Memoiren einer Geschäftsreisenden - Fahrgast schlägt Taxifahrer

Normalerweise schlage ich keine Mitmenschen. Aber wenn es um mein eigenes Überleben geht, dann habe ich keine Hemmungen.

Also das war so: Es war Winter in Chicago. Also eigentlich war Juni, aber das Thermometer fiel über Nacht von 27 auf 7 Grad Celsius. Ich hatte aber keine Winterkleidung dabei. Im benachbarten Kaufhaus besorgte ich mir noch schnell einen großen Schal, denn auch der berühmte kalte Chicagoer Wind hatte zugeschlagen. Zum Glück war es schon mein letzter Tag, und ich musste es nur noch bis zum Flughafen schaffen. In einem warmen Taxi würde das kein Problem sein. Dachte ich ….

Mein Kollege, der in einem anderen Hotel geschlafen hatte, besorgte ein Taxi und fuhr damit vor. Zu Beginn ging es nur langsam vorwärts, wir waren im Stau. Da störte es mich noch nicht so sehr, dass der Taxifahrer das vordere Fenster ganz offen hatte. Ich zog mir meinen neu erworbenen Schal bis über die Nase. Dann ging es aber schon ein bisschen schneller vorwärts. Das war mir dann doch zu kalt. Ich bat ihn, das Fenster zu schließen, was er auch tat. Aber schon nach ein paar Minuten fuhr er es wieder hinunter. Mich fror sofort wieder und ich wunderte mich nur über den Typen. Dann beobachtete ich ihn. Oh nein, er war so müde, dass ihm ständig die Augen zufielen. Deshalb brauchte er die eisige Frischluft! Ich war mir aber sicher, dass ich bis zum Flughafen den Kältetod sterben würde, wenn das Fenster nicht geschlossen wäre. Auch meine inzwischen arabische Schal-Verschleierung mit nur einem Augenschlitz würde da nicht helfen. In der Zwischenzeit waren wir auf die Autobahn aufgefahren. Noch schnell irgendwo das Taxi wechseln war also nicht mehr möglich. Außerdem waren wir schon ein bisschen spät dran. Nun begann der Kampf. Das Fenster ging permanent auf und zu, je nachdem, wer von uns beiden gerade die Oberhand hatte. Mit und ohne geschlossenem Fenster fielen dem Typen die Augen zu und der Kopf sank ihm aufs Kinn. Was ihn so müde machte, konnte ich nicht herausfinden, er sprach kein Wort Englisch. Vermutlich hatte er es nicht so leicht im Leben. Was mich aber nicht daran hinderte, um mein Leben zu bangen. Mit einem schlafenden Taxler in den Straßengraben, nein, das brauchte ich nicht. Ich sass also eine Stunde lang hinter ihm und beobachtete ihn im Rückspiegel. Fielen ihm die Augen zu, boxte ich ihn unsanft in die Schulter, dann ging es wieder für eine Minute. Meine schlagkräftigen Argumente brachten uns schließlich unbeschadet ans Ziel.

Der darauf folgende Flug verlief ereignislos, der Flugkapitän dürfte im Gegensatz zum Taxler ausgeschlafen gewesen sein.

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Bernhard Juranek

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Judith Innreither

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irmi

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