More Than Bytes – Über den digitalen Blitzstrahl und die höchste Zeit, Schule neu zu denken

Gut Ding braucht Weile. Zu diesem Schluss könnte man kommen, wenn es in diesen Tagen KulturKontakt Austria und EDUCULT nach 16 Jahren des Nebeneinander-Bestehens erstmals gelungen, ist unter dem Titel „More than Bytes“ eine gemeinsame Veranstaltung auszurichten. Anlass war das jüngste Treffen des ENO Network, einem informellen Zusammenschluss von Forschungsinitiativen (Observatories), die sich mit Kultureller Bildung beschäftigen.

Im Vergleich zu dieser Parallelaktion verläuft die Digitalisierung der Welt wesentlich rasanter. Sie ist in diesen Jahren bis in die letzten Ritzen unserer Lebens- und Arbeitswelten eingedrungen und beeinflusst unser aller Denken und Handeln in nachhaltiger Weise. Als eine der wenigen Ausnahmen galt bislang ausgerechnet der Bereich der Kulturellen Bildung, an den weite Teile der technologischen Innovationen scheinbar ohne nachhaltige Einflüsse vorbeigegangen sind. Stattdessen wurde es nachgerade als eine herausragende Qualität Kultureller Bildung angesehen, mit der Förderung unmittelbar menschlichen Ausdrucksrepertoires wie Singen, Tanzen, Musizieren, Malen oder Theaterspielen ein Gegengewicht zur grassierenden technologischen Durchdringung des schulischen Alltags entgegenzuwirken. Dazu gehörige Behauptungen, damit in besonderer Weise die Neugierde, Kreativität und Innovationsbereitschaft junger Menschen zu stimulieren, konnten da manchmal schon etwas hohl klingen.

Höchste Zeit also für diejenigen, deren Aufgabe es ist, Daten und Fakten für die kultur- und bildungspolitische Entscheidungsfindung zu liefern, sich im Rahmen einer europäischen Fachtagung intensiver mit den digitalen Implikationen Kultureller Bildung auseinanderzusetzen. Mein Auftrag war es dabei, eine Zusammenverfassung zu versuchen, die vielleicht auch für ein breiteres Publikum von Interesse sein könnte.

Digitalisierung ist selbst ein kultureller Prozess

Bereits die offiziellen Eröffnungsredner*innen machten deutlich, dass es sich in der aktuellen Transformation der Digitalisierung selbst um einen kulturellen Prozess handelt. Es sind die Beteiligten selbst – ob als Produzent*innen oder als Nutzer*innen – die wesentlich mitbestimmen, wenn es darum geht einzuschätzen, welcher Art diese Transformation ist und welche Folgen diese haben wird. Dazu gehört auch die persönliche Betroffenheit, die uns alle – ob wir wollen oder nicht – zu Mitakteur*innen macht. So berichtete der neue Geschäftsführer von KulturKontakt Austria Jakob Calice von seiner Ausbildung zum Photographen, die in die Phase des Übergangs von der analogen zur digitalen Bildproduktion fiel und damit sein Berufsbild nachhaltig verändert hat. Diese Form der unmittelbaren persönlichen Betroffenheit als Mitakteur*in macht es mehr als schwierig, sich ein objektives Urteil aus distanzierter Sicht zu bilden. Umso wichtiger erscheint es, in der aktuellen Dynamik immer wieder neu zu versuchen, eine Position, damit eine Haltung zu entwickeln, die die Grundlage für politisches Handeln zu bilden vermag.

Vom Wald über die Stadt in das gleißende Licht der ortlosen Digitalität

Beim Versuch der eigenen Orientierung half mir ein Beitrag des deutschen Philosophen Christoph Quarch mit dem Titel „Der Blitz aus dem Virtuellen“, der wenige Tage vor der Tagung in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Es zitiert darin den Gründer der modernen Kunstgeschichte Giambattista Vico mit einer Menschheitsgeschichte aus 1744: Ihm zufolge hätten die Menschen ursprünglich ausschließlich in Wäldern gelebt. Ein Blitzschlag habe die erste Lichtung geschaffen; den Giganten habe sich ein bislang ungeahnter Horizont und damit Denk- und Handlungsraum eröffnet. Die Lichtung selbst ist Vico der Ausgangspunkt städtischen Lebens: Aus den umgestürzten Hütten entstanden Hütten, mit ihnen Dörfer und schließlich Städte, in diesen wiederum Schulen und als höchster Ausdruck dieser neuen Hell- und Weitsichtigkeit die künstlerischen Akademien. Zurück blieben die Vorstellungen des dunklen Waldes als Ausdruck des nackten, ungehobelten Lebens. Die Städte hingegen mutierten zu Orten der Sicherheit, Gewissheit, der Wissenschaft und der zivilisatorischen Errungenschaften.

