Teil IX einer kleinen autobiographischen Revue: Was soll ich jetzt mit mir anfangen?

Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.

Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.

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Ein Unternehmen gründen, ein Unternehmen führen und ein Unternehmen (rechtzeitig) loslassen Teil I

Wie lange kann man ein Kulturunternehmen leiten, ohne diesem zu schaden? In Österreichs Kulturbetrieb galt lange Zeit das Prinzip der Erbpacht. So erfreulich es war, dass es engagierten Einzelpersonen – oft gegen erheblichen Widerstand – gelang, neue Kultureinrichtungen auf den Weg zu bringen (bzw. alten ein neues Profil zu verpassen), so sehr neigten sie irgendwann dazu, mit ihrer Leitung identifiziert zu werden. Und wir erfuhren, dass dies auch negative Auswirkungen auf ihre Weiterentwicklung haben konnte. Die mehr oder weniger liebenswerten Skurrilitäten der in die Jahre gekommenen Leiter, ob im Filmmuseum oder im MAK, waren oft nicht dazu angetan, die Attraktivität der von ihnen geleiteten Unternehmen auf ewig zu erhöhen (Matthias Dusini macht im Falter 18/20 an der Person von Klaus Albrecht Schröder recht deutlich, dass dieses Problem bis heute existiert).

Obwohl sich bereits vor mir zwei andere Geschäftsführer an der Leitung des ÖKS versucht hatten, fand mit der langen Dauer meiner Tätigkeit seit 1987 doch auch in meinem Fall eine wachsende Identifikation statt – im Guten wohl ebenso wie im Schlechten. Also überlegte ich bereits in den 1990er Jahren Absprungmöglichkeiten, um mich nochmals beruflich zu verändern. Meine – zugegeben halbherzigen – Versuche scheiterten. Stattdessen musste ich erkennen, dass meine langjährige Tätigkeit als Geschäftsführer des ÖKS eine beträchtliche Punzierung darstellte. Da konnte ich noch so stolz darauf sein, einen kleinen Verein knapp vor dem Zusperren nochmals zu einem namhaften kulturpolitischen Akteur gemacht zu haben: Der stereotypen Zuschreibung, es mir als Sozialdemokrat in den Sackgassen der Bürokratie gerichtet zu haben, entging ich nicht mehr (wie nachhaltig solche Zuschreibungen sein können, erfahre ich bis heute, wenn meine Versuche zur Aufrechterhaltung der kulturpolitischen Diskussion mit dem Argument abgewehrt werden, ich sei ja ein „alter Sozialdemokrat“. Den Sprechern ist dabei völlig egal, dass ich in meinem gesamten beruflichen Leben nie eine politische Funktion ausgeübt habe).

Geschäftsführung schützt vor Punzierung nicht

Da konnte ich noch so sehr versuchen, mit der Einführung moderner Managementmethoden den gewachsenen Professionalisierungsansprüchen in den 1990er Jahren zu entsprechen: spätestens mit der Übernahme des Unterrichtsministeriums durch die ÖVP (mit Erhard Busek ab 1994 und Elisabeth Gehrer ab 1995) wurde seitens der Konservativen die Arbeit des ÖKS – politisch hypostasiert als Überbleibsel einer sozialdemokratischen Ära – mit zunehmender Skepsis betrachtet. Die Stolpersteine für eine erfolgreiche Unternehmensführung mehrten sich. War es mir bis 1999 noch möglich, mit dem Bildungsministerium als Fördergeber zu tragfähigen Kompromissen zu kommen, verschlechterte sich das Verhältnis mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die schwarz-blaue Koalition 2000 noch einmal beträchtlich. Dazu habe ich wohl selbst beigetragen, wenn ich mir – zusammen mit einer Reihe von Kolleg*innen – kein Blatt vor den Mund nahm, die neue Regierungskonstellation zu kritisieren. Wie das so ist, witterte ein anderer Teil der Belegschaft Morgenluft und erging sich in hässlichen Denunziationen im Ministerium.

Als dann 2002 die Konservativen aus vorzeitigen Neuwahlen als Sieger hervorgingen, sollte offenbar gegenüber dem eigenen Elektorat ein Exempel geschaffen werden. Dazu wurde ich als Leiter des ÖKS gekündigt und bei der Gelegenheit gleich das ganze Unternehmen beendet. Politisch unverdächtige Versatzstücke wurden in das bereits umgedrehte Schwesterunternehmen KulturKontakt Austria, in dem ein ehemaliger Ministersekretär von Elisabeth Gehrer die Geschäftsführung übernommen hatte, integriert.

