Teil VIII einer kleinen autobiographischen Revue: Von einem, der auszog, die österreichische Kulturpolitik mit wissenschaftlichen Mitteln zu fassen – und daran scheiterte

Mit meiner Geschäftsführer-Tätigkeit beim Österreichischen Kulturservice (ÖKS) waren meine Ambitionen, einen strategischeren Zugang zu Kulturpolitik – wie in anderen Ländern längst üblich – auch in Österreich zu verankern, nicht mehr meine erste berufliche Priorität. Angesagt war ab sofort praktisches kulturpolitisches Handeln, in der Hoffnung, den von Deutschland übernommenen Slogan „Kultur für Alle“ (Hilmar Hoffmann) Wirklichkeit werden zu lassen.

Kulturpolitisches Handeln, ja schon, aber ohne jede Evidenzanalyse der Wirkungen

Im Nachhinein kann ich nur staunend zur Kenntnis nehmen, dass wir uns bei allen Bemühungen auf keinerlei empirische Evidenzen bezogen. Nicht, weil wir nicht wollten, sondern weil es uns erst gar nicht in den Sinn gekommen ist und wohl auch, weil es solche, jedenfalls in aufbereiteter bzw. systematisierter Form überhaupt nicht gegeben hat.

Die Gründe lagen wohl in einer im katholischen Österreich l lang tradierten ideologischen Präformierung, wonach , dass Kunst als das schiere Gegenteil von Wissenschaft zu sehen sei: hochindividualisiert, subjektiv, sinnlich, alles Zuschreibungen, die wissenschaftlichen Ansprüchen der Objektivität und Allgemeingültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis zuwider laufen. Mit wissenschaftlichen, zumal sozialwissenschaftlichen Methoden – so der Tenor des Kulturbetriebs – wäre der Kunst nicht beizukommen; sie würde durch kunstfremde Beobachtung gefährdet, verwässert und ihrer Einmaligkeit beraubt. Daraus ergab sich ein kulturpolitisches Handeln mit einem hohen Maß an Informalität und Personalisierung; was zählte, das war in erster Intuition des führenden Personals und nicht wissenschaftliche Evidenzen. Einen guten Riecher musste man haben sowie taktisches Geschick, wenn es darum ging, sich mithilfe von Seilschaften in den jeweiligen politischen Machtverhältnissen durchzusetzen.

Für den ÖKS bedeutete dies u.a., dass die getroffenen Maßnahmen keinerlei systematischen Evaluierung unterzogen wurde. Eine solche für das gesamte Unternehmen sollte erst viele Jahre später erfolgen, als der parteipolitische Druck zunahm, und das konservativ geführte Ministerium begann, Daten für eine allfällige Schließung (oder zumindest meinen Hinauswurf) zu sammeln. Es genügte, wenn die Kolleg*innen die eine oder andere Projektidee entwickelten, die – sofern wir die finanzielle Bedeckung auftrieben – realisierten. Um uns nach Abschluss neuen Projekten zuzuwenden.

Der sogenannte „Wie-Wars?-Folder“, der zur finanziellen Zusage von Dialogveranstaltungen ausgeschickt wurde, war lange Zeit das einzige Instrument, um seitens der Lehrer*innen dokumentierbares Feedback zu erhalten (das heißt nicht, dass uns Lehrer*innen nicht in zum Teil überbordenden Elogen telephonisch davon berichten wollten, wie schwierig die Situation vor Ort wäre. Das stellte die Fachreferent*innen des ÖKS immer wieder vor große Herausforderungen, wenn sie die Rolle von Kummerkästen einnehmen sollten, freilich ohne jede Handhabe, die Situation zu verändern). Aber selbst diese Anforderung an die Lehrkräfte, nach dem Abschluss der Dialogveranstaltung einige wenige Fragen zu beantworten, wurde nur zu oft als eine weitere bürokratische Hürde angesehen. Die Unterstellung lautete: Die Rückmeldungen würden ja ohnehin früher oder später in den Schubladen verschwinden. Und angesichts des Fehlens jeglicher Analyseinstrumente hatten sie damit nicht ganz unrecht.

