In diesen Tagen sind Pussy Riot im Wiener Porgy & Bess aufgetreten. Das Haus war mit mehr als 300 Menschen zum Bersten voll. Das Publikum voll solidarischer Begeisterung.

Die Punk-Truppe rund um Maria Aljochina, der zuletzt eine abenteuerliche Flucht aus Russland gelungen ist, sprühte vor ansteckender Energie. In ihrer rund einstündigen Show schildert sie gleichermaßen laut — wie bilderstark ihre Widerstandsversuche gegen die Allgewalt des russischen Staates (samt ihrer ideologisch-patriarchalisch-kirchlichen Unterstützer*innen). Sie erzählen von ihrer Verhaftung und ihrem Gefängnisaufenthalt, der in seiner Drastik an die Verhältnisse in nationalsozialistischen Konzentrationslagern erinnert.

Vor allem aber bewies der Auftritt, dass sich diese jungen Frauen nicht haben brechen lassen; ganz im Gegenteil, dass sie mehr denn je gewillt sind, mit künstlerisch-aktionistischen Mitteln die Macht einer Diktatur zu brechen. Und ja, sich dafür mit ihrem Leben einzusetzen. Am Ende konnte ihre Forderung, dem Putin-Regime alle Ressourcen für eine Fortsetzung des Krieges in der Ukraine abzuschneiden und damit einen vollständigen Öl- und Gasboykott zu verhängen, nicht eindrücklicher sein.

Mitten im berstenden Gedränge des Porgy habe ich mich gefragt, ob es für diesen Auftritt nicht noch andere Orte gegeben hätte, allein schon, um mehr Menschen die Gelegenheit zu geben, sich daran zu beteiligen. Eingefallen sind mir all die großen Häuser, angefangen von der Wiener Staatoper, deren Direktor Bogdan Roščić sich nicht zu blöd war, ausgerechnet Anna Netrebko zur Eröffnung der neuen Saison auf die Bühne zu bitten. Ein größeres Zeichen des fast schon demonstrativen Selbstausschlusses aus dem Bemühen um die Aufrechterhaltung der liberalen Demokratie ist kaum vorstellbar.

In diesem Zusammenhang würde ich gerne der neuen Volksopern-Intendantin Lotte de Beer den Vorschlag machen, statt der Millöcker-Operette “Die Dubarry” zur nostalgischen Verklärung des Feudalismus Pussy Riot in ihrem Haus, das zuletzt mit beträchtlich sinkenden Auslastungszahlen zu kämpfen hatte, auftreten zu lassen. Ihr dortiger Auftritt würde über die Möglichkeit hinausweisen, dem „Volk“ ein paar unterhaltsame Stunden zu schenken, um sie vom medialen Dauergewitter der Kriegsfolgen in der Ukraine abzulenken.

Es würde ein Ende machen mit der überkommenen Trennung von U- und E-Musik: Weil mit Pussy Riot eine herausragende Form des zeitgenössischen Musiktheaters offenkundig wird. Die uns darauf stößt, dass wir alle gefordert sind, uns mit dem, was in der heutigen Welt der Fall ist, auseinanderzusetzen. Und künstlerisches Tun ermöglicht es uns auf sinnliche Weise, den Blick auf den gegenwärtigen Zustand der Welt nicht nur zu vermeiden, sondern dazu eine Haltung zu entwickeln.

Unter dem Eindruck der Putin’schen Diktatur sind bereits mehr als 400.000 vor allem regimekritische Russ*innen aus ihrem Land geflohen. Nicht wenige leben in Wien. Zu ihnen kommen die vielen Ukrainer*innen, die ihr kriegsgeplagtes Land verlassen mussten. Nicht zu vergessen, all die österreichischen politischen Aktivist*innen, die keinen Platz mehr gefunden haben im Porgy. Sie alle könnten in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit den Grundstein für eine neue „Öffentlichkeit“ als eine Form der künstlerischen ebenso wie politischen Vergemeinschaftung bilden, die den Bundestheatern erst die Relevanz verleihen würde, die sie für sich beanspruchen.

Die ewige Wiederholung des alten Schmuses aus der Goldenen Operetten-Ära, selbst mit Harald Schmidt aufgepeppt, erzählt bloß eines: Dass uns die hochsubventionierten Kultureinrichtungen nichts mehr zu sagen haben.

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berridraun

berridraun bewertete diesen Eintrag 11.09.2022 10:57:37

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