere kurze Ehen, zahlreiche Liebschaften folgen. Es ist die Zeit der freien Liebe, des „Summer of Love“. Obwohl sie nicht in Woodstock dabei war, erfasst sie, vor dem Fernseher sitzend, die Bedeutung und den Geist dieser Bewegung und komponiert mit „Woodstock“ die Hymne des Festivals.

„We are stardust, we are golden. And we‘ve got to get ourselves back to the garden“

Und nun, 1975, wieder einmal das Ende einer Beziehung. Um sich dieser Trennung und ihrer selbst bewusst zu werden, fährt sie mit dem Auto quer durch die USA.

Beim Durchqueren einer Wüste sieht sie die Kondensstreifen von sechs Flugzeugen am Himmel. Sie denkt dabei an die Saiten ihrer Gitarre, aber eben auch an jene Amelia Earhart, mit der sie sich verbunden fühlt. Gerade jetzt, als sie allein unterwegs ist – wenn auch nicht mit dem Flugzeug. Aber Mitchell spürt eine Seelenverwandtschaft mit dieser Frau, die genau wie sie selbst ihren Weg eigenständig und selbstbewusst gegangen ist.

Und so entsteht der Song „Amelia“. In insgesamt sieben Strophen reflektiert Mitchell ihr bisheriges Leben. In der fünften Strophe singt sie auch direkt über Amelia Earhart:

„... Like me she had a dream to fly.“

Und sie vergleicht Amelia und sich mit dem törichten Flug von Ikarus und seinem unguten Ende.

„Like Icarus ascending on beautiful foolish arms“

Am Ende einer jeden Strophe spricht sie jene Amelia direkt an, von Freundin zu Freundin, oder besser von der Solopilotin am Steuer eines Autos zur Solopilotin am Steuer eines Flugzeuges:

„Amelia, it was just a false alarm.“

Da ist er also endlich, der Fehlalarm! Joni Mitchell bezeichnet das Ende ihrer derzeitigen Beziehung als einen Fehlalarm. Alles halb so schlimm. Es ist nichts passiert. Alles nur ein falscher Alarm. Aufstehen, Krone richten, weitergehen.

Doch der Text ihres Liedes spricht eine andere Sprache. Da heißt es:

„Maybe I‘ve never really loved, I guess that is the truth“,

um dann mit aller Wucht und Intensität in seine Arme zu stürzen:

„I crashed into his arms“

Sehr berührend wird es, wenn Mitchell über das Ende ihrer Beziehung singt. Keine Eifersuchtsszene, kein Weglaufen, kein Auseinanderleben, keinerlei Forderungen. Mitchells Partner bittet vielmehr traurig darum, dass sie sich von ihm fernhalte. So, als wolle er die Trennung im Grunde gar nicht, hält es aber besser für beide, wenn sie auseinandergehen. So eine Bitte muss unendlich schmerzen.

„He sad request of me to kindly stay away. So this is how I hide the hurt.“

• Video: „Amelia“ von der LP „Hejira“ mit Text und Fotos von Amelia Earhart:

• Video „Amelia“ als Live-Fassung von 1979 mit Filmszenen von Amelia Earhart und Pat Metheny an der Gitarre, dem Mitchell am Schluss ein über dreiminütiges Solo überlässt:

• Video „Amelia“ in einer wunderbaren sinfonisch-jazzigen Fassung (Leitung: Vince Mendoza) aus der Do-CD „Travelogue“ von 2002. Mitchell hat sich seit längerem dem Jazz zugewandt und spielt hier mit Wayne Shorter, Herbie Hancock, Billy Preston, Brian Blade und anderen Jazz-Größen zusammen:

• Der Text zu „Amelia“ von Joni Mitchell: https://jonimitchell.com/music/song.cfm?id=118

• Wikipedia-Eintrag über das Lied „Amelia“: Amelia (Lied) - Wikipedia

Zu finden ist der Song „Amelia“ auf der 1976 erschienene LP „Hejira“. Auch alle weiteren Titel des Albums sind während Mitchells Alleinflug, pardon, Alleinfahrt, durch die USA entstanden.

Das hervorragend gestaltete Cover macht den Kauf einer analogen Schallplatte fast unumgänglich.

„Hejira“ ist auch neben dem hier besprochenen Stück ein bemerkenswertes Album. Musikalisch prägend ist das Spiel des außergewöhnlichen und viel zu früh verstorbenen Jazzbassisten Jaco Pastorius sowie des Gitarristen Larry Carlton. Neil Young steuert sein Mundharmonikaspiel auf einem Titel bei. Und auch John Guerin, der Liebhaber Mitchells und Grund für das gesamte Konzept des Albums, ist auf mehreren Stücken am Schlagzeug zu hören.

Es war halt nur – ein falscher Alarm...

Quellenhinweise:

• Wikipedia-Eintrag über Joni Mitchell: https://de.wikipedia.org/wiki/Joni_Mitchell

• Wikipedia-Eintrag über Amelia Earhart: https://de.wikipedia.org/wiki/Amelia_Earhart

• BR Klassik: Das Leben von vielen Seiten – Joni Mitchell zum 75. Geburtstag: https://www.br-klassik.de/themen/jazz-und-weltmusik/joni-mitchell-portrait-100.html

• faz-net: Dieses perverse Bedürfnis nach Originalität – Über die Mitchell-Biografie von David Yaffe: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/david-yaffes-biographie-ueber-joni-mitchell-16800567.html

• Rolling Stone: „Leben im Director‘s Cut“ – Interview mit Joni Mitchell: https://www.rollingstone.de/joni-mitchell-interview-liebe-blue-376338/

• laut.de: Biografie über Joni Mitchell: https://www.laut.de/Joni-Mitchell

Herzlichen Dank an tdp für ihre Anregung, diesen Blog zu schreiben!

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