Quarch zufolge erleben wir im Augenblick einen neuen Blitzeinschlag, und zwar einen, der nicht mehr aus der stofflichen, sondern aus der digitalen Sphäre auf uns trifft. Auf diese Weise würden neue Lichtungen in unsere Alltagswelten gebrannt. Dessen Licht ist so grell, dass sich niemand den Blendungen zu entziehen vermag. Während die Städte zunehmend zu unübersichtlichen Großstadtdschungeln verkommen, finden wir uns ein in den strahlend ausgeleuchteten Datenkorridoren einer Digitalität, die geprägt ist von vollkommener Transparenz und permanenter Zurschaustellung. Dorthin dränge heute der gestalterische ebenso wie der ästhetische Wille, um so die analoge Stadt mit seinen Licht- und Schattenseiten hinter sich zu lassen. Wenn der Direktor des Linzer AEC Gerfried Stocker u.a. von einer medial veröffentlichten Herztransplantation berichtete, bei der sich die Lebensgefährtin unter hunderten Zuschauer*innen wiederfindet, dann machte er die Schattenlosigkeit der digitalen Lichtung, in der jeder Anspruch auf Intimität erlischt, unmittelbar deutlich.

Zur Charakteristik von Digitalität – More of the same oder Now to something completely different

Wenn der Vertreter des Bildungsministers Martin Bauer zu Beginn der Veranstaltung noch einmal auf Heraklits „panta rhei“ verwies, suggerierte er damit einen kontinuierlichen Entwicklungsfluss, der mit der Digitalisierung um eine weitere Facette bereichert würde. In eine ähnliche Kerbe schlug der Erlanger Professor für Kultureller Bildung Benjamin Jörissen, der nachweisen konnte, dass eine, der Digitalisierung entsprechende Logik weit in die Geschichte der Moderne zurückgreift, um freilich erst in diesen Tagen ihre umfassende Wirksamkeit zu entfalten. Wie weit deren Vertreter*innen bereits gekommen scheinen, machte Gerfried Stocker deutlich, wenn er der Digitalität bereits totalitären Charakter zusprach: „alles ist digital, digital kann alles und digital ist überall“.

Wir stehen also vor dem Dilemma, entscheiden zu sollen, ob es sich bei der Digitalisierung um ein weiteres Element der technologischen Durchdringung der modernen Welt handelt oder um etwas grundsätzlich Neues, das als ein umfassender kultureller Transformationsprozess früher oder später keinen Stein auf dem anderen wird stehen lassen.

„Postdigitalität“ als begriffliches Versöhnungsangebot zwischen der analogen und der digitalen Welt

Wenig verwunderlich, dass die Tagungsteilnehmer*innen darauf keine endgültige Antwort zu geben wussten. Wohl um dieses Spannungsverhältnis besser aushalten zu können, verwiesen gleich mehrere Sprecher*innen auf den Begriff des „postdigitalen Zeitalters“, mit dem sich analoge und digitale Weltzugänge scheinbar ins Einvernehmen bringen lassen würden. Wir kennen ähnliche Konstruktionen bereits aus der demografischen Ecke, wo von Rechtspopulisten angeheizte Spannungen zwischen alteingesessenen und neu hinzu gekommenen sozialen Gruppen mithilfe „postmigrantischer“ Zustandszuschreibungen befriedet werden sollen. Wieder einmal sollen junge Menschen als Beleg dafür herhalten, dass analoge und digitale Welten längst zur Deckung gefunden haben. Vor allem mit Hilfe der neuen Kultursparte Gaming seien diesbezügliche Grenzziehungen längst schwammig geworden. Jetzt sei es Aufgabe auch der Schulen, diese postdigitalen Kompetenzen aufzugreifen und für die von ihnen organisierten Lehr- und Lernprozesse produktiv zu machen.

