Wer Greta Thunbergs Antisemitismus erkennen wollte, konnte das schon lange: Warum die grüne Bourgeoisie dem Kitsch der Klima-Ikone verfiel

Die Überraschung ist gross: «Was ist los mit Greta Thunberg?», fragen die Tamedia-Zeitungen und berichten über den jüngsten Auftritt der Klimaaktivistin. An einer Klimademonstration in Amsterdam am vergangenen Sonntag hatte Greta Thunberg, in ein Palästinensertuch gehüllt, in einen Sprechchor eingestimmt: «Auf besetztem Land gibt es keine Klimagerechtigkeit». Ausserdem überreichte sie ihr Mikrofon der palästinensischen Terror-Unterstützerin Sara Rachdan, die Israel vor über 80 000 Demonstranten des Völkermords bezichtigte.

Auf Instagram hatte Rachdan sich anlässlich des Massakers der Hamas vom 7. Oktober gefreut, dass die Palästinenser nun «endlich» Widerstand gegen die «Besatzung» leisteten. In einem weiteren Post verglich sie den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu mit Adolf Hitler – und behauptete, dass dieser täglich mehr Kinder töten lasse als Hitler. Grosszügig gesteht die Tamedia-Redaktion Thunberg jedoch zu, dass es «unklar» sei, ob sie Rachdans Positionen kenne und teile.

Die Medien vertuschen einen Genozid – sagt Fridays for Future

Spätestens jetzt dürfte sich Greta Thunberg mit Rachdans Gedankenwelt vertraut gemacht haben. Und es deutet einiges darauf hin, dass sie deren Sichtweise teilt. Thunberg und ihr Umfeld haben in den Wochen seit dem Massaker der Hamas immer wieder antisemitische Klischees verbreitet. Ende Oktober posierte Thunberg mit einem «Stand with Gaza»-Plakat, im Hintergrund war eine Krake aus Stoff zu sehen – ein Tier, das Antisemiten seit Jahrzehnten als Symbol für die vermeintliche Weltherrschaft der Juden verwenden.

Einige Tage später unterstellte die internationale Sektion der von Thunberg begründeten Bewegung Fridays for Future den westlichen Medien, sie betrieben proisraelische «Gehirnwäsche». Sie würden von «imperialistischen Regierungen» finanziert, die einen «Genozid» an den Palästinensern vertuschen wollten.

Seither steckt die Gemeinde der Greta-Sympathisanten und -Fans in einer Identitätskrise. Der «Spiegel» zeigte sich bereits im Oktober irritiert: Greta habe «ihrer funkelnden Geschichte ein düsteres Kapitel» angefügt. Das Magazin hoffte allerdings noch auf einer Rückkehr Thunbergs von ihrem «Ausflug ins Dunkle». Der Schweizer Sozialwissenschafter Marko Kovic beklagte am Montag auf Twitter, die «vielleicht berühmteste Aktivistin der Geschichte» werfe alles weg, um mit einer antisemitischen Terror-Apologetin die Bühne zu teilen: «Was mit Greta Thunberg passiert, ist tragisch.»

Die Juden sind die Bösen

Kovic irrt: Was mit Thunberg passiert, ist folgerichtig. Wer Thunbergs Antisemitismus erkennen wollte, konnte das schon lange. Bereits 2021 teilte Thunberg einen Beitrag der Autorin und BDS-Unterstützerin Naomi Klein, die Israel «ein Kriegsverbrechen nach dem anderen» vorwarf. Im selben Jahr drückte Fridays for Future International seine Solidarität mit den palästinensischen «Märtyrern» und ihrem antikolonialen Kampf aus.

Thunbergs Abdriften ist kein Ausflug, sondern eine zielstrebige Reise ins Reich des Antisemitismus. Seit Jahren verschreibt sich die Klimabewegung dem Konzept der «Intersektionalität». Dieses wissenschaftliche Konzept rückt die Verschränkungen unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen in den Fokus, um zum Beispiel Fragen des Geschlechts und der Rasse zusammenzudenken. Allerdings ist von der ursprünglichen Idee nicht mehr viel übrig geblieben. Intersektionalität dient heute vor allem als Rechtfertigung, um jeden politischen Konflikt auf einen Kampf von Unterdrückten gegen Unterdrücker zu reduzieren.

