„Operation Thunderbolt“ und der deutsche „Heimatvertriebenenverband“

Idi Amin und Yassir Arafat, Government Printing Office, 90 Minuten in Entebbe, Ullstein Verlag

Am 27. Juni 1976 entführten die linksradikalen deutschen Terroristen Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann mit zwei palästinensischen Kämpfern der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) ein Flugzeug der Air France über Athen mit 250 Passagieren an Bord. Geplant und angeordnet wurde die Aktion vom Militärchef der PFLP, Abu Hani. Nach einem Zwischenstopp in Bengasi wurde der französische Pilot gezwungen, die Maschine auf dem Flughafen Entebbe in Uganda zu landen. In Entebbe wurden die Geiseln von der ugandischen Armee und sechs weiteren palästinensischen Terroristen empfangen. Die ugandische Armee übernahm für eine Nacht die Bewachung der Geiseln, damit sich die Entführer etwas ausruhen konnten.

In Entebbe erreichten Antizionismus und Judenhass einen neuen zwischenzeitlichen Höhepunkt. In dem Moment, als Wilfried Böse Juden von Nicht-Juden trennte, war nichts mehr wie es vorher war.

Die erste Selektion von Juden und Nichtjuden nach Auschwitz löste weltweites Entsetzen aus, der Aufschrei innerhalb der radikalen Linken blieb aber aus. Erst 1991 gab es zaghafte öffentliche Selbstkritik innerhalb der radikalen Linken und die nur weil ihr antiimperialistischer Mitkämpfer Gerd Albartus von einer palästinensischen Terrorgruppe um den Topterroristen Carlos, vermutlich wegen seiner Homosexualität, zum Tode verurteilt und erschossen wurde.

Am Dienstag, den 29. Juni 1976, um kurz vor 19 Uhr, beginnt der „antiimperialistische Kämpfer“ Wilfried Böse die erste deutsche Selektion an Juden nach 1945. „Wenn Sie ihren Namen hören, stehen Sie auf und gehen in den Nebenraum“, sagte Böse, nachdem er an dem Tisch, auf dem die Pässe der Passagiere lagen, platzgenommen hatte. Eine israelische Frau mit eintätowierter Lagernummer brach in Tränen aus, als wieder jüdische Namen mit deutschem Akzent verlesen wurden, während die 28-jährige Pädagogikstudentin aus Hannover, Brigitte Kuhlmann, eiskalt mit einer Handgranate bewaffnet am Eingang des Nebenraumes stand. Die verbliebenen 143 nichtjüdischen Geiseln und die französische Crew wurden freigelassen. Kapitän Michel Bacos und seine Crew lehnten ihre Freilassung ab, da sie sich allen Passagieren verantwortlich fühlten. Die 103 jüdischen Geiseln (83 Israelis sowie 20 französische Juden) wurden in dem mit Sprengsätzen gesicherten Terminal von Entebbe mit der Drohung, in drei Tagen erschossen zu werden, weiter gefangen gehalten. Während dieser Gefangenschaft hatten die meisten Geiseln Durchfall und Erbrechen, die Toiletten waren verdreckt, da es in den Leitungen kein Wasser gab. Der Massenmörder und Komplize der Entführer, Ugandas Diktator Idi Amin besuchte die Geiseln täglich, verbunden mit bizarren Auftritten und grotesken Reden. Während der Selektion zeigten jüdische Geiseln ihre eintätowierten Auschwitz-Häftlingsnummern und erklärten Wilfried Böse, dass seine Handlungen identisch mit den Taten der Nazis sind. Böse meinte, „er sei kein Nazi, er sei Idealist, er bereite die Weltrevolution vor.“ Ihm zufolge führe der imperialistische Staat Israel einen dauernden Expansionskrieg gegen die Palästinenser und seine Nachbarn. Die Forderung der „Revolutionäre“ war die Freilassung von anfangs 53, später über 70 Inhaftierten aus Gefängnissen in Israel, Frankreich, Deutschland und der Schweiz, sowie fünf Millionen US-Dollar von der französischen Regierung für die Rückgabe des Flugzeuges.