Aus dem Blick zu geraten drohen in einer solchen Interpretation – jedenfalls aus meiner Sicht – immer wieder neu auftretende Generationenkonflikte. Immerhin sind es ja gerade spezifische kulturelle Ausdrucksformen, mit denen sich einzelne Jugendszenen gegen den Dominanzanspruch des erwachsenen Mainstreams abzugrenzen versuchen. Und da spricht vieles dafür, dass aktuelle Gamingszenen die Funktion der Pop- und Rockmusik übernommen haben, die es jungen Menschen erleichtert, Autonomieansprüche gegen die Welt der Erwachsenen zu entwickeln und zu verteidigen.

Wenn also eine postdigitale Interpretation Kultureller Bildung nunmehr auch den Anspruch stellt, jugendkulturelle Phänomene für sich nutzen (um nicht zu sagen ausbeuten) zu wollen, dann stellt sich unschwer die Machtfrage, die ansonsten im Rahmen der Tagung etwas unterbelichtet geblieben ist. Immerhin spricht vieles dafür, dass sich analoge und digitale Wertvorstellungen nicht beliebig aufeinander beziehen bzw. übertragen lassen.

Der Übergang vom analogen zum digitalen Zeitalter stellt die Machtfrage neu

Diesen Machtaspekt können zwei aktuelle Konflikte deutlich machen. Da ist zum einen die aktuelle Entscheidung der österreichischen Bundesregierung, ein „digitales Vermummungsverbot“ zu verhängen. Ihm zufolge müssten laut dem zuständigen Medienminister Gernot Blümel im digitalen Raum „dieselben Regeln gelten wie im analogen Raum“. Das klingt logisch und geht doch von der irrigen Annahme aus, Wertvorstellungen ließen sich selbst aus einem rechtsstaatlich abgesicherten Machtanspruch 1:1 von einer Sphäre in die andere übertragen (die unterschiedlichen Interessensartikulationen bei der Entscheidungsfindung zur Verabschiedung der europäischen Urheberrechtsrichtlinie macht unmittelbar deutlich, wie sehr traditionelle Wertvorstellungen im digitalen Raum an ihre Grenzen gelangen).

Umgekehrt hat die US-amerikanische Autorin Angela Nagle in ihrer jüngsten Studie „Digitale Gegenrevolution“ aufgezeigt, wie sehr die digitalen Verkehrsformen drauf und dran sind, auf den analogen Raum überzugreifen und diesen – wie sie meint auf äußerst negative Weise – zu überformen. Einfach gesagt: Ohne die weitgehend regellose Verselbständigung der digitalen Sphäre als der neue universelle Kulturraum hätten sich die neuen rechtspopulistischen Kräfte mit ihren antidemokratischen bzw. autoritären Ambitionen nicht zu etablieren vermocht.

Kunst kann mithelfen, die digitalen Implikationen Kultureller Bildung besser handhabbar zu machen – sie muss aber nicht

Sowohl Benjamin Jörissen als auch Susanne Keuchel von der Akademie Remscheid verwiesen auf die besonderen Qualitäten, die künstlerische Ausdrucksformen bei der Beschäftigung mit digitalen Phänomenen zu spielen vermögen. In der Tat gibt es mittlerweile eine Reihe von „Digital Artists“, die künstlerisches Tun zum Teil völlig neu definiert haben. In seiner kurzen Geschichte des AEC seit 1979 konnte Gerfried Stocker für diese Form der „digitalen Transformation des Künstlerischen“ eine Reihe herausragender Beispiele bringen. Umgekehrt wollten wir in dieser Euphorie vielleicht doch nicht ganz vergessen, dass es nach wie vor viele Kunstschaffende gibt, die bislang keinerlei Bezüge zur aktuellen Digitalisierung gefunden haben (ich selbst nahm jüngst an einem zweitägigen Symposium der Freien Szene zu deren kulturpolitischer Neuausrichtung in Wien teil, ohne dass einmal der Begriff der Digitalisierung gefallen wäre). Von ihnen ist nicht anzunehmen, dass wesentliche Impulse zur stärkeren Berücksichtigung von Digitalität im Bereich der Kulturellen Bildung ausgehen werden.