Der ÖKS eingezwängt zwischen Kunst- und Wissenschaftsproduktion

Die Stellung des ÖKS als eine dem Ministerium vorgelagerte Fördereinrichtung brachte – jedenfalls mich – immer wieder in die Defensive sowohl gegenüber dem Kunstbetrieb (der uns vor allem in Gestalt einzelner Interessensverbände entgegentrat) als auch dem Wissenschaftsbetrieb. Gerhard Ruiss von der IG Autoren und Autorinnen gerierte sich lange Zeit als Wortführer einer Künstler*innen-Fraktion, die den ÖKS als eine unnötige Instanz zwischen Fördergeber und Fördernehmer denunzierte. Das Ministerium solle besser der unmittelbaren Schöpferkraft von Künstler*innen vertrauen und sie hinreichend finanzieren. Alles andere würde sich schon von allein regeln.

Und da waren auf der anderen Seite die kunstbezogenen Geisteswissenschaften, die in einem hochelaborierten Jargon einen Kunstdiskurs führten, der jedenfalls im Rahmen von ÖKS-Aktivitäten nicht so einfach übersetzbar und an die Schulen vermittelbar erschien. Im Gegensatz zu heute versuchten sich diese elitären Elfenbeintürme absichtsvoll vom Rest der Welt abzugrenzen, um so ihre eigene Position unantastbar zu machen. Für die Sozialwissenschaften wiederum schien – mit Ausnahme des schon erwähnten ifes-Institutes – der Kulturbereich überhaupt nicht zu existieren. Und die damals en vogue werdenden empirisch geleiteten Bildungswissenschaften und ihrem Anspruch auf Daten geleitete Bildungsplanung hatte mit Kunst und Kultur wiederum nichts am Hut. Es wollte noch eine Weile dauern, bis ein „Cultural Turn“ und sein Hype rund um die Etablierung Kulturwissenschaften die bislang kategorialen Trennlinien zumindest aufweichen würde.

Der ÖKS verstand sich in diesem Kontext lange Zeit als nicht wirklich dazugehörender Fremdkörper, erst gegen Ende meiner Geschäftsführer-Tätigkeit bewarb sich der ÖKS um Fördermittel zur Durchführung einer wissenschaftlichen Studie zur Einschätzung der Bedeutung von Kunst und Kultur in der Schule für das Unterrichtsministerium. Zur selben Zeit unternahm das Unternehmen einen Ausflug in den Sozialbereich. Im Rahmen von „EQUAL“, einer Initiative des Europäischen Sozialfonds anlässlich des damals aktuellen Hypes rund um Cultural and Creative Industries ging der ÖKS zusammen mit einer Reihe von Partnern aus dem Sozialbereich der Frage nach, inwieweit künstlerische Tätigkeiten am Arbeitsmarkt diskriminiert würden. „ARTWORKS – Künstlerische Dienstleitungen im Dritten Sektor“ wurde damit zum Startschuss für eine Neuverortung von Kulturpolitik, die erstmals eine Ahnung davon erhielt, dass isoliert-selbstreferentielle Herangehensweisen auf Dauer das Überleben des Kultursektors nicht würde garantieren können.

Während die Aufgabenstellung des ÖKS als ein Dienstleistungsbetrieb vor allem in der praktischen Umsetzung kulturpolitischer (und später bildungspolitischer) Maßnahmen bestand, wollte ich auf meinen ursprünglichen Plan, ein genuines Politikfeld Kulturpolitik zu implementieren und damit staatliches Handeln zugunsten von Kunst und Kultur stärker konzeptionell zu fassen, nie ganz verzichten.