Die kulturpolitische Entleerung der Sozialdemokratie begann nicht erst gestern

Wenn heute die weitgehende inhaltliche Leere der Sozialdemokratie beklagt wird, so ließ bereits damals die oppositionelle Sozialdemokratie jeden Hinweis vermissen, ihr läge etwas an den kulturpolitischen Errungenschaften, die sie seit den 1970er Jahren selbst auf den Weg gebracht hatte. Fast schon demonstrativ überließ sie dem damaligen Parlamentspräsidenten Andreas Khol das Feld, der die Beendigung der „ geistigen Vorherrschaft der Linken im kulturellen Sektor“ zum neuen kulturpolitischen Programm erhob, um so eine konservative Wende in Österreich einzuläuten.

Während die Konservativen konsequent und skrupellos die Schalthebel der Macht mit ihren Parteigänger*innen besetzten, begnügte sich die Sozialdemokratie bereits damals mit einer personalpolitischen Zuschauerrolle; ihr politischer Aktionismus beschränkte sich auf das Beklagen der Zustände. In diesem Klima des Defätismus halfen alle mir zugedachten Zuschreibungen als sozialdemokratischer Pappkamerad nichts; auf die Unterstützung durch ihre ins Trudeln geratene Führung konnte ich nicht rechnen, übrigens genau so wenig wie eine Reihe anderer, die damals den konservativen Säuberungen zum Opfer fielen (besonders erinnerlich ist mir in diesem Zusammenhang die Rückkehr von Andreas Stadler als Leiter des Kulturforums in New York. So sehr es gelungen war, diese Einrichtung zu einem attraktiven Standort der Verhandlung des zeitgenössischen Kunstschaffens in den USA zu machen, so wenig Chancen hatte er, seine kulturpolitische Erfolgsgeschichte in Österreich fortzusetzen; stattdessen wurde er irgendwo im Außenministerium verräumt). Bei mir mag noch ein gerütteltes Maß an parteipolitischer „Unzuverlässigkeit“ hinzugekommen sein, die mich immer wieder kritische Äußerungen auch gegenüber den „eigenen Leuten“ entlocken ließ, um mich so in der zunehmend auf unbedingte Verteidigung gerichteten (um nicht zu sagen zunehmend nepotistisch organisierten) Führungsriege der SPÖ verdächtig zu machen.

Zwischen Demütigung und Selbstermächtigung

Der Abschied vom ÖKS war quälend. Von einem Tag auf den anderen meiner Funktion beraubt, sollte ich dennoch für Monate tatenlos weiter an meinem Schreibtisch verbringen – und Daumen drehen, während rund um mich die Geschäfte weitergingen. Diese Form der institutionellen Demütigung stellte nicht nur mich, sondern auch die Kolleg*innen auf eine nicht unerhebliche Probe. Schließlich aber fand ich mich in meinem Wohnzimmer wieder, um zu überlegen, wie es beruflich weiter gehen könnte. Mit meinem spezifischen Profil – siehe oben – waren Bewerbungen fehlgeschlagen und mir wurde zunehmend bewusst, dass ich mein Schicksal selbst in die Hand würde nehmen müssen. Und es zeichneten sich die ersten Umrisse einer neuen Selbstständigkeit auf Projektbasis ab, in der ich wohl am ehesten meine bisher gewonnene Expertise samt den dabei erworbenen Kontakten würde nutzen können.

Bevor ich aber damit so richtig loslegen konnte, kam es zu einem einschneidenden Ereignis, das meine nicht nur beruflichen Absichten nachhaltig beeinflussen sollte. Als eines der ersten Projekte hatte mich der allzu früh verstorbene spätere Leiter des Renner-Instituts Karl Duffek beauftragt, zum 75sten Geburtstag von Fred Sinowatz eine kulturpolitische Fachkonferenz auszurichten. Ihn sowohl als Gründer des ÖKS als auch als Repräsentant einer kulturpolitischen Aufbruchsstimmung in den 1970er Jahren zu feiern, war mir ein großes Anliegen. Immerhin stand er mit dem Slogan „Kulturpolitik ist die Fortsetzung von Sozialpolitik“ für ein integratives Kulturverständnis, das darauf gerichtet war, im Zuge einer umfassenden Modernisierung Österreichs früher oder später alle Menschen aktiv am kulturellen Leben teilhaben zu lassen.