Digitalität reißt alte soziale Grenzziehungen nieder – und schafft neue

Einen wichtigen Beitrag liefert Wojciech Kowalik aus Polen, der sich auf Aspekte der Teilhabe und der Zugangschancen vor allem zum kulturellen Erbe konzentrierte. Ihm zufolge erlaube die Digitalisierung eine wesentlich größere Verbreitung kultureller Güter; entsprechend erhöhen sich die Chancen des digital vermittelten Zugangs; zugleich entstünden neue Formen der sozialen Ungleichheit, die benachteiligte soziale Gruppen von kultureller Teilhabe ausschließen würden. Wie sehr in diesem Zusammenhang liebgewordene Stereotype sozialer Zuschreibungen obsolet werden, machte einmal mehr Gerfried Stocker deutlich, wenn er darauf verwies, dass in vielen Ländern des globalen Südens, z.B. in Nigeria, mittlerweile mehr Menschen in den sozialen Medien zuhause sind als in Deutschland und Österreich zusammen.

Baustelle Schule: Die Digitalisierer kommen

Martin Bauer vom BMBWF blieb es vorbehalten, die aktuelle Digitalisierungsstrategie des Bildungsministeriums zu präsentieren. Er konzentrierte sich dabei auf einen „Masterplan Digitalisierung“, der auf den Dimensionen der Lehrplanentwicklung, der technischen Ausstattung und der Lehrer*innen-Qualifikation aufbaut. Wenn er zur Implementierung dieses Masterplans auf vier Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts verwies, die abseits des traditionellen Wissenserwerbs vor allem auf Kritik-, Team-, Kommunikations- und Gestaltungsfähigkeit verweisen würden, löste er damit eine Kontroverse aus. Diese bestand in der Frage, inwieweit Schule als Instrument der aktuellen Digitalisierungsstrategie vor allem den Erfordernissen eines zunehmend digitalisierten Arbeitsmarktes zu entsprechen versuche bzw. ob und wenn ja wie im Kontext umfassender Digitalisierung autonome und damit staatlichen Zurichtungsstrategien entgegen gerichtete Bildungsansprüche gerettet werden können.

Bauer verwies auf eine Reihe von Pilotschulen, die schon jetzt neue Standards der Digitalisierung schulischer Lehr- und Lernformen setzen würden. Und doch musste die Frage, wie es gelingen könnte, diesbezügliche Erfahrungen auf alle 6000 österreichische Schulen auszuweiten, unbeantwortet bleiben. Immerhin hat sich das System Schule immer wieder als sehr veränderungsresistent erwiesen. Mir fällt in diesem Zusammenhang ein, dass etwa das „Jahrhundert des Kindes“, das bereits 1900 von Ellen Key ausgerufen worden ist, bis heute nicht dazu geführt hat, dass Unterricht flächendeckend „vom Kinde aus“ organisiert wird. Immerhin hat bereits vor mehr als hundert Jahren das Konzept der „Arbeitsschule“ gefordert überkommende Fächergrenzen, Zeitregime oder Leistungsnachweise zu überwinden. Trotz aller seitherigen erziehungswissenschaftlichen Befunde steht eine Umsetzung bis heute weitgehend aus. Jetzt – so könnte man vereinfachend sagen – droht eine neue Ära, die es darauf abstellt, nicht „vom Kind“, dafür aber „von der Maschine“ aus zu unterrichten, um damit die „Eigensinnigkeit“ kindlicher Persönlichkeitsentwicklung zu untergraben.

Das zunehmend attraktive, weil digital vermittelte Bildungsangebot und das mögliche Ende der Schule, wie wir sie kennen

Ein wohl unfreiwilliges Indiz für die Endlichkeit schulisch-institutioneller Unterrichtsformen hat Susanne Keuchel gegeben, wenn sie mit einer Reihe von Beispielen darauf hingewiesen hat, dass „Maschinenlernen“ z.B. die Nutzung von „Youtube“ beim Erlernen eines Musikinstruments wesentlich bessere Ergebnisse erzielen lässt, als das in traditionellen Schulsettings möglich wäre. Keuchel machte damit auf eine neue Konkurrenzsituation aufmerksam, in der Schule nicht mehr als Bildungsmonopolist auftritt, sondern informelle digitale Angebote wesentlich attraktiver erscheinen und so ein Ende von Schule, zumindest so wie wir sie heute kennen, denkbar wird.

