Stehen wir vor einer Renaissance der Kulturpolitik?

Der Kulturbetrieb entscheidet

In der türkis-grünen Regierungserklärung 2020 findet sich die Absicht, eine gesamtösterreichische Kunst- und Kulturstrategie zu entwickeln. Ein knappes Jahr später ist davon noch nichts zu bemerken. Umso mehr lässt das jüngste Interview von Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer im Standard aufhorchen, die erstmals durchblicken lässt, wie ein Normalbetrieb – aus ihrer Sicht frühestens in der Saison 2022/23 – aussehen könnte. In ihrem Szenario findet sich kein Hinweis, den bereits von Josef Ostermayer favorisierten Trend der Regionalisierung der Kunst- und Kulturförderung noch einmal rückgängig machen zu wollen. Also ist abzusehen, dass die Länder, die traditionell auf ihre „Kulturhoheit“ pochen, vor allem bei der Individual- und Projektförderung künftig noch stärker in die Pflicht genommen werden (davon wird sich der Bund auch durch Meldungen über einschneidende Kürzungen von Landeskulturbudgets, etwa aus Vorarlberg, nicht umstimmen lassen). Das würde u.a. bedeuten, die im Bundeskunstförderungsgesetz ausgewiesenen Förderkriterien der Beispielhaftigkeit, Innovation und überregionalen Bedeutung künftig restriktiver auszulegen.

Statt einer Vielzahl an Einzelförderungen wird sich der Bund auf die rechtlich gut abgesicherten Bestandsinteressen der großen Kultureinrichtungen konzentrieren. Staatsoper, Belvedere oder Albertina führten als verlängerter Arm der internationalen Tourismusindustrie zuletzt ein ziemliches Eigenleben. Mit dem Ausbleiben eines zahlungskräftigen Publikums erinnern sie sich an ihren Eigentümer, der den Bestand mit der Zurverfügungstellung weiterer finanzieller Ressourcen sicherstellen soll. Mayer spricht in diesem Zusammenhang noch recht vage von einer Neuorientierung weg von Quantität hin zu mehr Qualität. Sie fordert eine Rückbesinnung auf die eigenen Bestände sowie eine neue Kooperationsbereitschaft untereinander, um den ausufernden, dazu klimapolitisch bedenklichen internationalen Kulturzirkus auf den Boden der neuen Realitäten zu holen.

Weite Teile des freien Sektors haben bereits in den letzten Jahren in prekären Verhältnissen agiert. Mit jedem weiteren Tag der Pandemie wird offensichtlicher, dass viele Akteur*innen die Krise nicht überleben werden. Tief frustriert denken heute viele ans Aufgeben. Mayers Aussagen widerlegen in keiner Weise die Vermutung, dass ihr diese Art der erzwungenen „Flurbereinigung“ ganz recht ist. Dafür spricht auch, dass in den kulturpolitischen Diskussionen der letzten Tage immer wieder von einer „Überhitzung der Szene“ die Rede ist; demnach hätte die bestehende Förderlogik eine „Projektitis“ befördert und damit eine unüberblickbare Vielzahl an Produktionen erzwungen, für die keine ausreichende Nachfrage mehr existiert. Die aktuellen Schließungen hätten das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage demnach nicht hervorgerufen, sondern bloß verstärkt. Also ruft Mayer nach weniger Events bzw. Produktionen, um so den Kulturmarkt wieder auf „Normalmaß“ abzukühlen. Denjenigen Initiativen aber, die die Krise überleben werden, empfiehlt sie, verstärkt Kooperationen mit etablierten Einrichtungen einzugehen, um so die Trennung zwischen dem freien und dem institutionellen Bereich zu überwinden.

Wenn sich die Staatssekretärin rühmt, für den Kunst- und Kulturbereich im Jahr 2021 eine Erhöhung des Förderbudgets um rund 30 Mio. Euro herausgeschlagen zu haben, so zeigt die mittelfristige Finanzvorschau des Bundes, dass es sich dabei um eine einmalige Unterstützung der vor allem für die Salzburger und Bregenzer Festspiele, der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl 2024, diverser Sonderprojekte und nur zu einem geringen Teil der Freien Szene handelt. Eine künftige Deckelung der Fördermittel auf Bundesebene kollidiert mit allen Bemühungen um „Fair Pay“. Sie wird notwendig dazu führen, dass weniger Produktionen gefördert werden können, wenn faire Gagen gezahlt werden sollen. Bleibt zu erwähnen, dass mit dem Fortgang der Krise die Budgets eine Reihe von Städten und Gemeinden in beträchtliche finanzielle Turbulenzen geraten werden. Damit könnte ein weiterer wichtiger Haltegriff der Kunst- und Kulturförderung ausfallen. Wohl ein weiteres Motiv für Künstler*innen aufzugeben. Oder bei ihrem künstlerischen Tun weniger auf öffentliche Förderung zu vertrauen und stattdessen ein außerkünstlerisches Standbein zur Existenzsicherung zu suchen. Von einem bedingungslosen Grundeinkommen für künstlerisch Tätige war jedenfalls bei Mayer nicht die Rede.