Als Europa begann, sich für die österreichische Kulturpolitik zu interessieren

Eine gute Gelegenheit dafür bot sich bereits bald nach meinem Amtsantritt. Der Europarat (dem sich die amtierende Unterrichts- und Kunstministerin Hilde Hawlicek als ehemalige Europaratsabgeordnete sehr verbunden wusste) hatte 1986 ein Programm zur „Evaluation of National Cultural Policies“ aufgelegt. Nach Schweden und Österreich sollten zu Beginn der 1990er Jahre die österreichischen Rahmenbedingungen staatlichen kulturpolitischen Handelns genauer unter die Lupe genommen werden. Hawlicek bestellte mich zum österreichischen Projektleiter und bürdete mir dabei – wie ich zu spät merken sollte – eine Aufgabe zu, der ich nur sehr bedingt gewachsen war. Da waren zum einen meine fehlenden Erfahrungen im Bereich der Wissenschaftsorganisation und da war zum anderen das völlige Fehlen einer Tradition der Kulturpolitikforschung in Österreich. Also organisierte ich neben dem ÖKS ein zweites Büro, versammelte um mich einige junge Wissenschafter*innen, die sich bereits mit dem einen oder andern kulturpolitischen Teilaspekt beschäftigt hatten und vergab externe Aufträge. An die Angst, den gemeinsamen Sitzungen gewachsen zu sein, erinnere ich mich bis heute. Aber selbst nach eineinhalbjähriger Tätigkeit kamen wir zu keinem zusammenhängenden Bericht; der Draft, den ich damals Sektionschef Temnitschka übergab, war schlicht die Sammlung einer Reihe weitgehend unzusammenhängender Texte. Also pilgerte ich wieder einmal zu Kabinettchef Josef Kirchberger und bat ihn, mich von diesem Auftrag zu entbinden.

Er lehnte kategorisch ab. Und stürzte mich damit in eine der schwersten beruflichen Herausforderungen, der ich bislang gegenüber gestanden hatte. Mit Hilfe von Josef Melchior, einem jungen Politikwissenschafter gelang es letztendlich, einen umfassenden und herzeigbaren Bericht zu verfassen, der erstmals den Anspruch stellen konnte, einen konzeptiven Zugang zur österreichischen Kulturpolitik zu ermöglichen (Darstellung und Analyse der Österreichischen Kulturpolitik: Österreichischer Nationalbericht- Strasbourg: Conseil de l’Europe, 1993). In der Zwischenzeit briet mich der damalige Kulturchef des Standards Peter Vujica in mehreren Artikeln seines Blatts, wenn er als selbsternannter Anwalt der Künstler*innen noch einmal das gesamte Unternehmen in Frage stellte und mich öffentlich vorführte.

Der Blick von außen: Der österreichische Föderalismus, die Kulturhoheit der Länder und die strukturelle Benachteiligung des zeitgenössischen Kunstschaffens

Eine baldige Fertigstellung war umso notwendiger, als das Europaratsprogramm vorsah, den Prozess durch eine europäische Expert*innen-Gruppe begleiten zu lassen, die auf unsere Vorarbeiten angewiesen war. Ihr stand der Schweizer Kulturbeamte Hans Rudolf Dörig vor, dessen Aufgabe es war, auf der Basis meines Nationalberichts, die Charakteristika des österreichischen Modells zu analysieren und Empfehlungen zur Weiterentwicklung vorzuschlagen. Bald zeichneten sich ernsthafte Konfliktlinien ab: Sie bestanden vor allem in der Vorannahme des Schweizers Dörig, mit Österreich nach den beiden Zentralstaaten Schweden und Frankreich die Vorteile eines föderal strukturierten Systems (wohl auch zur Legitimation seines Schweizer Modells) herausarbeiten zu können. Da war er aber an den Falschen gekommen, wenn ich von der These geleitet war, die österreichischen Länder mit ihrem Anspruch auf ihre „Kulturhoheit“ würden sich in erster Linie mit Volkstanz und Brauchtumspflege beschäftigen während gesamtstaatliche Maßnahmen darauf gerichtet waren, den Ländern in Bezug auf eine fortschrittliche Kulturpolitik voranzugehen und dabei dem überregionalen zeitgenössischen Kunstschaffen größere Bedeutung zuzumessen (gesetzlich verankert sollte diese Bundeszuständigkeit erst 1988 mit der Beschlussfassung des Bundeskunstförderungsgesetzes werden)

