Was denkt ein Jäger in der Stunde seines Todes?

Martin Balluch

Kürzlich ist eine Tierschutzaktivistin überraschend verstorben. Sie hatte sich seit vielen Jahren beim VGT engagiert, war immer zur Stelle, wenn Hilfe gebraucht wurde, betreute Infotische, verteilte Flugzettel und setzte sich insbesondere in der Kampagne für ein Verbot der furchtbaren Kastenstände für schwangere Mutterschweine ein, also gegen diese körpergroßen Käfige, die wie mittelalterliche Foltergeräte anmuten. Sie konnte zweifellos mit sich zufrieden sein, als sie starb. All die vielen Tiere, denen sie geholfen hat, ihr selbstloser Einsatz für das Gute, ihr bescheiden veganes Leben mit möglichst geringem ökologischen Fußabdruck. Kein Zweifel, ihr Tod war furchtbar tragisch, aber ihr Leben unbestritten eine große Hilfe für so viele andere Wesen.

Wie aber geht es einem Jäger in der Stunde seines Todes? Blickt er hinauf an die Wand, an der die abgeschnittenen Köpfe jener Tiere hängen, die er im egoistischen Rausch erschossen hat, und die ihn jetzt mit glasigen Augen anstarren, als würden sie Genugtuung fordern, als würden sie fragen, wie er ihnen das nur antun konnte? Wie fühlt er sich, bei ihrem Anblick? Ist er mit seinem Leben zufrieden? Kann er das als ein gutes Leben empfinden, so viele unschuldige Wesen vorsätzlich verletzt und getötet zu haben?

Ich denke an diesen Filmclip, der momentan durch das Internet geistert. Man sieht einen Jäger, der sich hinter einer Attrappe eines Truthahns versteckt. Ein anderer Truthahn nähert sich, weil er offenbar die Attrappe mit einem Artgenossen verwechselt. Da springt der Jäger hoch und schießt auf das armselige Tier, das zu spät seinen Fehler erkennt und verzweifelt zu flüchten versucht. Die Flucht misslingt, das Tier wird getroffen und stirbt. Ein schrecklicher Moment, ein Leben wird ausgehaucht, eine Biographie geht zu Ende. JedeR BetrachterIn mit Herz und Hirn trauert in diesem Moment, spürt den Schmerz förmlich im eigenen Körper, was für ein sinnloser Tod!

Nicht so der Jäger im Filmclip. Er hüpft begeistert herum und lacht. Ja, er lacht, er lacht dieses arme Wesen, das tot vor ihm liegt, geradezu aus. So dumm sei es gewesen, auf eine Attrappe herein zu fallen. Vermutlich fühlt sich der Jäger in diesem Augenblick auch überlegen, so richtig die Herrenrasse, an der Spitze der Nahrungskette. Und statt aus der überlegenen Stärke Verantwortung zu ziehen, wird der Unterlegene verlacht. Kein Gedanke an dieses Wesen mit einzigartiger Persönlichkeit, das eben von dieser Erde verschwunden ist. Von ihm völlig gedankenlos ausgelöscht.

Beim Begräbnis der Tierschützerin waren über 100 Menschen versammelt. Gemeinsam gedachte man ihrer vielen guten Taten, ihrer liebevollen Art, ihrer Hilfsbereitschaft und Charakterstärke. Viele erinnerten sich an Momente im Leben, die sie mit der Verstorbenen geteilt hatten. Auch der erschossene Truthahn hatte ein Leben gehabt. Auch er war von einer Mutter geboren worden, unter ihren Fittichen aufgewachsen, und von ihr vorsichtig an das Leben herangeführt. Dann seine ersten Schritte in die Unabhängigkeit, seine sozialen Beziehungen, vielleicht hatte er Kinder. Wie hat er sich gefühlt, als er an jenem Morgen aus dem Schlaf erwacht ist, der sein letzter sein sollte. Ahnte er schon sein Schicksal? Wer trauert jetzt um ihn? Wo ist sein Begräbnis?

Wie kann dieser Jäger die ganze Tragik des Moments so ausblenden? Ist er zu blind, um zu sehen, was er angerichtet hat? Wie ist es dann am Ende seines eigenen Lebens? Gelingt es ihm da wenigstens, in letzter Sekunde, sich in all diese Wesen hinein zu versetzen, die er umgebracht hat? Mitzufühlen, was sie angesichts ihres Todes gefühlt haben? Fragt er sich, wenigstens den Bruchteil einer Sekunde, ob das richtig war, was er getan hat, ob es gerecht war, fair war?

Ist der Spaß mit der Truthahnattrappe wirklich den Tod dieses einzigartigen Wesens wert gewesen? War das eine gute Tat, auf die man stolz sein kann? Ist das etwas, das man am eigenen Totenbett nicht bereut?

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