Die Stille nach dem Stich

Am Hamburger Hauptbahnhof wurden am Freitagabend mehrere Menschen bei einem Messerangriff verletzt, einige von ihnen lebensgefährlich. Die mutmaßliche Täterin ist eine 39-jährige Frau deutscher Staatsangehörigkeit.

Und was geschieht seither in jenen Teilen der Öffentlichkeit, die sonst bei ähnlichen Taten sofort in Stellung gehen, wenn der Täter einen Migrationshintergrund hat?

Nichts.

Kein Aufschrei, keine empörten Pressemitteilungen, keine besorgten Politiker-Statements. Keine Wutbürger, keine Mahnwache, keine Eilmeldung mit dem Tenor: „Das ist unser neues Deutschland.“

Es ist ein Schweigen, das lauter spricht als viele Parolen. Es zeigt: Für manche gilt das Mitgefühl nur unter Vorbehalt. Es wird rationiert, dosiert, abgerufen – je nachdem, wer die Tat begangen hat.

Wenn ein nicht-deutscher Täter ein Messer zückt, ist sofort die Rede von importierter Gewalt, von gescheiterter Integration, von kulturellem Versagen. Dann gerät das ganze Gemeinwesen ins Visier. Dann wird das Opfer kollektiviert – als Synonym für ein bedrohtes Volk.

Wenn eine Deutsche zustecht, wird sie zur Einzelfigur. Dann spricht man nicht über Herkunft, sondern über psychische Ausnahmen, persönliche Tragödien. Der Kontext bleibt individuell, das Urteil mild.

Dieses Muster ist nicht neu, aber es ist beschämend.

Denn es verrät etwas über den Zustand der öffentlichen Moral. Sie ist in Teilen nicht universal, sondern identitär. Nicht am Menschen orientiert, sondern an seiner Kategorie.

Das ist gefährlich. Eine Empörung, die nur dann einsetzt, wenn das Täterprofil ins ideologische Raster passt, ist keine Empörung – sie ist Propaganda.

Sie macht Opfer zu Statisten politischer Inszenierungen. Und sie macht den öffentlichen Diskurs erpressbar: durch Bilder, nicht durch Prinzipien.

Wer das Leid von Menschen ernst nimmt, muss es unabhängig vom Täter ernst nehmen. Und wer über Gewalt sprechen will, darf das nur tun, wenn er bereit ist, auch die eigene Ideologie auf den Prüfstand zu stellen – gerade dann, wenn es unbequem wird.

Alles andere ist Missbrauch.

Wer beim Täter auf den Pass schaut, bevor er Mitleid zulässt, sollte sich fragen, was ihm eigentlich heilig ist – die Menschenwürde oder nur das Narrativ.

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