Viele der Dörig‘schen Empfehlungen warten bis heute auf ihre Umsetzung. So gibt es bis heute keine konzeptiv gefasste Arbeitsteilung der kulturpolitischen Aufgabenstellungen der einzelnen Gebietskörperschaften. Zu konstatieren aber ist seither eine signifikante Verlagerung kulturpolitischer Entscheidungen weg vom Bund hin zu den Ländern, teilweise auch Gemeinden, die sich mittlerweile zum Teil vehement für ein zeitgemäßes Kulturprofil stark machen (und hierfür auch die neuen Möglichkeiten der wissenschaftlichen Begleitforschung („Kulturentwicklungsplanung“, „Cultural Governance“,…) in Anspruch nehmen). Sie haben damit die Bundeskunstförderung zunehmend in die Defensive gebracht. Folgerichtig sprach der 1013 – 2016 für Kunst zuständige SPÖ Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (seine Partei hatte sich zuvor immer für eine Stärkung der gesamtstaatlichen Ebene bei den Kunstkompetenzen ausgesprochen) für eine sukzessive Verlagerung der Kunstförderung an die Länder stark machte. Damit zusammenhängend wurde 2015 die für die Förderung des zeitgenössischen Kunstschaffens zuständige Fachsektion im Bundeskanzleramt mit der Kultursektion, deren Aufgabe es ist, das Kulturelle Erbe zu verwalten, zusammengelegt.

Aus diesem Europaratsprojekt ergaben sich für Österreich nachhaltige Wirkungen vor allem darin, mit der Gründung der Österreichischen Kulturdokumentation durch Veronika Ratzenböck in den Projekt-Räumen einen Think-Tank errichten zu können, der in der Folge tapfer versucht hat, der Kulturpolitik gute Grundlagen für Ihre Entscheidungsfindung vorzulegen. Ihm oblag auch die Führung eines Archivs sowie die Durchführung einer Reihe kulturpolitischer Auftragsstudien zur europäischen Kulturpolitik sowie zum Thema Creative and Cultural Industries. Mittlerweile musste die Kulturdokumentation ihre Pforten schließen, das Archiv konnte weitgehend gerettet und – dank der letzten Rektorin der Kunstakademie Eva Blimlinger – in den Bestand der Kunstuniversität übernommen werden

Beobachtung einer nationalen Kulturpolitik in Zeiten der großen Transformation

Schon bald nach diesem Gewaltakt erhielt ich abermals die Gelegenheit, mich an diesem Europaratsprogramm zu beteiligen. Die Seiten wechselnd sollte ich diesmal als Rapporteur der Expert*innen-Gruppe zur Evaluierung der slowenischen Kulturpolitik fungieren. Slowenien hatte zu Beginn der 1990er Jahre wesentliche Teile seiner umfassenden gesellschaftlichen Transformation noch vor sich. Auch hier fand sich mit Vesna Copic eine einsame Kämpferin zugunsten der Implementierung einer konzeptiven Kulturpolitik; ihre Aufgabe war es, den Nationalbericht zu erstellen. Bei unseren Besuchen im ganzen Land stießen wir zum einen auf erstaunliche Kontinuitäten, viele unserer Gesprächspartner*innen im Kultursektor sprachen deutsch und erwiesen sich als durchaus versiert in der Einschätzung der österreichischen kulturpolitischen Besonderheiten, die ihnen nur allzu bekannt erschienen. Die Ähnlichkeiten zeigten sich auch der traditionellen kulturellen Infrastruktur, die die Tito-Ära überdauert hat und in Gestalt von Oper, Theater oder Museum in verkleinerter Form dem Wiener Vorbild ähnelt. Bei aller Kleinstaatlichkeit Sloweniens beanspruchte es programmatisch ungebrochen, für die lokale Bevölkerung ein umfassendes Angebot bereit zu halten. Der Besuch eines symphonischen Konzerts brachte uns dann rasch wieder auf den Boden der Realität zurück, wenn der Höreindruck sich nicht mit dem Anspruch einer Basisversorgung legitimieren ließ.