Über Fragmente einer digitalen Kulturellen Bildung und das Ganze der Schulentwicklung

In einem abschließenden Panel machten sich Kolleg*innen aus London, Amsterdam und Wien spezifisch auf die Suche nach jugendgerechten Methoden der Vermittlung von Kultureller Bildung mit digitalen Mitteln. Den Anfang machte Markus Hanzer, der aus seiner Design-Perspektive noch einmal versuchte, den ausschließlich instrumentellen Charakter der digitalen Medien in den Vordergrund zu rücken. Ihm und seinen Kolleg*innen an den künstlerischen Hochschulen ginge es bei seinen (Aus-)bildungsbemühungen ausschließlich um eine „Menschwerdung“ im umfassenden Sinn; darauf basierende Qualifikationen sollte es seinen Studierenden ermöglichen, von den technologischen Innovationen souveränen Gebrauch zu machen, oder aber sich anderer Ausdrucksformen zu bedienen. Als aufschlussreich erwies sich die Frage des Moderators Aron Weigl, inwieweit ein solches neues Methodenset anschlussfähig wäre in Bezug auf eine umfassende Schulentwicklung. Da wollte sich keiner der Teilnehmer*innen mit Aussagen hervorwagen. Diese Weigerung bestärkte einmal mehr die Vermutung, Kulturelle Bildung mit oder ohne Berücksichtigung von Digitalisierungsaspekten repräsentiere bis auf einige wenige Ausnahmen nach wie vor ein kleines, das schulische Gesamtprofil nur wenig beeinflussendes Element des schulischen Angebotes. Hier liegt wohl einer der Gründe für den besonderen Rechtfertigungszwang des Fachzusammenhanges, Digitalisierung hin oder her.

Vor diesem Hintergrund dieser unbeantwortet gebliebenen Frage hätte ich mir gewünscht, wenn diese Tagung auch die Chance geboten hätte, nicht nur ein kritisches Verhältnis von Kultureller Bildung zum Phänomen Digitalität zu verhandeln, sondern bei der Gelegenheit auch gleich über Schule als Ganzes neu nachzudenken. Dies umso mehr, als schon zu Beginn weitgehend Konsens darüber herrschte, dass mit der massenhaften Implementierung einer digitalen Logik sowohl die Formen als auch die Inhalte im zunehmend dominant werdenden digitalen Kulturraum alle liebgewordenen Selbstverständnisse der analogen Welt, so auch der Schule, tiefgreifend in Frage stellen.

In diesem Sinn hat die Digitalisierungsforscherin Stephanie Wörner bereits vor der Tagung die Forderung nach einer Schule erhoben, in der Schüler*innen vor allem das lernen sollen, „was die Maschine nicht kann“. Das klingt einleuchtend und wirft doch die Frage auf, ob angesichts des bereits erfolgten Ausmaßes an Digitalisierung ein „starkes Subjekt“ jenseits seiner digitalen Kontextualisierung überhaupt noch gedacht werden kann. Oder ob nicht mittlerweile jeder Ausdruck von individueller Persönlichkeit seine digitale Ausprägung erfährt.

Und wie wäre es, Digitalisierung noch einmal als Chance der Befreiung des Menschen zu denken?

Vor mehr als 2000 Jahren haben sich griechische Bürger in Athen zur Polis zusammengefunden, um sich in den Errungenschaften der Demokratie zu üben. Sie konnten dies u.a. deshalb tun, weil sie von den Mühen der Arbeit befreit waren; diese wurde von Sklaven erledigt, die mit ihrer fremdbestimmten Arbeit die freie Existenz eines umfassend gebildeten Bürgertums ermöglichten. Heute erscheint es – zumindest im Prinzip – möglich, diese Sklaventätigkeit auf die Maschine und damit in die digitale Sphäre zu übertragen. Und wir könnten uns noch einmal auf die eigentlichen Qualitäten menschlicher Existenz und damit auf die humane Ausgestaltung des Lebens in einem interdependenten Verhältnis zur jeweiligen technologischen Verfasstheit unserer Umgebung nicht nur einer kleinen auserwählten Gruppe von Menschen, sondern von uns allen widmen.

Vielleicht ist das die eigentliche kulturelle Herausforderung, vor der wir angesichts des aktuellen digitalen Transformationsprozesses stehen. Es wäre dies in der Tat ein Leben, das mehr ist als „Bytes“.​

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