Warum spielt Islamophobie unter Linken eine so große Rolle?

Wie kommt es eigentlich, daß Linke und Feministen die Vorfälle der Silvernacht in Köln in penetrantester und schamlosester Weise verharmlosen, so daß Jacob Augstein (sinngemäß) schreiben konnte, daß ein paar Grabbleien ausreichten, um gleich die Tünche der Zivilisation abzuwaschen?

Linke Identität und das gute, alte Stammheim-Trauma

Den meisten geht es vermutlich wie mir: Der Stammheim-Prozeß gegen die erste Generation der RAF war deutlich vor meiner Zeit und ich muß im Netz versuchen, herauszubekommen, was damals geschehen ist. Meine Diagnose lautet nun wie folgt:

1) Im Stammheimprozeß 1977 hatte die RAF argumentiert, daß es sich um einen politischen Prozeß und nicht um einen simplen Strafprozeß handeln würde, weil sie gewissermaßen aus einem übergesetzlichen Notstand der eigenen politischen, gesellschaftlichen und letztlich menschlichen Unterdrückung sowie der Nothilfe für Vietnam handelten. Dieser Sichtweise entsprechend wollten sie den US-Außenminister als Zeugen vorgeladen sehen. Wir wollen diese Idee eines übergesetzlichen Notstandes das Stammheim-Schema nennen.

2) Und da die Intelligenz der Linken in den letzten Jahren ja leider so drastisch abgenommen hat, können sie die Lage auch jetzt nicht differenzierter sehen, als es die Geburtsgenerationen ihrer Ahnenreihe APO, RAF, Anti-AKW-Bewegung, Friedensbewegung, Grüne je getan hätte.

3) Damit zeichnet die Linke das folgende, große picture der Flüchtlingsströme: Weil der imperialistische Westen den Nahen Osten seit Jahrzehnten ausgebeutet und mit Stellvertreter- bzw. Resourcenkriegen überzogen und drangsaliert hat, erzeugt das Stammheim-Schema die Aussage, daß die Radikalität der muslimischen Einwanderer allein eine gerechtfertigte Folge der westlichen Unterdrückung ist.

4) Würde die Linke das anders sehen und den Islam selbst für den Radikalsimus und die Menschenverachtung des Handelns dieser Leute verantwortlich machen, dann müßten sie entweder ihren Antiamerikanismus aufgeben (was kaum gehen wird, denn er beruht ja wirklich auf guten Gründen) oder gleich das Stammheim-Schema aufgeben - was vermutlich mit dem Bekenntnis "Ich bin nicht mehr links." gleichzusetzen ist.

Und jetzt gießen wir da noch Sauce ... äh Intersektionalität drauf

Die von den Linken vom third-wave-Feminismus ererbte Theorie der Intersektionalität führt aus dieser Perspektive dazu, daß selbst der männliche, dunkelhäutige Moslem schützenswerter ist, als die weiße Heterofrau ... und der weiße Heteromann sowieso.

Folglich werden von den Linken und Grünen die Vorgänge in Köln - ganz zu Unrecht - verharmlost und der künstlich eingeleitete Kulturkampf vorsätzlich geleugnet. Denn - und das das ist ebenfalls Folge der narrativen Ethik der Feministen - als moralisch richtig gilt allein, was in einem bereits gedeuteten Kontext als angemessene Reaktion erscheint, weil die Orientierung an universellen, handlungsleitende Standards wie in der Deontologie oder im Konsequentialismus als irrelevant angesehen wird.

Die irreführenderweise "Flüchtlinge" genannten Immigranten aufzunehmen, ist in den Augen der Linken damit gewissermaßen eine politische Buße des Westens für die Verbrechen der letzten Jahrzehnte. Und das bedeutet: die Linken sehen sehr wohl die kommenden Probleme der jetzigen Einwanderung, aber sie begrüßen deren Nachteile heimlich als gerechte Strafe - womit sie letztlich den Kollektivschuldgedanken weiterführen. Daß sie das alles nicht offen bekennen mögen, ist leicht einzusehen.

Was passiert nun, wenn jemand NICHT den bösen Westen für den angeblich gerechten Zorn des arabischen Moslems verantwortlich macht - sondern z.B. das Zusammentreffen einer bestimmten Kultur mit einer bestimmten Auslegung und Politisierung des Islam? Solange das Stammheim-Schema gilt, läuft das auf eine implizite Leugnung der These vom bösen Westen und insbesondere des Antiamerikanismus hinaus. Und welchen politischen und damit letztlich menschlichen Standpunkt braucht man, um so eine Leugnung wirklich ernst zu nehmen? Na? Richtig: Man muß schon irgendwie Nazi sein ... wenigstens ein bißchen oder Rassist oder so, um das Elend der arabischen Muslime als OK einzusufen. Oder am besten gleich Männerrechtler, die sind ja sowieso alles ... und noch viel, viel schlimmer.

Damit aber bekommt man offiziell den Arschloch-Status, so daß man seiner Menschenwürde, darunter auch die Menschenrechte wie die Meinungsfreiheit verwirkt: Schließlich versuchen ja nur alle den Anfängen zu wehren ... in bester Absicht ... wie könnte es da schiefgehen ... ???

Also: Wir nehmen die sog. Nazi-Keule als Beschimpfung oft nicht ernst. Doch das ist ein großer Fehler in der Analyse.

Die Quelle des Dramas ist hier ganz klar die feministische Theorie: eine auf einer absurden Identitätspolitik beruhende Intersektionalität sowie die feministische, narrative Ethik, die nach kontext-angemessenen Reaktionen, nicht aber nach universell gültigen Handlungsstandards sucht. Die Schuld für diese Vorgänge liegt aber natürlich immer bei den Menschen und nicht bei irgendeiner Theorie.

Das alles erklärt selbstverständlich nicht, warum die Rechten diesen Wahnsinn mitmachen und daher jede Verantwortung für künftige Generationen verweigern. Dafür benötigen wir eine andere Erklärung, die ich im Moment nicht geben kann.

Wer sich noch mal die Fakten zur Entstehung der Flüchtlingskrise in Erinnerung rufen will, der kann das hier tun:

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