Das Argumentieren haben die Anhänger der Intersektionalität schon lange verlernt, es geht ihnen lediglich darum, in einem Konflikt die Unterdrücker zu identifizieren und sie zu brandmarken. Im Nahostkonflikt haben sie ihre Fronten abgesteckt: Die Juden sind die Bösen.

Dieses schematische Denken hat Thunberg offensichtlich übernommen. Gerne spricht sie über ihren Asperger-Autismus, der ihr einen Vorteil verschaffe: Autisten nähmen nur Schwarz und Weiss wahr und könnten daher die Wahrheit besser erkennen – schliesslich gebe es beim Klimawandel keine Grauzonen.

Weltrettung oder Höllenbrand – dazwischen gibt es nichts

Es war diese Logik, die Thunberg zur Lichtgestalt des ökologischen Bürgertums machte. An «Greta» zu glauben, bedeutete, an eine Klima-Dichotomie glauben zu können: Fossile Lobby contra Klimaschutz, SUV-Hedonismus contra Flugscham, Kapitalismus contra irgendein anderes System, das zwar noch erfunden werden muss, aber ganz sicher weniger CO2 ausstösst.

Thunbergs fanatische Züge waren deutlich zu sehen, allein an der Weise, wie sie öffentlich den politischen Kampf mit ihrer persönlichen Existenzkrise verwob. Ihre Jünger hatten an diesem Fanatismus nichts auszusetzen. Er kam ihnen sogar recht. Viel eher als über Thunberg sollten sie jetzt über sich selbst erschrecken: Wie bereitwillig verfielen sie Thunbergs politischem Kitsch, ihrer Erzählung von Weltrettung und Höllenbrand? Wie willkommen war ihnen Thunbergs Reduktion von Komplexität, die den Klimaschutz von einem Kampf um Ressourcen in einen Kampf um Moral verwandelte?

Manche Vertreter der Öko-Bourgeoisie bringen ohnehin mehr Empathie auf für die fiktiven Flutopfer in hundert Jahren als für den Boomer im Reihenhäuschen von heute – Thunbergs moralische Aufladung des Themas machte es noch einfacher, den Verteilungskampf zu verdrängen, der mit radikalem Klimaschutz auch in den europäischen Ländern einhergeht.

Gewundene Rechtfertigungen bei der «Tageszeitung»

Jetzt laufen Thunbergs Anhänger Gefahr, als Verlierer im moralischen Wettbewerb dazustehen. Kluge Linke nehmen das als Anlass zu Selbstkritik: «Ist das Progressive in der Krise?» fragte Elisabeth Raether kürzlich in der «Zeit». Sie verglich Thunbergs rhetorische Schuldumkehr mit jener von Rechtsextremisten – und riet den Progressiven angesichts mangelnder Konzepte für eine mehrheitsfähige Klima- und Migrationspolitik, sich diese Niederlage einzugestehen.

Eine andere Frage treibt dieser Tage die linke «Tageszeitung» um: «Sind die Guten plötzlich die Bösen und die Bösen die Guten?», fragt sie in einem Kommentar. Glücklicherweise kann sie mit «Nein» antworten. Denn Thunbergs einseitige Positionierung sei zwar fatal, weil sie «in der aktuellen Lage überhaupt nicht weiter» führe. Gleichzeitig sei ihre «heftige Israel-Kritik» einzuordnen in den grösseren Kampf für einen Systemwechsel. Machtverhältnisse müssten neu geordnet werden. «Weltweit. Also auch in Israel. Auch in Gaza.»

Die Intersektionalität kann sich auf ihre Adepten verlassen. Wer die Augen verschliessen will vor Judenhass, wird dafür auch in Zukunft wohlklingende Ausreden finden.

Quelle:

https://www.nzz.ch/feuilleton/greta-thunberg-gaza-israel-hamas-antisemitismus-fridays-for-future-ld.1765847?mktcid=nled&mktcval=181&kid=nl181_2023-11-17&ga=1

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