Nachdem Schimon Peres, der israelische Verteidigungsminister, vier Herkules Transportflugzeuge und zwei Boeing 707 wegen der achtstündigen Flugzeit und dem damit verbundenen Zeitdruck, vorsichtshalber schon in die Luft geschickt hatte, gab am 3. Juli Ministerpräsident Jitzchak Rabin, der bis zuletzt auf eine diplomatische Lösung hoffte, nach einer turbulenten Kabinettsitzung der israelischen Armee grünes Licht für die „Operation Thunderbolt.“ Als die Selektion der jüdisch-israelischen Geiseln bekannt geworden war, entschloss sich Rabin und das Kabinett zu der extrem riskanten militärischen Befreiungsaktion.

Zuvor sammelten Militär und Mossad mehrere Tage Informationen über den Flughafen in Entebbe. Die israelische Spezialeinheit trainierte mehrfach die geplante Rettungsaktion in einer mittels Attrappen nachgebauten „Transithalle.“ Kenia erlaubte die Landung der beiden Boeing Maschinen und das Auftanken für den Rückflug der vier Herkules Transportmaschinen. In einem der Transportflugzeuge wurde ein schwarzer Mercedes mitgeführt, mit welchem die Ankunft Idi Amins vorgetäuscht werden sollte. In der zweiten "Herkules" waren die Operationstische, auf welchen kurz nach der Operation fünf Zivilisten und vier Soldaten liegen sollten. Die eigentlichen, 90-minütigen Kampfhandlungen begannen in der Nacht, als Jonathan Netanjahus Männer der Spezialeinheit Sajeret Matkal in die Transithalle eindrangen. Über Megafone riefen die israelischen Soldaten, dass sich die Geiseln auf den Boden liegen sollen. Für kurze Zeit brach ein Chaos aus. Mütter warfen sich schützend über ihre Kinder. Schüsse flogen über die Köpfe der Geiseln, die Palästinenser feuerten wild zurück, Böse und Kuhlmann waren bereits tot. Drei Geiseln, Ida Brochowich, ihr Sohn Boris Shlein und Jean-Jacqes Maimoni wurden von den Terroristen getötet. Jonathan Netanjahus Männer jagten den übrigen Terroristen nach und suchten die oberen Stockwerke ab. Nun wurden die Befreier vom nahegelegenen Kontrollturm von ugandischen Soldaten beschossen. Mit Bazooka-Geschosssen und Maschinengewehr-Garben griffen die Israelis den Tower an, dabei wurde Oberstleutnant Netanjahu getroffen. Der ältere Bruder des israelischen Ministerpräsidenten verstarb beim Rückflug in der zweiten Herkules-Maschine. Die Befreiungsaktion begann eine Minute nach Mitternacht, noch Stunden danach ahnte Idi Amin nichts von diesem Handstreich.

Die 75-jährige Dora Bloch, die Auschwitz überlebte, hatte drei Tage zuvor schwere Atemprobleme und befand sich deshalb in einem Krankenhaus in Kampala. Sie wurde am folgenden Tag von ugandischen Soldaten ermordet. 45 ugandische Soldaten wurden während des Angriffs getötet, alle ugandischen Kampfjets, die sich auf dem Flugfeld befanden, wurden am Boden zerstört um die anschließende Flucht zu gewährleisten. Libyens Staatschef Gaddafi schickte kurz darauf seinem bedrückten Freund Idi Amin zwanzig Mirage-Jäger. Für Israel war die Rettungsaktion die Neudefinition des Staates Israel. Wilfried Böses Selektion berührte den Gründungsmythos des jüdischen Staates. „Ich sehe in Entebbe das Wesen des Zionismus“, sagt Muki Betzer, einer der Kommandeure der „Operation Donnerschlag.“ „Hätten wir vor dem Zweiten Weltkrieg einen Staat und eine Armee gehabt, hätte es den Holocaust in Deutschland so nicht gegeben.“