Weitgehend neu für uns aber war das bewährte System der Selbstverwaltung, das den einzelnen Kultureinrichtungen eine umfassende Autonomie zugestand, während sich die staatlichen Organe darauf beschränken sollten, die dafür notwendigen Mittel bereit zu stellen. Als besonders kurios erwies sich der Besuch im gerade umgebauten Nationalmuseum. Angesichts der leeren Räumlichkeiten fragen wir nach der künftigen Ausstellungspolitik. Der Direktor blieb weitgehend vage und meinte, im Keller fänden gerade archäologische Grabungen statt. Die zu erwartenden Funde aus der Römerzeit würden hinreichend Objekte liefern, um das Museum bespielen zu können.

Und so pendelten wir zwischen dem repräsentativen Konferenzzentrum aus der Tito-Ära, dem Cankarjev Dom und dem damals weitgehend devastierten alternativen Kulturzentrum Metelkova, in dem nicht nur die Gruppe Laibach großgeworden war. Auf der mit EU-Mitteln realisierten Autobahn zwischen Ljubljana und Maribor musste ich einmal tanken. In Ermangelung von Bargeld wollte ich mit einer Karte bargeldlos zahlen. Dies wies der Tankwart unwirsch zurück und warf mir radebrechend entgegen: „We are here not in Europe!“ Am Ende einer langen Reise durch ein kleines Land fanden wir uns als Expert*innen-Gruppe im Keller eines Paris Hotels zur Endredaktion unseres Berichts. Als uns klar wurde, dass aufgrund des engen Zeitplans des Europarats ich genau ein Wochenende hatte, um den Bericht zu verfertigen, war mir wieder einmal zum Weinen. Aber ich habe es hingekriegt; die Präsentation in Strasbourg konnte stattfinden.

Neben all diesen Aktivitäten war auch noch ein Betrieb zu führen, erfreulicherweise erwies sich die Organisationsstruktur mittlerweile als so stabil, so dass meine fallweise Abwesenheit – und das auch noch vor der Zeit permanenter Handy-Erreichbarkeit – den ÖKS in keiner Weise gefährdet hat.

Ein bislang letzter halbherziger Versuch, die österreichische Kulturpolitik programmatisch zu fassen

Noch einmal unternahm ein Regierungschef den Versuch, ein konsistentes kulturpolitisches Programm zu entwickeln. 1999 beauftragte Viktor Klima eine Expert*innen-Gruppe, ein „Weißbuch der österreichischen Kulturpolitik“ zu verfassen. Auf einschlägige wissenschaftliche Vorarbeiten dafür meinte man verzichten zu können. (Im jüngst erschienenen Jubiläumsband der Parlamentsbibliothek habe ich den Entstehungsprozess des Weißbuches nochmals Revue passieren lassen. Hier geht’s zu Bericht)