Das alles sind keine guten Nachrichten für die Zukunft einer auf Vielfalt gerichteten Kunst- und Kulturlandschaft. Stattdessen werden wir Zeug*innen des durch die Krise erzwungenen Endes eines historisch gewachsenen Förderwesens, das sich bereits vor der Pandemie schwergetan hat, die zum Teil dramatischen Veränderungen der gesellschaftlichen Realitäten zu antizipieren.

Wenn zuletzt immer wieder der Zusammenbruch des kulturpolitischen Diskurses beklagt wurde, so liegt das u.a. darin, dass der Staat schlicht keinen Bedarf in der Fortsetzung des Kunst- und Kulturbetriebs in seiner gegenwärtigen Verfassung hat. Also wird der heute völlig zersplitterte und in vielfachen Konkurrenzen sich ergehende Kulturbetrieb nicht herumkommen, sich in gemeinsamer Anstrengung zu ermächtigen und seinen Repräsentant*innen mit Hilfe zeitgemäßer Argumente zu erklären, worin seine Bedeutung liegt. Hinweise auf die „Kulturnation Österreich“ werden da nicht mehr ausreichen (außer man hat die Absicht, damit die Rechtspopulist*innen zu stärken).

Als aussichtsreicher könnte sich die Bereitschaft der Akteur*innen erweisen, selbst umzudenken und ihr Tun gegenüber dem großen Rest der Gesellschaft auf neue Weise zu begründen. Der britische Kurator Jasper Sharp hat dazu in einem profil-Interview eine gute Grundlage geschaffen: Statt sich weiter in überkommener Kunst-Exegese zu erschöpfen, lädt er den Kulturbetrieb dazu ein, seine Beziehung zum Publikum völlig neu zu denken. Gerade als Kulturschaffendem sei es ihm wichtig, wahrzunehmen, was außerhalb der kulturbetrieblichen Wände passiert. Es gälte, den intellektuellen Enklaven zu entkommen und engere Beziehungen mit denen zu knüpfen, für die der Kulturbetrieb sein Angebot erstellt. Dabei ist sich Sharp in einem Punkt mit Mayer einig: „Wir sollten weniger über Besucherzahlen nachdenken als über Besuchererfahrung.“

Zumindest in Teilen des Kulturbetriebes orte ich in dieser Phase des Umbruchs die Bereitschaft, überkommene Genregrenzen zu überwinden, aufeinander zuzugehen und auf neue Weise über sich nachzudenken. Nicht zuletzt gilt es, die verlorengegangenen Bezüge zu den Lebens- und Arbeitsverhältnissen derer, die die Folgen der Krise zumindest ebenso dramatisch erfahren, wie sie selbst, wiederherzustellen. Dies beinhaltet auch die Entwicklung neuer Qualitätskriterien, die sich nicht in der Affirmation einzelner herausragender Kunstwerke erschöpfen. Für die Weiterentwicklung erscheint die Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit des Kulturbetriebs mindestens ebenso wichtig, wenn es gilt, das Publikum in partizipativer und interaktiver Weise in das Kunst- und Kulturgeschehen miteinzubeziehen.

Damit signalisiert die Pandemie das mögliche Ende einer kulturpolitischen Durststrecke, in der einige wenige Kulturtanker als Nutznießer des internationalen Tourismus auftraten, während weite Teile des freien Bereichs dazu verurteilt wurde, unter prekären Verhältnissen dahinzuwurschteln. Zurzeit gibt es keinerlei Indizien, dass der Staat nochmals die kulturpolitische Initiative ergreifen würde, um eine konzise Strategie für die Zeit nach Corona vorzulegen. Aber die ehernen Grenzen zwischen öffentlicher Hand, privatem Unternehmertum und zivilgesellschaftlichem Engagement sind in Auflösung begriffen. Umso wichtiger erscheint es, innerhalb des Kunst- und Kulturbetriebs neue Kooperationen zu bilden, sich auf die Suche nach neuen Organisations- und Finanzierungsformen zu machen, die digitale Transformation als Chance zu begreifen, Akteur*innen der Zivilgesellschaft und anderer Politikfelder für die eigenen Fähigkeiten zu interessieren und neue Allianzen mit dem Publikum einzugehen.

Die Initiative für eine künftige Kunst- und Kulturstrategie muss von der Szene selbst ausgehen; der Staat, der seine schützende Hand kraftvoll und steuernd über den Kulturbetrieb zu legen vermag, hat abgedankt.

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Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.

Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.

Weitere Blogs, Publikationen und Aktivitäten sind auf Wimmers Kultur-Service zu finden. Hier geht's auf die Website.

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