Gerade wir Linken dürfen zur Causa Oberhausen nicht schweigen!

„Wir haben Allah, wir haben unseren Propheten Muhammad Mustafa und jetzt haben wir Tayyip Erdogan!“ In etwa so äußerte sich eine Teilnehmerin am Rande des pompösen Auftritts des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim. Durchstöbert man Facebookgruppen türkischer Nationalisten, stößt man oftmals auf derartige Verehrungsphrasen für den türkischen Staatspräsidenten, der bald auch das Amt des Regierungschefs übernehmen könnte.

Bei seiner Rede in Oberhausen wirbt der derzeitige Regierungschef Yildirim für die Abschaffung seines eigenen Amtes, mit der Begründung, ein Schiff könne nicht von zwei Kapitänen gesteuert werden. Er steht vor einigen tausend applaudierenden AKP-Anhängern, zum Großteil in Deutschland lebenede türkischstämmige Menschen. Der Zuspruch für das geplante Präsidialsystem am Bosporus, welches nichts anderes ist als eine faktische Abschaffung der Gewaltenteilung und die Etablierung einer Alleinherrschaft Erdogans.

Einige Medienvertreter waren bei der Veranstaltung vor Ort, um die Worte des türkischen Gastes zu dokumentieren und Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu interviewen. Viele der Aussagen, die dort getätigt wurden, sollten jedem liberalen Demokraten die Haare zu Berge stehen lassen: Es wird vom großartigen Führer sinniert, der die Türkei wieder groß machen werde, es wird von seinem atemberaubenden Palast geschwärmt, von der großen Brücke, die er über dem Bosporus errichten ließ. Nicht erwähnt wird die steigende Armut in der türkischen Bevölkerung, eine jährliche Inflation von etwa 10% und nicht zuletzt die stagnierende Tourismuswirtschaft, der eine elementare Bedeutung für die türkische Liquidität zufällt.

Nun steht Binali Yildirim mitten in Nordrhein-Westfalen auf einer Bühne vor gut 10.000 Anhängern und macht Werbung für die Abschaffung von Demokratie und Gewaltenteilung, zuletzt auch für seine eigene Abschaffung, willens, seine Macht an den Staatspräsidenten abzugeben. Und weil das noch nicht ausreicht, soll das entsprechende Referendum sich zusätzlich mit der Wiedereinführung der Todesstrafe beschäftigen. Es wird gejubelt und gefeiert, nicht selten sieht man das bekannte Handzeichen der sogenannten Bozkurt, der grauen Wölfe in der Menge.

Das alles findet nicht in Ankara statt, sondern mitten in einer deutschen Großstadt; und im Verhältnis zur Anzahl der Pro-Erdogan-Teilnehmer ließ die Menge der Gegendemonstranten doch zu wünschen übrig, die höchsten bekannten Zahlen bewegen sich im Bereich um die 3000. Viele Demonstranten gehörten beispielsweise zum Bund der alevitischen Jugendlichen oder zur Oberhausener Linksjugend, die sich immer wieder gegen das faschistoid anmutende Politsystem der herrschenden Klasse in der Türkei positionieren. Doch wenn wir ehrlich sind: Derzeit ist der Aufschrei aus dem linken Lager nur ein Winseln gegenüber dem Maß, welches nicht nur möglich, sondern unbedingt nötig ist!

Völlig zurecht wird laut und überzeugt gegen jene rechten Positionen gekämpft, die sich weit außerhalb des durchschnittlichen Konservativismus verorten lassen. Völlig zurecht will man faschistische Einflüsse auf die politische Landschaft verhindern, gegen Rassismus und chauvinistische Fremdenfeindlichkeit vorgehen. Dazu benötigt es jedoch ein annähernd einheitliches Maß für Demokratiefeinde aller Art: Es gibt keinen Anlass, türkischen Dikaturfetischismus in Deutschland einfach hinzunehmen und dem damit durch Schweigen zuzustimmen. Es gibt keinen Grund, die Spionage durch religiöse Einrichtungen und Geistliche, welche im Auftrag der staatlichen AKP-Religionsbehörde durchgeführt wird, auch nur ansatzweise zu akzeptieren. Gerade die linken Maxime, die sich eben genau gegen das richten, was gerade östlich von Griechenland geschieht, müssen hier umso intensiver vertreten werden.

Wer schweigt, muss damit rechnen, dass sich radikalere Kräfte die brisanten Themen für ihre Interessen einverleiben. Wenn wir als liberale Kräfte zu religiösem oder präsidialem Autoritarismus schweigen, so dürfen wir uns nicht wundern, wenn die AfD damit Punkte sammelt. Man muss kein Gegner politischer Korrektheit sein, um ein System zu kritisieren, welches den immer wieder beschworenen Werten unserer Gesellschaft zutiefst widerspricht, im Gegenteil: es ist eigentlich verpflichtend, nicht einfach zuzusehen, wenn Despoten und deren Handlanger auf unserem demokratischen Boden den Pflanzenvernichter streuen, der am Ende diesen Boden sowohl hier als auch am schwarzen Meer vergiftet und unfruchtbar macht.

Weiterführende Links:

Wagenknecht spricht von weiterer Unterwerfungsgeste gegenüber Erdogan: https://www.welt.de/politik/deutschland/article162213649/Weitere-Unterwerfungsgeste-Merkels-gegenueber-Erdogan.html

Türkische Gemeinde kritisiert Verfassungsreform: http://www.focus.de/politik/ausland/nach-rede-von-yildirim-tuerkische-gemeinde-in-deutschland-uebt-scharfe-kritik-an-verfassungsreform_id_6670818.html

Yildirim verbittet sich Kritik an seinem Auftritt: http://www.focus.de/politik/deutschland/deutschland-umstrittene-verfassungsreform-yildirim-verbittet-sich-kritik-bei-auftritt-in-nrw_id_6667741.html

Rot-Grüne NRW-Landesregierung will Wahlkampfauftritt Erdogans verhindern: http://www.focus.de/politik/deutschland/nach-yildirim-besuch-in-oberhausen-nrw-regierung-will-erdogan-wahlkampfauftritt-in-deutschland-verhindern_id_6672082.html

https://www.youtube.com/watch?v=l1p6F1TNltw

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