Heutzutage regen sich „Israelkritiker“ über den Sperrzaun auf, der palästinensische Selbstmordattentäter und Terroristen abhalten soll israelische Zivilisten zu ermorden. Sie bezeichnen ihn als „Schandmauer!“ Mit Hilfe dieser „Schandmauer“ werden, so meinen viele dieser „Israelkritiker“, die Palästinenser im Gazastreifen oder in der Westbank wie in einem großen „Freiluftkonzentrationslager“ oder wie in einem „Ghetto“ gehalten. Sie verurteilen jede legitime israelische Abwehrreaktion gegen Raketenbeschuss oder Waffenschmuggel als „faschistische Barbarei“, während islamistischer Terror bagatellisiert oder gerechtfertigt wird. Dass sich Israel nicht einen einzigen verlorenen Krieg leisten kann, weil die weitere Existenz des jüdischen Staates damit Makulatur wäre und es für die jüdischen Bewohner Israels keine Möglichkeit zu einer Flucht gäbe, ist für Antizionisten und Israelgegner ohnehin kein Problem. Nach „Entebbe“ hatten die „Revolutionären Zellen“ vor, Heinz Galinski, den damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlin zu entführen, was nur durch Hans-Joachim Kleins Intervention verhindert wurde! Die „Operation Thunderbolt“ mit der ihr vorausgegangenen Flugzeugentführung und anschließenden Selektion wurde mehrmals verfilmt. Horst Buchholz und Klaus Kinski brillierten in der Rolle des Wilfried Böse. In mehreren westdeutschen Kinos, die den Film „Unternehmen Entebbe“ spielten, legten die „Revolutionären Zellen“ Feuer. Diese Brandstiftungen sollten eine Warnung an Kinobesitzer und Zuschauer gegen die angebliche „rassistische Hetze“ sein.

Der damalige UN-Generalsekretär und Ex-Nazi Kurt Waldheim verurteilte 1976, unter dem Beifall großer Teile der westdeutschen Linken, die israelische Befreiungsaktion als ernsthafte Verletzung der Souveränität des Mitgliedsstaates Uganda. Die deutsche Öffentlichkeit und mit ihr große Teile der Linken wissen bis heute, im Gegensatz zu den Ereignissen um die „Landshut“ in Mogadischu, kaum etwas über die Geschehnisse um die „Operation Thunderbolt“, was nicht weiter verwundert, in Entebbe wurde den linken Antisemiten der Spiegel vorgehalten.

Dass so gut wie alle „Israelkritiker“ von sich selbst behaupten, keine Antisemiten zu sein, versteht sich nach Auschwitz von selbst. Der Antizionismus, den Wilfried Böse mit seinem Leben bezahlte, ist eine Möglichkeit, nicht nur für Blut-und-Boden-Linke, sich von einer phantasierten Schuld zu befreien. Das heutige Linkparteimitglied Norman Paech sprach in den 1990er Jahren davon, dass er endlich „von der Aura der Kollektivschuld“ erlöst wurde, als er Mitte der 1960er Jahre nach Israel fuhr und dort das Leid der Palästinenser sah. Durch die Leiden der Palästinenser konnte Norman Paech aus dem „Schatten Hitlers“ heraustreten: „Ich vermag nicht als Konsequenz aus den Verbrechen der Generation vor uns zu schweigen, wenn die Überlebenden, ihre Kinder und Enkel Menschenrechte anderer verletzen.“ Für Norman Paech waren und sind die Israelis genauso schlimm wie die Deutschen während des Nationalsozialismus und nur so konnte er sich von seinen eigenen Schuldgefühlen befreit fühlen. Die Solidarität mit den Palästinensern ist laut Wolfgang Pohrt eine Parteinahme für einen „großen militanten Heimatvertriebenenverband“ und „Ausdruck des Bedürfnisses, die beschädigte nationale Identität wiederherzustellen.“