Erste Gehversuche im Feld der kultur- und bildungspolitischen Begleitforschung

Das Ende meiner Tätigkeit beim ÖKS 2003 brachte einen einschneidenden Einschnitt in meine berufliche Existenz mit sich (dazu an anderer Stelle mehr). Nach einigen Monaten Überlegungszeit entschloss ich mich zur Gründung von EDUCULT. Ohne weiter Fördermittel vergeben zu können (was für ein Privileg das war, wurde mir erst jetzt klar) entschloss ich mich zu ersten Suchbewegungen im Bereich der Beratung von Kultureinrichtungen inklusive ersten Versuchen der Begleitforschung. Die Büchereien Wien beauftragten mich mit einer Nutzer*innen-Befragung und die Wiener Volkshochschulen mit einer Analyse ihrer Kulturellen Bildungsmaßnahmen. Die zeitweise Möglichkeit, das Wissenschaftszentrum Wien (wzw) als Plattform nutzen zu dürfen, ließ mich bald den Aktionsradius erweitern. Sehr kam mir dabei zu Hilfe, dass ich bereits in den späten 1990er Jahren den Kontakt zur Initiative iccpr (International Conference for Cultural Policy Research) gesucht hatte, die alle zwei Jahre eine Begegnung der weltweit tätigen Kulturpolitik-Forscher*innen ermöglicht. Daraus ergab sich die Chance, 2006 das Treffen in Wien auszurichten und dazu mehr als 400 Forscher*innen einzuladen.

Der Auszug aus dem wzw erwies sich als wenig erfreulich und doch für das kulturpolitische Handeln in Österreich als besonders typisch. Als eine Gründung des konservativen Stadtrates Bernhard Görg (die SPÖ Wien war zwischen 1996 und 2001 gezwungen, mit der ungeliebten ÖVP eine gemeinsame Stadtregierung zu bilden) war diese Einrichtung auch nach der Wiedergewinnung der absoluten Mehrheit ein Dorn im Auge. Obwohl es dem neuen SPÖ-Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny gelang, „seinen Leute“ die Führung zu überantworten, blieb das wzw doch umkämpft. Also entschloss sich die Parteiführung, es zu schließen. Nach einem gerichtlich herbeigeführten Kompromiss zur Fortzahlung der Beschäftigung gelang es mir, Räume im Wiener MuseumsQuartier anzumieten, und damit für EDUCULT eine völlige Unabhängigkeit zu erreichen.

Spätestens mit der Durchführung dieses Großevents war klar, dass EDUCULT eine Zukunft haben kann, selbst wenn es seine Auftraggeber und Partner weniger in Österreich sondern europäisch und international suchen müsse. Als ein eigenständiges, auftragsbasiertes und öffentlich nicht gefördertes Forschungs- und Beratungsunternehmen hat EDUCULT mittlerweile unzählige Forschungsprojekte realisieren können, die auf der Website im Detail eingesehen werden können.

Auf der Suche nach einem EDUCULT-spezifischen Methodensets zur Begleitforschung

Die allmähliche Entwicklung eines EDUCULT-spezifischen Methodensets verdanke ich weitgehend meinen Kolleg*innen, die zuvor in anverwandten Gebieten der empirischen Sozialforschung gearbeitet haben. Ziel unserer Bemühungen ist es bis heute, für Kunst- Kultur- und Bildungseinrichtungen in flexibler Weise maßgeschneiderte Methoden der qualitativen Begleitforschung anzuwenden, die den Erfordernissen unserer Partner und Kunden bestmöglich Rechnung tragen und sich auf diese Weise von betriebswirtschaftlichen ebenso wie von vordergründigen auf den Nachweis von Effizienz verengten Zugängen abzugrenzen versuchen. Stattdessen versuchen wir, die Projektpartner*innen in einem kooperativen Verfahren in den Evaluierungsprozess aktiv einzubinden und ihnen Mitsprache bei der Interpretation der gewonnen Daten zu gewähren.

Parallel, schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen unabdingbaren Anwendungsorientiertheit unseres Angebotes, unternahm ich immer wieder Versuche, das Thema Kulturpolitik in die akademische Diskussion hineinzutragen. Mit Hilfe von Emmerich Tálos konnte ich regelmäßig Lehrveranstaltung am Institut für Politikwissenschaften anbieten, freilich ohne jede Chance, das Institut als Ganzes für dieses Thema zu sensibilisieren. Ähnliches versuchte ich am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften, aber auch dort blieb ich mit meinem Thema randständig.

