„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!“

Der dänische Tenor Helge Rosvaenge sang diese bekannten Zeilen aus der Operette "Die Fledermaus" (Johann Strauss) bei den Bregenzer Festspielen, im Sommer 1954. Ob der Opernsänger im besetzten Nachkriegsösterreich dabei an sich selbst dachte, wird wohl nicht mehr eruiert werden können.

Vermutlich kennen Helge Rosvaenge hierzulande nur noch einige wenige Musikhistoriker und Opernliebhaber. Ausgerechnet in Wien-Donaustadt ist er jedoch vielen Menschen ein Begriff, auch wenn diese sich kaum oder gar nicht für Oper und Operette interessieren. Hier die Kurzfassung einer Erinnerungslücke:

Die künstlerische Vielfalt der Weimarer Republik endete 1933. Die NS-Kulturpolitik unterwarf sämtliche Kunstgattungen, von Malerei und Bildhauerei über Architektur, Theater und Literatur bis zu Musik und Film, dem Diktat der sogenannten „deutschen Kultur“ und der „rassischen Substanz“. Jüdische, kommunistische und liberale Künstler wurden mit Berufsverboten belegt, später verfolgt und zum Teil in Konzentrationslagern ermordet. Im Gedenkjahr 2018 erinnert die digitale Kunstinitiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken von Konstanze Sailer an vier jüdische Künstlerinnen, die in verschiedenen NS-Vernichtungslagern ermordet wurden.

Friedl Dicker-Brandeis (* 30. Juli 1898 in Wien; † 9. Okt. 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau) war eine österreichische jüdische Malerin, Innenarchitektin, Designerin und Bühnenbildnerin. 1934 wurde sie als Mitglied der Kommunistischen Partei in Wien verhaftet und emigrierte danach nach Prag. 1942 wurde sie in Hronov, nordöstlich von Prag gemeinsam mit ihrem Ehemann verhaftet und in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Mit einem der letzten Zugtransporte von Theresienstadt wurde Friedl Dicker-Brandeis in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort kurz nach der Ankunft, am 9. Oktober 1944 ermordet.

Ilse Pisk (* 17. Feb. 1898 im mährischen Mistek, heute Frýdek-Místek, Tschechien; † nach dem 12. Mai 1942 im Transit-Ghetto Izbica) war eine der frühesten Atelierfotografinnen im Wien der 1920er-Jahre. Aus ihrer Zusammenarbeit mit der Fotografin Trude Fleischmann entstanden bekannte Fotografien von Peter Altenberg und Adolf Loos. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde sie am 12. Mai 1942 in das Transitlager Izbica deportiert. Zu einem nicht mehr rekonstruierbaren Zeitpunkt, wurde Ilse Pisk im Transitlager Izbica oder aber in einem der Vernichtungslager Treblinka, Belzec oder Sobibor ermordet.

Paula Santa (* 14. Juni 1875 in Wien; † nach dem 9. April 1942 in einem der Vernichtungslager Treblinka, Belzec oder Sobibor) war eine österreichische jüdische Sopranistin. Sie debütierte 1898 und hatte bis 1907 Engagements in Linz, Nürnberg, Köln und am Theater an der Wien. Nach der Eheschließung mit dem Bariton Max Heller war sie in Wien über Jahre als Gesangspädagogin tätig. Sie wurde – wie die österreichische jüdische Malerin Helene Taussig – mit demselben Transport Nr. 17, am 9. April 1942, von Wien in das Transitlager Izbica deportiert. Zu einem nicht mehr genau rekonstruierbaren Zeitpunkt, wurde Paula Heller-Santa in einem der Vernichtungslager Treblinka, Belzec oder Sobibor ermordet.

Malva Schalek (* 18. Feb. 1882 in Prag; † 24. März 1945 im Vernichtungslager Auschwitz) war eine österreichische jüdische Malerin. Sie lebte und arbeitete bis 1938 in Wien und floh danach ins tschechische Leitmeritz und nach der militärischen Einnahme des Sudetenlandes durch die Wehrmacht weiter nach Prag. 1942 wurde sie verhaftet und in das KZ-Theresienstadt deportiert, wo sie heimlich KZ-Alltagsszenen malte. Nachdem sie sich weigerte, 1944 einen NS-Arzt zu porträtieren, wurde Malva Schalek in das Vernichtungslager Auschwitz überstellt und dort ermordet.

Bis zum heutigen Tag existiert in Wien keine Straße, die den Namen einer dieser Künstlerinnen trägt. Hingegen ist ausgerechnet nach Helge Rosvaenge seit 1983 eine Gasse in Wien-Donaustadt benannt. Rosvaenge war ein renommierter dänischer Tenor, der sich – seit 1933 NSDAP Mitglied – über Jahre für NS-Propagandaveranstaltungen einspannen ließ und 1944 von Hitler auf die sogenannte Gottbegnadeten-Liste gesetzt wurde. Aus Anlass des Gedenkjahres 2018 könnte in Wien-Donaustadt anstelle von Helge Rosvaenge künftig einer der genannten Künstlerinnen gedacht werden.

Am Ende des Ersten Aktes der "Fledermaus" ändert sich die bekannte Textzeile geringfügig. Es wirkt, als hätten Karl Haffner und Richard Genée beim Schreiben des Librettos (in den 1870er Jahren) auch einen kurzen Blick in unsere Gegenwart geworfen: „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist!

Dominik Schmidt

Bildausschnitt: „Aufschrei 19:42 Uhr“, 2016, Tusche auf Papier, 48 x 36cm; ©: Konstanze Sailer https://www.memorygaps.eu/gap-mai-2018/

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Iris123

Iris123 bewertete diesen Eintrag 01.05.2018 12:11:51

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