So wird in antizionistischen Kreisen der Nationalsozialismus oftmals mit dem Staat Israel gleichgesetzt. In einer Erklärung der Revolutionären Zellen (RZ) steht: „Die Zionisten haben unheilvolle Lehren aus ihrer Verfolgung gezogen; sie haben gut gelernt und verfolgen, unterdrücken, vertreiben, beuten die Palästinenser und Araber heute aus, wie sie einst selbst verfolgt wurden.“ Mit diesem Vergleich entschwindet die Singularität von Auschwitz. Die deutschen Verbrechen werden reingewaschen, da doch angeblich die Opfer der Deutschen auch nicht besser seien. Die Opfer werden zu Tätern gemacht. Mit diesen Ansichten steht die „antizionistische Linke“ der „Neuen Rechten“ in nichts nach. Mit ihrer Schuldumkehr, mit ihrer Verharmlosung des Nationalsozialismus und ihrer Ablehnung des Staates Israels sind sich Paech, Kuhlmann und Böse mittlerweile mit einem großen Teil der deutschen Bevölkerung einig. Die Speerspitze dieses antiimperialistischen „Denkens“ ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Wenn es um Israels Verteidigungsmaßnahmen geht, herrscht im „Hause des Henkers“ ohnehin eine nationale Einigkeit wie sie in keinem anderen Politikfeld auch nur annähernd erreichbar ist. Norbert Blüms Aussage vom „hemmungslosen Vernichtungskrieg“ Israels gegen die Palästinenser, der einstimmige Bundestagsbeschluss gegen Israel nach den Vorfällen auf der „Mavi Marmara“ belegen dies, neben den zahllosen antiimperialistischen Aktionen, eindrucksvoll. So verhinderten beispielsweise am 25. Oktober 2009 antiimperialistische linksradikale Gruppen des „internationalen Zentrums B5" in Hamburg die Aufführung der Dokumentation „Warum Israel“ des französisch-jüdischen Regisseurs Claude Lanzmann mit Gewalt und „Ihr Judenschweine“-Rufen. Lanzmann war schockiert, die Aktion der Linken erinnere ihn an die Blockade „verjudeter“ Filme durch die Nationalsozialisten.

Der stärker werdende Antizionismus, dieser „unschuldige, ehrbare Antisemitismus“ ist offenbar unerlässlich für die „Wiedergutwerdung“ der friedensbewegten Deutschen. Dagegen schrieb Jean Améry bereits 1976 in seinem Essay „Der ehrbare Antisemitismus" über den Antizionismus der Linken: „Der ehrbare Antisemit hat ein beneidenswert reines Gewissen, ein meerstilles Gemüt. Er fühlt sich zudem, was seinem Gewissensfrieden noch zuträglich ist, im Einverständnis mit der geschichtlichen Entwicklung. Erwacht er gelegentlich aus der Dumpfheit seines Dämmerns, stellt er die rituellen Fragen. Ob Israel denn nicht ein expansionistischer Staat sei, ein imperialistischer Vorposten. Ob es nicht durch den ‚Immobilismus‘, seiner Politik das Ungemach, das von allen Seiten hereinbricht, selbst verursacht habe. Ob nicht die ganze zionistische Idee die Erbsünde des Kolonialismus trage und damit jeder mit diesem Lande solidarische Jude selber schuldhaft werde. Hier lohnt es kaum noch zu diskutieren. Israels Expansion war die Folge des kriegerischen arabischen Fanatismus, der schon 1948 nichts anderes den Juden versprach, als sie ‚ins Meer zu werfen.‘“

Zuerst veröffentlicht in Mission Impossible

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