Eine besondere Herausforderung stellte die Einladung des Bundesinstituts für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung (bifie) dar, einen Beitrag zum Nationalen Bildungsbericht 2009 zu leisten. Mit Claudia Schmied war 2007 eine Bildungsministerin ins Palais Starhemberg berufen worden, die sich neben der Weiterentwicklung der Hauptschulen zu Neuen Mittelschulen den Schwerpunkt Kunst- und Kulturvermittlung auf die Fahnen geschrieben hatte. Kurzfristig wurde EDUCULT vom Ministerium beauftragt, unter dem Titel „Vielfalt und Kooperationen“ eine Bestandsaufnahme der Kulturellen Bildungsmaßnahmen in Österreich zu versuchen . Dank dieser Grundlagen sah sich auch die offizielle Bildungswissenschaft erstmals motiviert, sich mit Fragen der Kunst und Kultur intensiver auseinander zu setzen. Dieses neue Interesse sollte auch im Nationalen Bildungsbericht seinen Ausdruck finden: „Kunst, Kultur und Bildung: Kulturelle Bildung als Herausforderung an das Schulwesen“, lautete der Titel der Teilstudie, die einige EDUCULT-Kolleginnen zusammen mit mir besteuerte. Dass ich mich danach – zusammen mit Barbara Putz-Plecko, Vizerektorin der Angewandten, in der Expert*innen-Gruppe zur Einführung der Neuen Mittelschule als Vertreter*innen Kultureller Bildung wiederfand, war dann nur mehr folgerichtig. Unser unbescheidenes Ziel damals war nicht mehr und nicht weniger, als „Schule als kulturelles Zentrum“ zu verankern. Eine Hoffnung, hinter der wir nach dem Abgang von Claudie Schmied 2013 heute weiter zurück sind als jemals zuvor.

Ich will es nochmals versuchen – Habilitation für Kulturpolitikforschung an der Universität für angewandte Kunst

Zu Ende der Nuller Jahre hatte sich das EDUCULT als eigenständiges, öffentlich nicht gefördertes Unternehmen dank einer halbwegs regelmäßigen Auftragslage soweit stabilisiert, dass ich mich daran machen konnte, noch einmal einen Systematisierungsversuch österreichischer Kulturpolitik zu versuchen. Die Studie „Kultur und Demokratie“, die ich 2011 veröffentlicht habe, zeugt vom Ergebnis.

Ausgestattet mit diesen theoretischen Grundlagen sowie langjährigen Praxiserfahrungen, unternahm ich den Versuch, mich zu habilitieren. Bei Rektor Gerald Bast von der Universität für angewandte Kunst wurde ich schließlich fündig. Er setzte eine Habilitations-Kommission ein, die mich nach einigen Kontroversen (ein Mitglied der Kommission deutete das Gerücht an, ich hätte die Arbeit gar nicht selbst geschrieben sondern von den EDUCULT-Kolleg*innen erarbeiten lassen, ein anderer sprach mir mit einigem Platzhirsch-Gehabe schlicht die wissenschaftliche Kompetenz ab) mit einer Venia zum Thema „Kulturpolitikforschung“ ausstattete. Seither kann ich an der Universität für angewandte Kunst Lehrveranstaltungen zum Thema Kulturpolitik anbieten.