Diesen kulturpolitischen Anspruch in einer Zeit, in der Haider, Schüssel und Co längst neue Bruchlinien in die österreichische Gesellschaft gruben, nochmals zur Diskussion zu stellen, war die Herausforderung dieser Veranstaltung. Aber bereits bei meiner Suche nach Beiträger*innen zeigte sich, wie sehr sich auch in weiten Teilen des Kulturbetriebs der kulturpolitische Wind mittlerweile gedreht hatte und die Ambitionen des vormaligen Kunstministers bestenfalls als historische Reminiszenz verhandelt wurden (dabei zeigte sich unmittelbar die Tragik dieses Politikers, der einerseits im Schlepptau von Bruno Kreisky entscheidende Weichenstellungen in der österreichischen Kultur- und Bildungspolitik vorgenommen hat, als sein unmittelbarer Nachfolger im Amt des Bundeskanzlers 1983 bis 1986 – übrigens in einer ersten Auflage einer Koalition der Sozialdemokratie mit den Freiheitlichen – einen Großteil seines politischen Kredits verspielen sollte).

Das Abschiedsgeschenk meiner Mutter

Für mich aber bedeutete diese Veranstaltung noch eine ganz andere Zäsur. Nur einen Tag davor erhielt ich aus Köln die Nachricht, meine Mutter würde im Sterben liegen. Wenn ich sie nochmals lebend sehen wollte, dann sollte ich mich unmittelbar auf den Weg machen. Nun hatte ich seit meiner Kindheit nur wenig Kontakt mit meiner Mutter. Sie war aus meinem Leben getreten, als ich sechs Jahre alt war. Und doch befand ich mich in einer Entscheidungsnotlage, die schließlich darin mündete, noch den Beginn der Jubiläumsveranstaltung persönlich zu begleiten, dann aber mit dem letzten Flieger nach Köln zu gelangen, in der Hoffnung, meine Mutter nochmals lebendig zu sehen. Als hätte sie auf mich gewartet, starb sie nach meinem Kommen am nächsten Morgen, freilich ohne nochmals das Bewusstsein erlangt zu haben. Und ich machte mich daran, ihre Verlassenschaft zu ordnen.

Wie mir die Kolleg*innen erzählten, kam die Veranstaltung zu einem guten Ende. Und meine Mutter hinterließ mir – völlig überraschend – eine kleine Erbschaft. Diese sollte es mir ermöglichen, meine noch recht unsicheren Überlegungen in Richtung einer neuen Selbstständigkeit in die Tat umzusetzen. Wie aber sollte das gelingen, wenn ich bislang nur sehr vage Vorstellungen meiner künftigen Tätigkeit mit mir herumtrug und nicht einmal über eine herzeigbare Liste von Angeboten verfügte, die potentielle Auftraggeber interessieren könnten? Dazu musste ich mir bald eingestehen, dass – selbst wenn ich über ein solches Set an Angeboten verfügen würde – dafür, jedenfalls in Österreich, kein Markt als tragfähige Basis meiner beabsichtigten Tätigkeiten existierte bzw. ein solcher erst geschaffen werden musste. Also blieb es vorerst bei informellen Kontakten mit ehemaligen Partner*innen, mit denen ich offen und neugierig beobachtete, was im Rahmen meiner Expertise gebraucht werden könnte. Um öffentliche Förderungen brauchte ich erst gar nicht ansuchen, war ich doch gerade mit Aplomb aus staatlichen Zusammenhängen entfernt worden.

Erste Erfolge meiner Akquisitionsbemühungen stellten sich in Wien ein. Mit der Übernahme der Kulturzuständigkeiten in Wien durch Andreas Mailath-Pokorny (der sich zuvor als Chef der Kunstsektion den einen oder anderen Kampf mit „seinem“ Kunststaatsekretär Franz Morak geliefert hatte) versuchte sich die Stadt – jedenfalls zu Beginn der schwarz-blauen Koalition ab 2000 – als fortschrittliche Alternative zum konservativ-freiheitlichen Regierungskurs zu positionieren. Dabei sicherte sie einer Reihe von protestierenden Künstler*innen, die wegen ihrer kritischen Haltung um ihre staatlichen Förderungen fürchteten, das Überleben und sorgte darüber hinaus für die Aufrechterhaltung eines zumindest symbolischen Widerstands, an dem sich viele Künstler*innen beteiligten…

Fortsetzung folgt!

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