When the music is over: Die letzte Party im Leben ist dein Begräbnis.

Das Leben liebt Klischees. Deswegen umspült dichter Nebel die Straße, die zum Symposion Lindabrunn führt. Schemenhaft erkennt man am Gelände Skulpturen aus Stein, die Künstler aus aller Welt dort hinterlassen haben. Wunderschön bei Sonne, das ist sicher, aber im Zwielicht und so man das eigene Begräbnis vor Augen hat: Ungut. Ich blödle mich über die letzen Meter und singe im Auto Falco: „Muss ich erst sterben, um zu leben?" Schwarzer Humor als Exit-Strategie gegen aufkeimende Panik. Was haben wir gelacht, als wir die Einladung zum „Six Feet under"- Club im Netz entdeckt haben. Dort legen sich Menschen freiwillig in einen Sarg. Was sie drinnen erleben, wird per Webcam nach draussen ins Partygetümmel übertragen. „Die Menschen sind halt ein wenig pervers," lacht Günther Friesinger. Günther hat einen tollen Bart, einen noch besseren Schmäh und gehört zur Künstlergruppe Monochrom. Er ist heute mein Totengräber.  „Normalerweise tragen wir Anzüge, aber heute ist es doch ein wenig frisch", sagt er und lacht in seinen Kapuzen-Sweater. Am Weg zur Begräbnisstätte,  neben der eine Herde völlig unbeteilgter  Schafe grast, lacht er immer noch vor sich hin. Ich werde schweigsam.

Warum ich mir das antue? In eine enge Holzkiste steige, die versiegelt und mit Erdreich bedeckt wird? Irgendwo in den Wäldern Niederösterreichs? Klar geht es um den Kick, die eigene Ur-Angst zu überwinden. Buried Alive. Bücher würden zu diesem Thema verfasst, Filme gedreht: Der Tod, der Sarg, das Ende von allem. Die ultimative Afterhour.

Ich steige in hinab in den einfachen, jüdischen Sarg, neben dem ein ordentlicher Haufen frischer Erde liegt.  Eine Holzkiste, mehr oder weniger. Drinnen nur eine dünne Auflage, damit ich nicht friere. „20 Minuten bleiben die Meisten", sagt Günther. Ich sage: „Zehn". Weil es doch sehr eng ist. Doch sehr neblig. Und ich doch so gerne lebe. Panik macht sich allerdings erst breit, als Günther und seine Kollegen zum ersten Mal den Deckel auf den Sarg legen. Hätte ich eine längere Nase, würde sie oben anstoßen. Rechts und links ist auch nicht gerade viel Raum. Ganz kurz bin ich davor alles hinzuschmeißen. Günther sagt, das kommt vor und wäre absolut Okay. Ich will aber nicht okay sein. Ich verweigere mich der Angst. Los geht's, budelt mich ein. Der Deckel wird wieder auf den Sarg gelegt und - verschraubt. Das Geräusch des Schlagschraubers ist laut, verflucht laut, und schraubt sich ganz tief in die Seele. Dann: Die Erde. Verdammt laut, dieses Prasseln auf dem Holz über meiner Nasenspitze. „Wenn Du mal drinnen bist, bleibst du drinnen", hat mir Günther zuvor erzählt, während er mein mein Handy in seiner Jacke verschwinden ließ: „Wir hören dich nicht". Stimmt. Immer gedämpfter klingen die Stimmen meiner Totengräber. Angst habe ich allerdings keine mehr, weil mich die Erde im rechten Auge von jeder aufkeimenden Panik ablenkt. Abwischen ist nicht, zu eng. Ach, pfeif drauf.

Und dann. Ist es still. Ganz still. Ich denke, darüber nach, wann ich das letzte mal rein gar nichts gehört habe. Noch nie? Oder im Mutterleib? Ich sehe auch nichts. Im Sarg ist es zappenduster. Mir bleibt nur mein Geruchsinn – Holz, Erde, Adrenalin im Atem – und mein Tastsinn. Aber zu fühlen gibt es wenig. Sämtlicher Außen-Reize entzogen, stellt sich - glaube es wer es wolle - nach und noch ein Gefühl von Geborgenheit ein. Das klingt absurd. Aber irgendwie fühle ich mich umarmt in dieser tröstlichen Enge, in dieser Stille, in der ich nicht mehr sein muss, nicht mehr schaffen muss oder kämpfen. Es gibt keine Zeit six feet under. Es gibt nur dich und Mutter Erde. Mein Atem wird ruhiger, ich schließe die Augen. Die Minuten zähle ich schon lange nicht mehr. Ich bin in guten Händen. Ich lasse los. Und dämmere langsam weg.

Das Geräusch des Schlagschrauber ist beim Öffnen des Sarges. nicht mehr ganz so grell. Ich höre gedämpft den bärtigen Günther lachen: „Holen wir sie raus". Das Metall der Schaufel kratzt über den Holzdeckel. Ich setze mich auf und blinzle in die Sonne. Das Leben liebt Klischees: Der Nebel ist verschwunden. Prächtige Felder, glückliche Schafe, Stimmen, die aufgeregt fragen: „Und, wie war es?"  Ich sehe und höre und rieche. Und ich lebe noch lieber als zuvor.

Hier wird begraben ->

Die Künstlergruppe Monochrom verfügt über mehrere Särge. Der „Party-Sarg" steht für „Six feet under'- Events' in der „Schwelle 7" in Wien. Im Steinbruch des Symposion Lindabrunn  in NÖ wurde die Autorin begraben. Dieser Ort ist allemal ein Besuch wert. Fragen? Herr Günther hilft gerne weiter.

gf@monochrom.at

www.monochrom.at

www.vsl.or.at

www.schwelle7.at/six-feet-under-club

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