Bast weiß ganz offensichtlich um die Bedeutung von Kulturpolitik und versucht selbst mit einschlägigen Äußerungen in der Öffentlichkeit die Angewandte als einen nicht zu unterschätzenden kulturpolitischer Akteur zu positionieren, der seinen Studierenden ein entsprechendes Rüstzeug mitgeben möchte. Ein Ausdruck davon ist die Organisation eines einmal jährlich stattfindenden europäischen Symposiums zu aktuellen kulturpolitischen Fragen, das ich kuratieren darf, um kulturpolitische Expert*innen aus ganz Europa zum gegenseitigen Gedanken- und Erfahrungsaustausch einzuladen. Dieses Jahr haben wir uns unter dem Titel „Culture on Demand“ das Publikum als kulturpolitischen Akteur vorgenommen, unter den aktuellen Vorgaben zur Pandemie-Bekämpfung musste es leider abgesagt werden. Immerhin erscheint in diesen Tagen eine Anthologie, in der sich unter dem Titel „Kann Kultur Politik“ –Kann Politik Kultur?“ eine Zusammenstellung der Beiträge der letzten Jahre findet.

Es gilt, ein Scheitern einzugestehen; sowenig Kulturpolitikforschung war schon lange nicht mehr

Jetzt, am Ende meines Berufslebens muss ich eingestehen, dass es immer noch nicht gelungen ist, Kulturpolitik als eigenes Politikfeld zu etablieren. Ungeachtet dessen habe ich mich bis heute nicht abbringen lassen, zusammen mit einer Reihe von Mitstreiter*innen, den kulturpolitischen Diskurs in diese Richtung zu lenken (davon erzählt u.a. die erwähnte Anthologie). Die Schwierigkeiten liegen wohl in erster Linie an der langen österreichischen Tradition der Wissenschaftsfeindlichkeit im Allgemeinen und im Kulturbereich im Besonderen zu tun. Ein zweiter Grund aber liegt wohl in mir selbst, wenn ich spät aber doch erkennen muss, dass ich meine Berufung eher im Bereich der Vermittlung, in diesem Fall zwischen Wissenschaft und einem breiteren öffentlichen Interesse, als in der Wissenschaft selbst sehe. Einen dritten Grund aber orte ich in der Wiedererrichtung einer rechten kulturellen Hegemonie, die verstärkt auf nativistische Kulturkonzepte setzt und Kulturpolitik in erster Linie als Mittel der gesellschaftlichen Spaltung entlang ethnisch-kultureller Grenzziehungen begreift.

Die Gesamtsituation der Kulturpolitikforschung in Österreich bleibt also bis auf Weiteres mehr als beklagenswert. Eine diesbezügliche Bestandsaufnahme habe ich zuletzt im Beitrag „Kultur ist angeblich das, was in der Wissenschaft nicht verhandelt wird – Zum Stand der kulturpolitischen Begleitforschung in Österreich“ vorgelegt.

Aus der Sicht der jeweils Regierenden mag dieses Manko noch verständlich sein, wenn Kulturpolitiker*innen nach wie vor das Privileg genießen, aus dem Bauch heraus agieren zu können. Aus der Sicht einer Opposition, die für sich beansprucht, die Interessen des Kulturbetriebs vertreten zu wollen, und doch (fast) jeder systematischen Analyse der Evidenzen aus dem Weg zu gehen, macht dieses Defizit aber mittlerweile ratlos. Und so steht Österreich als die „Kulturnation“ par excellence im Vergleich zu anderen Ländern, jedenfalls was ihre wissenschaftliche Begleitung betrifft, weitgehend nackt dar.

Mir bleibt immerhin, mich darüber zu freuen, dass seit den mühsamen Versuchen der 1980er, Kunst- und Kulturvermittlung als eigenen Fachzusammenhang im Rahmen des Kulturbetriebs besser zu verankern, ein nachhaltiger Bedeutungszuwachs zu verzeichnen ist. Das lässt sich nicht in gleicher Weise für Kulturelle Bildung in der Schule sagen. Diesbezügliche Initiativen scheinen nach der kurzen Euphorie in der Amtszeit von Claudia Schmied 2007 – 2013 heute weitgehend zusammen gebrochen. Aber das ist eine andere Geschichte….

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